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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Zwischen Brücke und Blauem Reiter: Museum Wiesbaden präsentiert „Hanna Bekker vom Rath als Wegbereiterin der Moderne“

Hochkarätige Zeugnisse eines Lebens für und mit Kunst

Von Hans-Bernd Heier

Sie war eine couragierte, engagierte und grosszügige Frau – eine ganz ausserordentliche Persönlichkeit: Hanna Bekker vom Rath. Die mehrfach begabte Künstlerin war Malerin, Sammlerin, Kunsthändlerin und Mäzenin. Ihrer Sammelleidenschaft und der selbstlosen Unterstützung vieler, im Dritten Reich als „entartet“ diffamierten Künstlerinnen und Künstler des Expressionismus verdankt das Museum Wiesbaden „den wichtigsten Baustein seiner Sammlung“, wie es Alexander Klar, Direktor des Landesmuseums, formulierte.

Seit 1987 besitzt das Museum Wiesbaden grosse Teile der ehemaligen Sammlung von Hanna Bekker vom Rath (1893 bis 1983). Aus Anlass ihres 120. Geburtstags präsentiert das Landesmuseum in einer grossartigen Schau die 30 Kunstwerke, die damals aus ihrem Nachlass erworben werden konnten, und vereint diesen wertvollen Bestand mit zahlreichen noch im Familienbesitz befindlichen sowie heute in renommierten Museen aufbewahrten Kunstwerken der ursprünglichen Kollektion. Erstmals sind die hochkarätigen Arbeiten wieder in ihrer Gesamtheit zu sehen – darunter unter anderem Werke von Max Beckmann, Willy Baumeister, Erich Heckel, Alexej von Jawlensky, Paul Klee, Ernst Ludwig Kirchner, Ernst Wilhelm Nay, Karl Schmidt-Rottluff und Wassily Kandinsky. Zugleich wird mit der Ausstellung die Übergabe von mehr als 15 bedeutenden Dauerleihgaben aus dem Nachlass an das Museum gefeiert. Bis zum 6. Oktober 2013 gibt es insgesamt 95 hochrangige Werke zu bewundern.

Johanna Emy Adele vom Rath, kurz Hanna genannt, wurde am 7. September 1893 in Frankfurt geboren und wuchs in grossbürgerlichen Verhältnissen auf. Ihr Vater, Walther vom Rath, gehörte dem Aufsichtsrat der damaligen Farbwerke Hoechst an und ihr Urgrossvater, C. F. Wilhelm Meister, war einer der drei Gründer der Farbwerke. Bereits sehr früh wurde Hannas ausgeprägtes Interesse für bildende Kunst geweckt. Als 16-jährige drängte sie ihren Vater, ihr eine lebensgrosse fragmentierte Christusfigur zu kaufen. Dieser ausdrucksstarke, ja expressive Torso sollte sie das ganze Leben begleiten und hing später auch an exponierter Stelle in ihrem „Blauen Haus“ in Hofheim.

Lebensgroßer spätmittelalterlicher Holztorso

Seit der Begegnung mit dem Holztorso spielte das Plastische, das Figürliche eine grosse Rolle für sie. Später folgten Erwerbungen von Wilhelm Lehmbruck, Alexander Archipenko, Henri Laurens oder Käthe Kollwitz. Ihre Vorliebe für das Plastische erklärt auch ihre Förderung der weniger bekannten Bildhauerinnen Emy Roeder (1890 bis 1971) und Louise Stomps (1900 bis 1988) nach dem zweiten Weltkrieg. Diese beiden, zu Unrecht vergessenen Künstlerinnen können in der Ausstellung neu entdeckt werden.

Wilhelm Lehmbruck, „Geneigter Frauenkopf“ (Abdruck der Plastik „Die Knieende“), 1911/1914, Museum Wiesbaden; diese Büste konnte dank eines Fundraising-Dinners des Kuratoriums der „Freunde im Museum Wiesbaden e. V.“ im Oktober 2012 erworben werden

Malunterricht bei Ottilie W. Roederstein (1859 bis 1937) in Hofheim „erkämpfte“ sie sich zwei Jahre nach dem Kauf der Christusfigur und 1915 die Ausbildung bei Ida Kerkovius (1879 bis 1970) in Stuttgart. Während ihrer Studienzeit bei Kerkovius und Adolf Hölzl (1853 bis 1934) lernte sie weitere zeitgenössische Künstler aus diesem Umfeld kennen. „Ihre ersten Ankäufe bei Ida Kerkovius verband sie mit dem Gedanken der finanziellen Unterstützung der in wirtschaftlicher Bedrängnis lebenden Künstlerin“, schreibt Marian Stein-Steinfeld, Enkelin der vielseitigen Künstlerin und Leiterin des Archivs Hanna Bekker vom Rath, in dem exzellenten, gut bebilderten Katalogbuch. Bereits zu jener Zeit bewies Hanna grosse Sammelfreude gepaart mit sozialem Verantwortungsbewusstsein. Hölzl und Kerkovius, beide mit charakteristischen Werken in der Schau vertreten, prägten ihre Vorliebe für die expressive, immer aber dem Gegenstand verpflichteten Kunst.

