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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Zürich – die „kleine grosse Stadt“

Es gibt viel und immer Neues zu entdecken in der Wasserstadt an Limmat und Zürichsee. Noch dazu lockt bis 12. Mai 2013 die Ausstellung „Marc Chagall – Meister der Moderne“ im Kunsthaus Zürich

Text und Fotografien: Elke Backert

Der Karlsturm des doppeltürmigen Grossmünsters, Zürichs Wahrzeichen, gibt eine prächtige Aussicht auf die Weltstadt made in Switzerland frei und auf das Alpenpanorama

Wo einst Maschinen ratterten und Russ in der Luft hing, hält heute neues Leben Einzug. Der Stadtteil Zürich-West zwischen Limmat, Bahngleisen und Europabrücke, in dem seit 1890 Industrie angesiedelt war, mausert sich zum trendigen Ausgehviertel. In die ehemaligen Fabriken zogen Läden, Restaurants, Clubs und Bars. Am Maagplatz 5 entstand der gläserne Prime Tower mit 36 Stockwerken und mit seinen 126 Metern höchstes Bauwerk der Schweiz. Im „Clouds“ in der 35. Etage schwebt man über den Wolken, ob bei Kaffee und Kuchen oder bei einem Dinner, und sieht dank der bis zum Boden reichenden Fenster von allen Plätzen auf die Wasserstadt hinunter. In der historischen Schiffbauhalle, wo früher die Compagnie Escher-Wyss Schiffe konstruierte, speist man vorzüglich unter dem ausladenden Muranoglas-Kronleuchter des „LaSalle“. Das Restaurant gehört zur neuen Schauspielhaus-Bühne und wurde in Form eines Glaskubus gebaut. Ein Rundum-Panorama gewährt dieser gläserne „Nietturm“ in der „NietturmBar“ hoch über dem Schiffbau-Komplex. Man könnte den Abend aber auch in der Live-Jazz-Bar „Moods“ ausklingen lassen, ebenfalls im Schiffbau.

In den Bögen des Viadukts, 1894 eröffnet, über den immer noch Züge vom Hauptbahnhof Zürich nach Oerlikon fahren, haben sich Geschäfte angesiedelt und die Markthalle, die es zu durchstöbern lohnt. Treppenaufgänge erlauben, den 1999 angelegten Gehweg zu Fuss und per Rad zu benutzen und so den Hauptbahnhof zu erreichen.

Die Markthalle im Viadukt

In der einstigen Löwenbräu-Brauerei, jetzt Löwenbräu-Areal, gibt`s im Migros Museum Gegenwartskunst zu sehen. Einst Peugeot-Garage, dann Gemüsemarkt, verkehrt heute in „Les Halles“ mit mediterraner Küche und Bioladen die Alternativszene. Gays sind in der „Labor Bar“ bei DJ-Musik und Tanz gern gesehen. „Puls 5“, die alte Giesserei, steht unter Denkmalschutz. Wer hier in den Lofts zur Miete wohnt, kann es sich leisten. Von nur zwei Familien bewohnt werden kann der niedlich verschrobene 800jährige Hardturm an der Limmat, ältestes Profangebäude Zürichs.Das Gebäude war Familiensitz der als Minnesänger bekannten Familie Manesse und ist immer noch in Privatbesitz.

In Zürich-West sind die Restaurants originell gestylt. Von Fischbassins umgeben speist man etwa im asiatischen „Angkor“

Gäste könnten angemessen im neuen 25hours Hotel Zürich-West übernachten oder günstig im Ibis-Hotel am Turbinenplatz, sofern sie nicht den altehrwürdigen Schweizerhof am Hauptbahnhof vorzuziehen in der Lage sind.

Am Hauptbahnhof nämlich, da wo man mit dem CityNightLine gemütlich ausgeschlafen oder mit dem „Zürich“ getauften ICE bequem ankommen könnte, beginnt der sehenswerte alte Teil der „kleinen grossen Stadt“, mit 390.000 Einwohnern grösste Stadt der Schweiz und doch nicht Kapitale.

