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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Andalusien – christlich-islamischer Kulturschatz / 4

Ein Reisebericht

4. Teil: Sevilla (1)

Text und Fotos: Renate Feyerbacher

Kathedrale

Pünktlich bringt uns der gepflegte, kaum frequentierte Zug von Cádiz nach Sevilla.

Es ist der Tag Corpus Christi, Fronleichnam, das im Jahr 2012 am 30. Mai ist.

Wir eilen zum Hotel, das mitten in der Innenstadt von Sevilla, im Viertel Santa Cruz liegt, unweit der Kathedrale. Im Mittelalter lebte hier die jüdische Gemeinde. Durch die schmalen, verwinkelten Gässchen strömen an diesem Tag viele Menschen.

Gasse Ximénez de Enciso

Fronleichnamsprozession und Kathedrale

Die grosse Fronleichnamsprozession hat schon begonnen.

Wir schlängeln uns durch Menschentrauben zur Kathedrale Santa Maria de la Sede, die auf dem Platz einer ehemaligen Moschee 1401 erbaut wurde, und deren Glockenturm, Giralda genannt, einmal ein Minarett war. Er ist das Wahrzeichen der Stadt. Der Turm kann teilweise über eine Rampe bestiegen werden. Zur Zeit der Mauren, das waren die arabisch-berberischen Bewohner, soll das mit Pferden geschehen sein.

Glockenturm La Giralda

Die Hybris der Architekten, die eine der grössten Kirchen der christlichen Welt überhaupt, die grösste gotische Kirche weltweit, planten und errichteten, rächte sich mit baulichen Problemen: im 16. Jahrhundert stürzte die Kuppel ein, Strebebögen mussten eingezogen werden.

Der Platz vor dem Seiteneingang der Kathedrale, durch den die Prozession zum Hauptaltar einzieht, ist voll von Musikgruppen, Einheimische, Touristen, sie alle buhlen um gute Plätze, auch um zu fotografieren. Rechts von uns liegt das floral geschmückte Bischöfliche Palais mit seinem schönen Barockeingang.

Bischöfliches Palais

Musikgruppe

Und dann nähert sich das Herzstück der Prozession: die Monstranz. Honoratioren stellen sich auf. Schweren Schrittes werden die prachtvollen, kostbaren Silberaltäre, vor allem die aus getriebenem Silber gefertigte Monstranz, eine Arbeit aus dem 16.Jahrhundert, getragen.

Grosse Monstranz

Begleitet werden sie von weiteren Honoratioren. Gross ist die Präsenz von Militär. Die Soldaten einer sogar mit Maschinengewehren bewaffneten Einheit salutieren. Für uns irritierend, die militaristische Verbindung von Kirche und Staat.

Honoratioren, Militär

Die Gläubigen strömen nach Beendigung der Prozession in das Gotteshaus, um die Ansprache ihres kirchlichen Oberhauptes, Erzbischof Juan Asenjo Pelegrina, zu hören und die Segnung zu empfangen. Freundlich und offen sind seine Worte.

Auf einem Monitor kann die Begrüssung der Honoratioren durch den Geistlichen verfolgt werden. Später sehen wir den Erzbischof ganz nah wie er Bekannte begrüsst. Keine Attitüde, keine Förmlichkeit wie sie manchmal hohe Geistlichkeit pflegt, ist zu erkennen.

Erzbischof

Mit Argusaugen schauen die Kirchendiener aufs gemeine Volk, auf dass es sich im Haus des Herrn diszipliniert verhält. Nach der Zeremonie bitten freundliche Damen, das Gotteshaus zu verlassen, für das ansonsten Eintritt gezahlt werden muss, und das nur zu bestimmten Zeiten besucht werden kann.

Der bedeutendste Kunstschatz des Gotteshauses, die Capilla Mayor, ist mit Tüchern zugedeckt, weil er seit Jahren, wie uns ein Kirchenbesucher sagt, renoviert wird. Offensichtlich kann nun seit April 2013 wieder ein Teil des Altars betrachtet werden, die Restaurierung insgesamt soll 2014 abgeschlossen sein.

Der Altar ist das grösste christliche Retabel – 23 mal 20 Meter – der Welt. 45 Tableaus mit über tausend geschnitzten Figuren, 1482 begonnen nach einem Entwurf des flämischen Bildhauers Pieter Dancart und beendet nach etwa 80 Jahren, erzählen vom Leben Jesu und Mariä. Ein herrliches schmiedeeisernes Gitter aus dem 16.Jahrhundert schützt diesen Hochaltar.

Minimale Einblicke lassen seine Schönheit und Kostbarkeit erahnen.

Zwei monumentale Orgeln thronen über dem Mittelschiff. Das Chorgestühl ist ein Meisterwerk der Schnitzkunst.

Kathedrale, Seitenwand, Blick nach oben

Orgel

An der Puerta le la Lonja steht das Grab-Denkmal von Christoph Columbus (1451-1506), der 1504 krank von seiner vierten Expedition zurückgekehrt war. Er starb zwei Jahre später in Valladolid. Seine Gebeine kamen zunächst nach Sevilla, wurden dann nach Santo Domingo überführt und gelangten schliesslich Ende des 18. Jahrhunderts, als Spanien seine Kolonien an die Franzosen verlor, wieder über Havanna /Kuba nach Sevilla zurück.

Vier edel gekleidete Männer, die Wappen der Königreiche Aragón, Navarra, Kastilien und Léon auf ihrer Brust tragend, schultern den Sarkophag. Errichtet wurde das Denkmal 1891.

