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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Die Sizilianische Vesper“ von Guiseppe Verdi in der Oper Frankfurt

Was für eine Konfliktsituation!

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Thilo Beu/Oper Frankfurt und Renate Feyerbacher

Alfred Kim (Henri, ein junger Sizilianer; stehend) und Quinn Kelsey (Guy de Montfort; kniend), Foto © Thilo Beu

„Les Vêpres Siciliennes“ („Die Sizilianische Vesper“) von Guiseppe Verdi (1813 bis 1901) erlebte am 16. Juni 2013 an der Oper Frankfurt ihre Erstaufführung in französischer Sprache.

Gut kommen die Franzosen in Guiseppe Verdis Oper nicht weg: Die Besatzer Siziliens, das französische Haus Anjou im 13. Jahrhundert, sind Tyrannen, Vergewaltiger. Dabei haben zwei Franzosen, Eugène Scribe und Charles Duveyrier, den Text für die fünfaktige Oper geschrieben, deren Uraufführung 1855 in Paris stattfand.

Das Thema ist historisch: Ostersonntag 1282, es war der 30. März, überfielen die Sizilianer ihre französischen Besatzer. Die Geschichte nennt diese Revolte „Sizilianische Vesper“. Eine harmlose Bezeichnung für ein grausames Gemetzel. An die zehntausend Ermordete wurden gezählt. Der Widerstand der Sizialianer war zwar geplant, aber noch nicht zu dem Zeitpunkt. Als ein Franzose eine sizilianische Frau zur österlichen Vesperzeit belästigte, wurde er vom Ehemann erstochen. Die französischen Beamten, die ihm zu Hilfe eilten, erlitten das gleiche Schicksal. Die Revolutionslunte wütete schnell in ganz Sizilien.

Verdis Oper ist ein historisch-politisches Werk, allerdings ist nicht alles geschichtlich korrekt. Wohl aber ist dies die zentrale, anführende Figur der Revolte, Procida, ein treuer Anhänger des Hauses der Staufer, der nach der Ermordung seines Sohnes und der Vergewaltigung seiner Frau Sizilien verlassen hatte.

Der Frankfurter Dramaturg Norbert Abels schreibt in seinem Beitrag: „Die Vergangenheit galt Verdi als unverzichtbares Medium, die Gegenwart darzustellen“ („Grosser Gott! Lass‘ das Wunder geschehen!“ im Programmheft).

Was hat den Patrioten Verdi, der politisch und sozial engagiert war, der Abgeordneter und später Senatsmitglied war, zu dieser Thematik gedrängt?

Es war die Epoche, die im 19. Jahrhundert Risorgimento, heisst Wiedererstehung, genannt wird. Es sind die sozialen, politischen Bewegungen, die zwischen 1815 und 1870 stattfanden. Manche Historiker setzen das Datum für diese Bewegungen sogar in der Zeit der Französischen Revolution an. Die Apenninen-Halbinsel war damals ein Tummelplatz fremder Besatzer: Österreicher, Spanier und schliesslich die Franzosen, sie alle haben sich das Land aufgeteilt.

Nach seinen ersten grossen Opernerfolgen „Nabucco“ (1842), „Macbeth“ (1847), „Rigoletto“ (1851), „Il Trovatore“ (1853) und  „La Traviata“ (1853) folgt 1855 „Les Vêpres Siciliennes“. Eine Oper, die sich musikalisch zeitgenössischen französischen Opern annähert. Sie wurde selten gespielt, denn sie verlangt vier ausgezeichnete Sänger – genauer drei ausgezeichnete Sänger und eine ausgezeichnete Sängerin.

Elza van den Heever (Herzogin Hélène) und Nina Tarandek (Ninetta), Foto © Thilo Beu

Die Oper beginnt am Ostersonntag 1282 auf dem Marktplatz von Palermo.

Regisseur Jans-Peter Herzog nutzt die Ouvertüre und lässt die Erschiessung von Hélènes Bruder, Frédéric, einem Widerstandskämpfer gegen die französischen Besatzer, miterleben. Nach und nach, erst heimlich, dann immer mehr, kommen andere Sizilianer an die Hinrichtungsstelle vor dem Palast des Gouverneurs, legen Blumen und Bilder nieder und zünden kleine Lampen an. Das ist eindringlich und vertieft die Musik.

Dieses „Vorspiel“ verdeutlicht das Ausmass des stillen Hasses, der im 1. Akt loszubrechen droht, aber durch das Erscheinen des Gouverneurs Montfort verhindert wird. Der junge Sizilianer Henri, verliebt in Herzogin Hélène, die auch seine Liebe erwidert, wird ohne Bestrafung aus dem Gefängnis entlassen und gerät mit Montfort aneinander. Nichts geschieht, aber ihm wird befohlen, im Palast zu erscheinen. Als er sich weigert, wird er verhaftet und zum Gouverneur geführt. Von ihm muss Henri erfahren (3. Akt), dass er sein unehelicher Sohn ist. Auch er, der Gouverneur, ein Vergewaltiger.

links mit dem Rücken zum Publikum Alfred Kim (Henri, ein junger Sizilianer), Quinn Kelsey (Guy de Montfort; in weissem Dinnerjackett), Raymond Aceto (Jean Procida, Arzt aus Sizilien; sitzend, in braunem Anzug) sowie Ensemble, Foto © Thilo Beu

Zuvor konnte Jean Procida, aus dem Exil zurückkehrt, zusammen mit Henri und Hélène die Sizilianer zum Aufstand animieren. Auf einem Fest will er den Gouverneur ermorden, was Henri verhindern will und auch verhindert, seitdem er weiss, er ist sein Vater. Der Hass der Verschwörer und auch von Hélène ist Henri gewiss.