Das Haus zum Kindli wohl bekannt anno 15hundert als Gasthaus stand / Waldmann u. Göldlin Zürichs Bürgermeister bannten beim Trunk hier der Sorgen Geister“

In der Schlüsselgasse steht ein Haus aus dem Jahr 1551

In historischer Anspielung ans Elf-Uhr-Läuten, mit dem die Bauern vom Feld zum Essen gerufen wurden, fasziniert um 11 und um 16 Uhr das Glockenspiel mit tanzenden Figuren an einem Uhrengeschäft in der Bahnhofstrasse

Wer die Altstadt entdecken will, lässt die Bahnhofstrasse schicke Haupteinkaufs- und Bankenmeile sein und biegt gleich ab in die Beatengasse, die ihn zum Wasser führt, zur Limmat. Herrlich die alten Häuser an der Schipfe, wo sich ehemals eine Bootswerft befand. Die Häuser in den sich anschliessenden Gassen, oft nach Tiernamen benannt, erzählen Geschichte(n) – dank ihrer Fassadenmalerei

In diesem Hause weilte Goethe mit Herzog Karl August von Weimar bei Joh. Caspar Lavater im Jahr 1779″

oder der Gedenktafeln (Im Haus „Zum Tor“ wohnte ehemals eine Familie „da Porta“). In der Kuttelgasse rühmen sich die Bewohner des Eckhauses als „Prince of Wales‘ Tailors“.

Die Turmuhr der ältesten Pfarrkirche Zürichs, St. Peter, zeigt die Zeit überdimensional an – auf dem grössten Turmzifferblatt Europas.

Fraumünster und St. Peter im Wettbewerb

Am Münsterhofplatz verdient das spätgotische ehemalige Frauenkloster (anno 858) Fraumünster Beachtung: Fünf Fenster, heute hinter Panzerglas, hat Marc Chagall (1887 bis 1985) gestaltet. Zudem das Fenster in der Rosette. Es gibt theologische Führungen zur Interpretation der Kirchenfenster, die alle ein biblisches Thema haben. Chagall-Fans sind derzeit und noch bis 12. Mai 2013 gut aufgehoben im Kunsthaus Zürich, das die Ausstellung „Chagall – Meister der Moderne“ mit 90 Kunstwerken präsentiert. Seine Bilder vom russischen Dorfleben, seine schwebenden Figuren, seine fliegenden Kühe sind weltbekannt. Aber auch nach Ende der Ausstellung kann man im Kunsthaus seiner Kunst frönen – in der ständigen Sammlung. Nach Chagalls Motto „Wenn ich aus dem Herzen heraus arbeite, gelingt fast alles“ bietet das Kunsthaus Workshops an, bei denen jeder, ob gross, ob klein, nach Lust und Laune mutig mit dem Pinsel in den Farbtopf greifen kann.

Sodann an der Limmat beachten sollte man das „Frauenbad“ von 1870, das jeden Mittwochabend zur „Barfussbar“ für jedermann wird und heiss geliebt ist. „Besonders bei Vollmond“, weiss die Stadtführerin.

Ebenso ungewöhnlich gibt sich die auf einem Floss verankerte „Herzbaracke“ an der Quaibrücke, wo die Limmat in den Zürichsee fliesst. Plüschig wie Uromas Wohnstube, nur von Kerzen erhellt, dinieren bis zu 50 Personen zu witzigen Varieté-Einlagen und zahlen samt Vier-Gang-Menü rund 75 Euro.

