home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Paolo Iacchetti in der Frankfurter Westend Galerie

Opere recenti – neuere Arbeiten

Von Barbara Thurau
Frankfurter Westend Galerie

Als Paolo Iacchetti 1987 zusammen mit Fausto Bertasa, Tommaso Cascella und Enrico Pulsoni zum ersten Mal in der Frankfurter Westend Galerie vorgestellt wurde, bezeichnete der Titel „I Novissimi“ (Die Neuesten) eine junge Generation nach 1950 geborener Künstler. Diese grenzten sich von der erzählerischen, bildhaften Transavanguardia ab, die die Kunstszene Mitte der 1970er Jahre erobert hatte, und bezogen sich stattdessen wieder auf die abstrakten Tendenzen der 1950er Jahre. Iacchetti, damals Mitte 30, präsentierte sich als „kühner und lyrischer Kolorist“, der „die Bildfläche in musikalische Schwingungen“ versetzte, „Tiefen und Weiten“ eröffnete und dabei auch den „Entstehungsprozess einer solchen farbfunkelnden Komposition“ ausbreitete (Christa von Helmolt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Oktober 1987).

Heute, etwa 25 Jahre später und anlässlich des 60. Geburtstags von Paolo Iacchetti zeigt die Frankfurter Westend Galerie Arbeiten aus den letzten acht Jahren. Paolo Iacchetti ist heute erfolgreich und international anerkannt. In den Räumen der Westend Galerie hatte er bereits 1993, 1999 und 2004 Einzelausstellungen. Bedeutende Galerien, u. a. in Mailand, Bologna, Basel und Köln zeigen seine Werke regelmässig.

„Die Magie der Farben“ war ein früherer – und sehr passender – Ausstellungstitel. Auf den ersten Blick erkennt man, dass Iacchetti zu denjenigen Künstlern gehört, die die Farbe in den Vordergrund stellen. Magische Rot- und Grautöne dominieren die Ausstellung.

Aus der Ferne glaubt der Betrachter zunächst einfarbige Oberflächen vor sich zu haben, rote und graue Bilder, strenge Kompositionen. Erst beim Näherkommen bemerkt er eine Bewegung. Auf einmal kann er die Bilder nicht mehr klar fixieren, sie verändern sich je nach Blickwinkel, Lichtverhältnissen und Umgebung. Das Auge nimmt ein Flimmern wahr. Bei einem Teil der Werke vibriert die Bildoberfläche allein durch den bewegten Farbauftrag. Andere Arbeiten beziehen ihre Vitalität aus einer feinen Linienstruktur.

Je näher der Betrachter kommt, desto tiefgründiger und vielschichtiger werden die Farben. Unmittelbar vor dem Bild erkennt er schliesslich unter der Hauptfarbe viele Nebenfarben, verschiedene Schichten, Überlagerungen und Verwischungen. Bei der Serie „Linea“ von 2012 sind nicht nur die grauen Linien horizontal oder vertikal angelegt, sondern sie sind auch durch andersfarbige Linien ergänzt, die sich unterschiedlich dicht überlagern. Dadurch entstehen bei den vorherrschend grauen Leinwänden ganz verschiedene Farbwirkungen. Bei „Linea 1“ ergänzen hellblaue und braune Streifen die grauen, bei „Linea 2“ rosafarbene und braune, bei „Linea 3“ hellblaue, rosafarbene und braune.

Linea A, 2012, Öl auf Leinwand, 80 x 65 cm

Bei dem faszinierenden roten Bild „Stati profondi 4“ wirkt die Oberfläche dagegen wie matt poliert, wie aus Wachs. Iacchetti erreicht das durch vielschichtigen Farbauftrag und Nachpolieren mit der Hand. Dieser meisterhafte und geheimnisvolle, beinahe alchimistische Umgang mit der Farbe beruht auf langjähriger Praxis. Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass Paolo Iacchetti studierter Chemiker war, ehe er an der Kunstakademie Brera in Mailand ein zweites Studium absolvierte.