Erich Heckel „Maske vor Buschbockfell“, 1913, Museum Wiesbaden, Dauerleihgabe des Vereins zur Förderung der bildenden Kunst in Wiesbaden e.V.; © Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen

Die eigenwillige und „etwas rebellische“ Hanna, so Marian Stein-Steinfeld, lernte 1919 bei einer SPD-Veranstaltung den Musikschriftsteller und -kritiker Paul Bekker (1882 bis 1937) kennen, den sie 1920 heiratete. Das junge Paar zog zunächst nach Hofheim.1927 siedelte die Familie nach Wiesbaden über, wohin Paul Bekker für fünf Jahre als Generalintendant des Preussischen Staatstheaters berufen wurde.

Aber nicht nur der zeitweilige Wohnsitz in Wiesbaden war der Hauptgrund für die enge Beziehung Hanna Bekkers zu der Stadt, sondern es war wohl eher der Maler Alexej von Jawlensky (1864 bis 1941), der seit 1921 hier lebte und den sie 1926 persönlich kennen gelernt hatte. „Durch Jawlensky, dessen Kunst sie später nicht nur selbst sammelte und in ihrer Galerie vertrat, sondern mit dem sie auch gemeinsam malte und für den sie sogar als Modell nackt posierte, wie kürzlich aufgetauchte Aktzeichnungen beweisen, bestand eine enge, wenn nicht sogar – nach der Scheidung von ihrem Mann im Jahre 1930 – die engste Verbindung nach Wiesbaden“, schreibt Kurator Roman Zieglgänsberger in dem Katalogbuch.

Alexej von Jawlensky „Weiblicher Akt“ (Hanna Bekker vom Rath), 1934, Museum Wiesbaden

Noch während der Vorbereitungszeit der Ausstellung konnte im Dezember 2012 eine der sechs Jawlensky-Zeichnungen ersteigert werden, für welche Hanna dem Künstler 1934 Modell gestanden hatte. In einer kurzen Notiz bestätigte sie die Echtheit der Blätter: „Diese Handzeichnungen von A. v. Jawlensky entstanden in meiner Gegenwart in meinem Hofheimer Atelier im Herbst 1934. Ich verbürge mich für ihre Echtheit. Es sind die letzten Aktzeichnungen seiner Hand“.

Gerd Eckelmann, Vorsitzender des Vorstands der „Freunde im Museum Wiesbaden e. V.“ , Museumsdirektor Alexander Klar, Marian Stein-Steinfeld, Leiterin des Archivs Hanna Bekker vom Rath sowie Kurator Roman Zieglgänsberger konnten bei dem Pressegespräch viel Erfreuliches mitteilen; Foto: Hans-Bernd Heier

In der Schau werden an zwei Künstlerpersönlichkeiten – Alexej von Jawlensky und Karl Schmidt-Rottluff (1884 bis 1976) – die wichtigsten Schwerpunkte von Hanna Bekkers privater Sammlung stellvertretend demonstriert. Gleichzeitig wird das Programm ihres im Jahre 1947 eröffneten Frankfurter Kunstkabinetts beleuchtet – beides ist eng miteinander verzahnt.

Alexej von Jawlensky „Abstrakter Kopf (Abend)“, 1931, Museum Wiesbaden; Dauerleihgabe des Vereins zur Förderung der bildenden Kunst in Wiesbaden e.V

Als es dem in Russland geborenen Jawlensky körperlich und finanziell immer schlechter ging, gründete Hanna Bekker 1929 in Wiesbaden einen Förderverein für den Maler des „Blauen Reiters“: Der Künstler erhielt monatliche Zuschüsse und der Verein dafür Kunstwerke. Anhand seiner in der Ausstellung präsentierten neunzehn Arbeiten, die aus dem Frankfurter Kunstkabinett und dem Nachlass der Mäzenin in die Wiesbadener Sammlung gelangten, lässt sich belegen, dass Freundin und Kollegin Hanna ganz überlegt Werke aus allen Schaffensphasen des Künstlers gesammelt hat. Alle Entwicklungsstufen von Jawlenskys künstlerischem Werdegang lassen sich innerhalb ihrer Kollektion an signifikanten Werken veranschaulichen: die frühe Münchner Phase (1900 bis 1907), der Murnauer und Schwabinger Aufbruch (1908 bis 1914), die Schweizer Exilzeit (1914 bis 1921) sowie die wichtige Wiesbadener Periode (1921 bis 1941).