Die „Herzbaracke“

Zurück bummelt man auf dem anderen Ufer der Limmat – durchs Niederdorf. Es war, ist und bleibt das Szeneviertel, zumindest für Touristen. Am Bellevueplatz ist das „Café Odéon“ Anlaufstelle der Jugend und aller Junggebliebenen. Jeder kennt jeden. Küsschen hier, Küsschen da. Man ist ja soo gut drauf! Nach Dadaist Walter Serner „dampfte es (einst) vor Literatur“. Tucholsky, Joyce, Kraus, Einstein, Frisch tranken im Odéon Kaffee. Auch das Restaurant „terrasse“ gegenüber stammt aus dieser Zeit. Im „cabaret voltaire“ in der Spiegelgasse rief Hugo Ball 1916 den Dadaismus ins Leben. Mit von der Partie war der spätere Surrealist Hans Arp. Das zweitürmige Grossmünster an der Münsterbrücke ist Zeuge. Sein Karlsturm gibt eine prächtige Aussicht auf die Weltstadt made in Switzerland frei und auf die Alpen.

2006 hat Sigmar Polke einen Einladungswettbewerb zur Neugestaltung von Kirchenfenstern im Grossmünster Zürich gewonnen. Sieben Fenster im westlichen Teil des Kirchenschiffs wurden – einem Mosaik gleich – aus Achat-Schnitten gefertigt, die mit Bleiruten verbunden sind. Die fünf Fenster, die sich ostwärts anschliessen, wurden in Glas gearbeitet und zeigen fünf alttestamentliche Figuren. Die Geburt des Christuskindes ist Thema der Chorfenster von Augusto Giacometti (1877 bis 1947) aus dem Jahr 1933.

Glasfenster im Grossmünster von Augusto Giacometti (Ausschnitt)

Augusto Giacometti, Cousin des wohl noch berühmteren Alberto Giacometti, begegnet man auch im Fraumünster und in der Giacometti-Halle der Polizeiwache Amtshaus I in Zürich. Die Zürcher nennen das 1923 bis 1925 in Freskomanier blumenreich ausgemalte Gewölbe liebevoll Blümlihalle. Sie ist täglich von 9 bis 11 Uhr und von 14 bis 16 Uhr gegen Abgabe des Ausweises geöffnet.

Blümlihalle nennen die Zürcher liebevoll ihre Polizeiwache Amtshaus I mit den Blumenfresken von Augusto Giacometti, um 1925.

Fans von Alberto Giacometti werden im Kunsthaus fündig, das in seiner Sammlung 150 Skulpturen, 20 Gemälde und zahlreiche Arbeiten auf Papier zeigt.

Nun ist es aber an der Zeit, durch die kleinen Gassen zu streifen. Denn hier versammeln sich Kneipen aller Couleur, aber auch Boutiquen und Antiquitäten. Unter der Obhut der Predigerkirche liegt die älteste Herrenbar Zürichs, das „Barfüsser“. Vor etlichen Jahren noch sassen im vorderen Raum die Shit-Raucher und hinten die Ledermänner. Heute wurde daraus eine Sushi-Bar, was nicht heisst, dass sich hier keine Schwulen mehr träfen und dass es keine Schwulenbars mehr gäbe. Davon hat Zürich jede Menge!

Wieder am Hauptbahnhof, den Gottfried Semper mitgestaltete und den Helvetia krönt – in wallendem Gewand, damit, so munkelt man, ihre weiblichen Rundungen nicht allzusehr zur Geltung kommen -, bringt die S-Bahn den Besucher auf den Uetliberg, den Hausberg der Zürcher. Auf 871 Meter Höhe hat man nicht nur ein 360 Grad-Panorama vor Augen – diesmal über Stadt, See und die Alpen -, sondern auch das Vier-Sterne-Hotel und Restaurant „Uto Kulm – Top of Zurich“. Lifestylezimmer und Romantiksuiten vom Feinsten warten auf Übernachtungsgäste.

Zürich an der Limmat mit (von li. nach re.) Fraumünster, St. Peter und Grossmünster

Ausstellung „Chagall – Meister der Moderne“, Kunsthaus Zürich, bis 12. Mai 2013

 

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