Auch bei den Formaten wird das Auge des Betrachters getäuscht. Die Leinwände, die auf den ersten Blick quadratisch scheinen, sind in Wirklichkeit nicht genau quadratisch, sondern zum Beispiel 52 x 50 oder 85 x 80 cm gross.

Stati profondi 4, 2006, Öl auf Leinwand, 100 x 95 cm

Auf der Suche nach Vorbildern und Bezügen in der Kunstgeschichte kommt man unweigerlich auf die abstrakten Tendenzen der 1950er Jahre in Italien, man erinnert sich an die weissen Leinwände von Piero Manzoni oder an die roten, blauen, weissen geschlitzten oder gelöcherten von Lucio Fontana. Natürlich findet sich auch eine Verwandtschaft zur monochrom-meditativen Malerei von Yves Klein und Mark Rothko.

Zum Thema „monochrome Malerei“ hat sich Iacchetti in einem kürzlich für das italienische Kunstmagazin „Flashart“ gegebenen Interview geäussert. Auf die Frage, ob denn seine Werke aus vielen vermischten Farben überhaupt „monochrom“ zu nennen seien oder ob man nicht eher von polychromen Werken sprechen müsse, sagte er: „In der Tat habe ich nie versucht Monochromie zu erreichen: Ich habe weder monochrome Bilder erdacht, noch speziell gewollt. Ich musste mich nur mit dem Konzept des Monochromen auseinandersetzen. Ich bin meinen eigenen Weg gegangen, der an die Entwicklung der farbigen Materie auf der Leinwand gebunden war, an die Magie, die daraus entstand, und ich habe mich leiten lassen von einer kontinuierlichen Radikalisierung im Sinne einer Reduktion des Bildhaften. Ich habe eine Idee der Natur verfolgt … und einen Weg gesucht, meine Emotionen und geistigen Räume minimalistisch und komplex zugleich darzustellen.“

My Inside, 1999, Öl auf Leinwand, 60 x 47 cm

Die Linien in den jüngsten Werken Paolo Iacchettis erscheinen neu. Nur einzeln tauchen sie schon in früheren Leinwänden auf – wie zum Beispiel bei „My Inside“ von 1999 mit einem gelbbraunen verschwommenen Streifen – , sie haben jedoch das zeichnerische Werk des Künstlers stets begleitet. Eine der neueren Papierarbeiten ist „Linea“ von 2012.

Linea, 2012, Öl auf Papier, 70 x 100 cm

Die optischen Effekte der ausgestellten Werke erinnern aber auch an die Op-Art. Die Vertreter dieser Kunstrichtung stellten die optische Wahrnehmung, die Wirkung des Kunstwerks auf den Betrachter in den Vordergrund und schufen Werke, die das Auge irritieren und die Wahrnehmung täuschen. Von all den möglichen visuellen Effekten treten bei Iacchetti nur die eher stillen und sanften auf wie eine leichte Flimmerwirkung, ein Changieren der Farbtöne, eine Veränderungen durch unterschiedlichen Lichteinfall. Allerdings geschieht das mit ganz anderen Intentionen als in der kühlen Op-Art, denn bei Iacchetti geht es um Emotionen.

Ein zentraler Begriff, den Iacchetti selbst mit seinen Bildern in Verbindung bringt, ist die „Indeterminatezza“ (Unbestimmtheit). Paolo Iacchettis Bilder sind offen, wandelbar und dennoch dicht und tiefgründig, sie erneuern sich im Auge des Betrachters immer wieder, sie sind minimalistisch und komplex zugleich.

Galerieansicht

Paolo Iachetti, Salvatore A. Sanna (Leiter der Galerie) und Barbara Thurau

Paolo Iacchetti – Opere recenti, Frankfurter Westend Galerie, bis 7. Juni 2013

Abgebildete Werke © Paolo Iachetti, Fotos: Frankfurter Westsend Galerie und Erhard Metz

Comments are closed.