Die Sizilianer werden alle verhaftet, ihnen droht die Hinrichtung. Hélène verzeiht Henri jedoch, als sie von seiner konfliktreichen Situation erfährt. Montfort ist auf Bitten Henris bereit, alle Gefangenen zu entlassen und die Hochzeit von Henri und Hélène zu feiern, wenn sein Sohn ihn mit „Mon Père“ anredet. Hélène beschwört ihn, es nicht zu tun. Henri tut es, um sie zu retten.

Hélène stimmt der Hochzeit zu, erfährt dann aber, dass Procida beim Hochzeitsglockengeläut den Aufstand losschlagen lassen will. Sie verzichtet auf die Hochzeit, aber Montfort befiehlt sie dennoch, als er vom Aufstand erfährt, das Massaker beginnt.

Jens-Daniel Herzog lässt einen überraschenden Schluss zu, der hier nicht verraten werden soll.

Die Inszenierung ist ein politischer Opernthriller, spannungsgeladen, ohne brutale Ausfälle, aber brisant bis zum Schluss. Der Regisseur hat sich der Musik untergeordnet. Das macht die Inszenierung stark und wird mit frenetischem Beifall belohnt.

Jens-Daniel Herzog, der zunächst als Schauspielregisseur arbeitete, ist heute einer der führenden Opernregisseure und Intendant der Oper Dortmund.

Jens-Daniel Herzog mit Elza van den Heever nach der Premiere am 16. Juni 2013, Foto: Renate Feyerbacher

Verdi hat keine leidenschaftliche Liebesszene gewollt und dennoch musikalisch-leidenschaftliche, zarte Momente eingewebt, so bei dem „Liebesduett“ von Henri und Hélène im Gefängnis, als er ihr von seinem Vater-Sohn-Konflikt erzählt und sie ihm den Verrat verzeiht. So auch bei der Arie von Montfort „Il est mon fils“, als er seinen illegitimen Sohn fand. So beim „O tu Palermo“ des kalten Strategen Jean Procida, als er in seine Heimat zurückkehrt.

Dann wieder die herbe, politische Färbung der Komposition, die dem Geschehen ungeheure Brisanz verleiht.

Pablo Heras-Casado am 2. Juni 2013 (Oper extra), Foto: Renate Feyerbacher

Der spanische Dirigent Pablo Heras-Casado aus Granda dirigiert erstmals an der Oper Frankfurt. Seitdem er den Dirigier-Wettbewerb der Lucerne Festival Academy gewann, ist er nicht nur in Europa, sondern auch in den USA sehr gefragt. Einfühlsam vermittelt er mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester die tiefe Komposition Verdis mal fulminant, hitzig, leidenschaftlich, dann sehr fein die Sänger nur begleitend. Ein musikalischer Genuss.

Und was für einen Chor und was für Sänger hatte er zur Verfügung! Elza van den Heever als Hélène, die diese schwierige Partie glanzvoll meisterte, was nicht anders zu erwarten war nach ihrer fulminanten „Maria Stuart“ in Frankfurt und an der MET oder der Elektra in „Idomeneo“.

Überraschend, geradezu über sich hinauswachsend Alfred Kim als Henri. Noch gehört er zum Ensemble der Oper Frankfurt, verlässt es aber nach dieser Spielzeit. Er ist neben seinen internationalen Engagements seit einem Jahr Professor an der Kyung Hee Universität in Seoul. So intensiv habe ich ihn auch noch nie spielen sehen. Mühelos meistert er die schwierigen, anstrengenden Arien, wunderbar seine klare tenorale Höhe.

Alfred Kim nach der Premiere am 16. Juni 2013, Foto: Renate Feyerbacher

Sein Debüt an der Oper Frankfurt gibt der junge hawaiianische Bariton Quinn Kelsey. Eine Entdeckung. Ihm lag das Frankfurter Publikum buchstäblich zu Füssen. Sehr herrisch, tyrannisch, dann aber wieder in Selbstmitleid zerfliessend, warm, gestaltet er die Rolle des Gouverneurs Guy de Montfort. Auch seine kraftvolle Statur macht die Rolle glaubwürdig.

Raymond Aceto nach der Premiere am 16. Juni 2013, Foto: Renate Feyerbacher

Last not least Raymond Aceto, der auch erstmals an der Oper Frankfurt singt. Der amerikanische Bassist verkörpert den fanatischen Polit-Strategen Jean Procida gesanglich und spielerisch beeindruckend kalt und berechnend. Eine ausgewogene Stimme, die sich fanatisch steigern kann.

Aceto wie auch Kelsey, bereits ausgezeichnet, singen auf allen grossen Bühnen und Konzertsälen der Welt und werden hoffentlich auch zukünftig in Frankfurt zu hören und zu sehen sein.

Intendant Bernd Loebe ist es wieder gelungen, einen sensationellen Opernabend in Frankfurt zu präsentieren.

Chor und Statisterie der Oper Frankfurt, Foto © Thilo Beu

Die vorzügliche Arbeit des Intendanten und seiner Mitarbeiter wurde unlängst durch den International Opera Award in London belohnt, und das gegen starke Konkurrenz! Eine solche Auszeichnung kommt nicht von ungefähr, sondern setzt ein entsprechend angemessenes Budget und harte Arbeit voraus. Leider scheint dies von Politik und Presse nicht überall begriffen zu werden, wie manch dümmliche Äusserungen und Kommentare („Kulturschickeria“) beweisen!

Weitere Aufführungen am 22., 27. und 30. Juni sowie am 3. und 6. Juli 2013, jeweils um 19 Uhr.

 

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