Sarkophag Christoph Kolumbus

Die Pracht der Capilla Real, die Königskapelle, erschlägt geradezu. Sie ist die Grabstätte von drei kastilischen Königen.

Weitere einmalige Kunstwerke wie Bilder von Goya, Zurbarán und Murillo, dessen Geburtshaus nicht weit entfernt liegt, nennt die Kirche ihr eigen.

Dreimal im Jahr so an Corpus Christi tanzen in der Kathedrale die Baile de los Seises, das sind neun- bis zwölfjährige Jungen, in Gedenken an ein höfisches Zeremoniell.

Die elitäre Zeremonie wird von strengem Fotografierverbot und ruppigem Ton des männlichen Dompersonal beim Hinausauskomplementieren „begleitet“.

Gleich angrenzend an das christliche Gotteshaus liegt der Orangenhof, Patio de los Naranjos, in dem heute noch die Blüten dieser Frucht duften. Wie La Giralda, der Turm, ist er ein Erbe aus der Maurenzeit. Damals war er der Vorhof der Moschee, die eine der grössten islamischen Gebetshäuser war.

Turm der Kathedrale und Mauer des Alcázar

Der königliche Alcázar

Nur wenige Schritte von der Kathedrale entfernt, auch im Bezirk Santa Cruz, an der Plaza de Triunfo, liegt die Königsresidenz Reales Alcázares. Sie wird durch das berühmte Löwentor, Puerta de Léon, betreten.

Löwentor

An eben diesem Ort gab es bereits im 11. Jahrhundert eine kleine Festung der Kalifen, die in Córdoba residierten.

Dann landeten 1161 die Almohaden, eine Berber-Dynastie aus dem Maghreb, in Gibraltar und eroberten die iberische Halbinsel. Sevilla bestimmten sie zur Hauptstadt.

Das Ziel der Almohaden war, die Religion, den Islam in seiner ursprünglichen Reinheit zu erneuern. Ihr Oberhaupt, Abu Yaqub Yusuf I., der den Grundstein für die Moschee legte auf deren Stelle heute die Kathedrale steht, war ein hochgebildeter Mann, der sich mit Philosophen, Dichtern und Künstlern umgab. Die Almohaden übernahmen auch die kleine Festung und nutzten sie für ihre Zwecke bzw. bauten sie um und aus.

Zu ihren grössten Zeiten erstreckten sich die Festungsmauern bis zum Goldenen Turm, Torre del Oro, – erbaut 1221- am Ufer des Flusses Guadalquivir. Über sieben Kilometer waren sie lang und zählten 166 Türme und dreizehn Eingänge.

Im Laufe von zwei Jahrhunderten wandelte sich der arabische Alcázar zum Palast.

Botschaftersaal und Gipshof, zwei Räume aus der Zeit der Almohaden, sind in ihrer ursprünglichen Form erhalten.

Islamische Künstler waren Meister im Umgang mit dem Baustoff Gips, den sie zu wunderschönen, fantasievollen Ornamenten verarbeiteten. Diese Kunst beeinflusste später die nasridischen und mudéjarischen Handwerker, die auch in der Alhambra in Granada tätig waren. Mudéjarischer Stil bedeutet eine Kunstrichtung, die christliche und arabische Elemente vereint.

Gipshof


Botschaftersaal

Anfang des 12. Jahrhunderts rückten die Fronten der christlichen Rückeroberung, der ‚Gran Reconquista‘, näher. Sevilla, einschliesslich Südandalusien, fiel 1248. Die Almohaden waren durch Ferdinand III. von Kastilien und León, der Heilige genannt, besiegt.

Ferdinand und sein Sohn Alfons X., der Weise, respektierten den architektonisch-islamischen Reichtum des Alcázar. Gotische Elemente kommen hinzu.

Zunächst König Alfons XI. und später sein Sohn Peter, Pedro I. (1334-1369), der Gerechtigkeitsliebende vor allem aber der Grausame genannt, liessen im mudéjarischen Stil weiterbauen. König Pedro gab dem Alcázar die letzte entscheidende Prägung.

Fassade des Palacio des Don Pedro

Der Jungfrauenhof ist das Herzstück des Alcázar.

Jungfrauenhof

Die Katholischen Könige, Königin Isabel I. von Kastilien (1451-1504) und Fernando II von Aragón (1452-1516), die ab 1474 das Doppelkönigreich Kastilien und Aragón regierten, wählten den Alcázar zum Wohnsitz.

Jetzt kam die Renaissance dazu. Der Palast wird zum Sitz des Handels mit Amerika. Sevilla erhielt 1503 durch die Gründung dieser Organisation das Monopol für den Überseehandel.

Im Alcázar folgen die Habsburger: Carlos I., der spätere Kaiser Karl V., ältester Sohn von Johanna, der Wahnsinnigen, Tochter der katholischen Könige, und ihrem Ehemann Philipp I. der Schöne.

An ihn erinnert der Pavillon Karl V. in einem der wunderschönen Gärten. Überall sind die Wände mit maurischen Kacheln geschmückt, besonders im Obergeschoss.

Pavillon Karl V.

Wasserspeicher, Teichgarten

Ein Wunderwerk maurisch-christlicher Architektur und Handwerkerkunst ist der königliche Alcázar von Sevilla.

→ Andalusien – christlich-islamischer Kulturschatz / 5 (Sevilla Teil 2)

→ Andalusien – christlich-islamischer Kulturschatz / 1 (Málaga)

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