Marian Stein-Steinfeld neben Karl Schmidt-Rottluffs „Bildnis Hanna Bekker“, 1952, Museum Wiesbaden; Schenkung von Maximiliane Kraft 2013; Foto: Hans-Bernd Heier

Hanna Bekker vom Rath lernte Schmidt-Rottluff, Gründungsmitglied der Brücke-Vereinigung, um 1930 kennen. Es war der Begin einer lebenslangen Künstlerfreundschaft. Er besuchte sie erstmals 1932 im Blauen Haus und danach regelmäßig. Für seine Frühjahrsbesuche stellte sie ihm sogar ihr Atelier zur Verfügung. Auch zeigte sie seine Werke während des Hitlerregimes heimlich in ihrem Berliner Wohnatelier. Die mutige Kunsthändlerin vertrat ihn auch nach dem Krieg bis zu seinem Tod in ihrem Frankfurter Kunstkabinett, wo sie ihm insgesamt elf Einzelausstellungen ausrichtete. Hanna Bekker vom Rath besass von Schmidt-Rottluff mit über 60 Arbeiten zeitweise die grösste Privatsammlung. Mit annähernd 30 hervorragenden Werken ist er in der Wiesbadener Ausstellung präsentiert.

Zu sehen sind in der Ausstellung nicht nur Gemälde, Aquarelle und Grafiken, sondern mit dem „Arbeiter mit Ballonmütze“ von 1922 auch eine der wenigen bildhauerischen Arbeiten des Künstlers. Viele der im Landesmuseum gezeigten Werke sind in Hofheim entstanden, sie zeigen Hanna Bekkers „Blaues Haus“ von innen und aussen, den dazugehörigen Garten oder schneebedeckte Tannenwipfel im Taunus. Ein Höhepunkt ist das 1952 gemalte Bildnis Hanna Bekker. Karl Schmidt-Rottluff charakterisiert darin seine Mäzenin und langjährige Freundin als warmherzige Visionärin.

Ernst Ludwig Kirchner „Liebespaar“, um 1908, Museum Wiesbaden; Dauerleihgabe des Vereins zur Förderung der bildenden Kunst in Wiesbaden e.V.

Nicht nur Jawlensky und Schmidt-Rottluff, sondern auch Baumeister, Heckel, Kerkovius bot Hanna Bekker vom Rath ihre Berliner Atelierwohnung zwischen 1940 und 1943 als heimlichen Ausstellungsort an. Und sie freute sich mit ihren „Schutzbefohlenen“, wie sie diese nannte, über Verkaufserfolge: „Ich habe meinen Schutzbefohlenen schon manchen Verkauf vermitteln können! Das fördert sie wieder in ihrer eigenen Arbeit und macht ihnen Mut“, zitiert Marian Stein-Steinfeld aus einem Briefwechsel.

Mit ihrem unerschrockenen Eintreten für die verfemten Künstler während des Nationalsozialismus – sei es mit geheimen Ausstellungen in ihrem Berliner Atelier oder der Beherbergung in dem mittlerweile unter Denkmalschutz stehenden Blauen Haus in Hofheim – riskierte die couragierte Kunstförderin ihre eigene Sicherheit. Für sie war es jedoch wichtiger, den als „Entartete“ Gebrandmarkten wieder Hoffnung zu machen und auch das Gefühl zu vermitteln, bei ihr ein Refugium, eine zweite „Heimat“ gefunden zu haben.

Nach dem Krieg reifte bei Hanna Bekker vom Rath der Wunsch, ihr Berliner Engagement fortzusetzen und „ihre“ Künstler jetzt auch öffentlich zu zeigen. Im Jahre 1947 eröffnete sie das Frankfurter Kunstkabinett. In ihrer Eröffnungsansprache sagte sie: „Mein Ziel: Überbrückung der durch das Dritte Reich entstandenen Kluft. Heranführung der Jugend an die Kunst der letzten vierzig Jahre und Einführung in das Schaffen der Gegenwart auf dem Gebiet der Malerei, Plastik, Graphik und Werkkunst.“ Die erste Schau widmete sie Käthe Kollwitz.

Paul Klee, „Läufer-Haker-Boxer“, 1920; Nachlass Hanna Bekker vom Rath, Frankfurt am Main; dieses Aquarell zählte zu den Lieblingsbildern der Sammlerin.

Die gelungene Präsentation in Wiesbaden macht deutlich, dass Hanna Bekker vom Rath als erfolgreiche Betreiberin des Frankfurter Kunstkabinetts, die ihre Werke an viele bedeutende Museen verkaufte, grossen Anteil an der heute ungebrochenen Popularität der Klassischen Moderne in Deutschland hat. Als „Botschafterin der Kunst“ wurde die kurz vor ihrem 90. Geburtstag verstorbene „Grande Dame des Expressionismus“ mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

„Zwischen Brücke und Blauem Reiter – Hanna Bekker vom Rath als Wegbereiterin der Moderne“, Museum Wiesbaden, bis 6. Oktober 2013; anschliessend wird die Ausstellung im Zentrum Paul Klee in Bern gezeigt.

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum Wiesbaden

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