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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Museum Giersch präsentiert „Faszination Fremde“

Bilder aus Europa, dem Orient und der Neuen Welt

Von Hans-Bernd Heier

Das Interesse an fremden Ethnien und Kulturen ist wohl ein grundlegender Wesenszug des Menschen. Auch Künstlerinnen und Künstler unterliegen seit jeher dieser Faszination und widmen sich in Bildern dem intensiven Studium fremder Physiognomien, exotischer Kleidung und aussergewöhnlicher Brauchtümer. „Von der Neugierde naturwissenschaftlicher Forschungsaktivitäten des aufklärerischen 18. Jahrhunderts beflügelt, nahm im 19. Jahrhundert die künstlerische Entdeckung der Welt ungeahnte Dimensionen an. Aus allen Ländern begaben sich Künstler auf Reisen, um in der Fremde die dortige Natur, die Menschen sowie deren Sitten und Gebräuche kennen zu lernen, zu studieren und um ihr Motivrepertoire zu erweitern“, schreibt Manfred Großkinsky, Leiter des Museums Giersch, im Vorwort des profunden Ausstellungskatalogs.

Hans Thoma, Die Zitronenverkäuferin, Öl auf Leinwand, 1880, 70 x 50,5 cm; Sammlung Sander / The Sander Collection Giorgio Sommer (1834–1914)

Gerade die Erweiterung des Motivrepertoires spielte eine nicht unerhebliche Rolle. Denn im 19. Jahrhundert arbeiteten die Künstler zunehmend losgelöst von einer Bindung an Hof und Kirche und mussten sich immer mehr auf dem freien Kunstmarkt behaupten

. Da zu dieser Zeit eine auf alle Bereiche des Lebens übergreifende Begeisterung für die Fremde herrschte, nutzten viele Künstler diese Faszination marktstrategisch. Sie spezialisierten sich auf beim Publikum, insbesondere beim wohlhabenden Bürgertum beliebte Sujets. Wenn für ein Motiv die Nachfrage besonders hoch war, fertigten die Künstler Varianten oder Wiederholungen an, oft auch in unterschiedlichen Formaten. Der Maler Adolf Schreyer beispielsweise konzentrierte sich auf die Darstellung von Pferd- und Reitermotiven. Diese siedelte er in orientalischen wie auch in osteuropäischen Szenerien an. Mit diesen Gemälden wurde er international bekannt und konnte Verkaufserfolge bis nach Amerika erzielen.

Adolf Schreyer, Vor dem Haus (Winter in der Walachei), Öl auf Leinwand, 48 x 56 cm; Sammlung Giersch

Natürlich lieen sich auch Künstler aus der Rhein-Main-Region von der weitverbreiteten Reiselust anstecken und unternahmen Exkursionen in die nähere oder weitere Fremde. Es waren die unbekannten, eindrucksvollen Naturlandschaften und exotischen Kulturen, die die hiesigen Künstler im 19. und frühen 20. Jahrhundert in verschiedene Länder Europas, in den Orient und sogar bis nach Amerika lockten.

Wilhelm Amandus Beer, Wolfsjagd im Winter, Öl auf Karton, 1875, 22 x 17,5 cm; Kunsthandlung J. P. Schneider jr., Frankfurt am Main; Foto: Marthe Andreas

Die Interessen der Künstler an der Fremde waren dabei sehr vielfältig: Sie suchten auf den damals oftmals noch beschwerlichen Reisen nach spektakulären Bildmotiven, zeigten sich von andersartiger Vegetation, fremden Sitten und Gebräuchen sowie ungewohnten Lichtverhältnissen beeindruckt oder dokumentierten wissenschaftliche Expeditionen. „Ihre Faszination und ihre Beobachtungen schlugen sich in einer Vielzahl an Skizzen und Studien unterschiedlicher Techniken nieder. Oftmals sind diese Kunstwerke die einzigen aussagekräftigen Zeugnisse über die Stationen einer Reise, da selten schriftliche Äusserungen überliefert beziehungsweise erhalten sind“, erläutert Großkinsky.

Mathilde Battenberg, Provencelandschaft, Öl auf Leinwand, 1914, 60 x 73 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main – Artothek

Der Faszination Fremde erlagen umgekehrt auch Künstler aus dem Ausland, die ihrerseits zum Beispiel Deutschlands Landschaften, Sitten und Gebräuche erkundeten. So hatte es britischen Malern insbesondere die Schönheit des Rheins mit seinen Bergen, Burgen und Kirchen angetan. Der wohl bekannteste englische Maler, der sich von der Rheinromantik besonders inspirieren liess, war James William Mallord Turner (1775 bis 1851). Er reiste zwischen 1817 und 1844 vermutlich elf Mal an den Rhein und schuf allein etwa 120 bezaubernde Aquarelle, die bis heute durch ihre leuchtende Farbigkeit und ihre Leichtigkeit bestechen. Einige sind jetzt in der opulenten Schau im Museum Wiesbaden „Rheinromantik – Kunst und Natur“ zu bewundern. FeuilletonFrankfurt wird in einem separaten Artikel darüber berichten.

Theodor Pelissier, Die Blaue Grotte auf der Insel Capri, Öl auf Leinwand auf Pappe, 1832–1835, 28 x 40 cm; Historisches Museum Hanau Schloss Philippsruhe

Doch wieder zurück zur Reiselust, die deutsche Maler in ferne Regionen zog. In einer umfassenden Sonderausstellung widmet sich das Museum Giersch unter dem Titel „Faszination Fremde“ der künstlerischen Begeisterung für die Fremde im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Präsentiert werden rund 130 Werke von 40 Künstlerinnen und Künstlern des Rhein-Main-Gebiets, darunter Hans Thoma, Mathilde Battenberg, Ottilie W. Roederstein, Johann Heinrich Schilbach, Giorgio Sommer, Eugen Bracht, Willi Baumeister sowie Erna Pinner. Die hervorragend von Katrin Schwarz kuratierte Schau in der neoklassizistischen Villa am Schaumainkai fokussiert die von den Künstlern mit in die Heimat gebrachten Motive und reflektiert ihre unterschiedlichen Bildauffassungen und Bildintentionen. In den sowohl geografisch als auch thematisch gegliederten Kabinetten wird dabei sehr anschaulich das facettenreiche Profil der reisenden Rhein-Main-Künstler herausgearbeitet.

Georg Friedrich August Lucas, Frascati, Wäscherinnen am Brunnen, Öl auf Leinwand, 1846, 58 x 47,5 cm; Sammlung Sander / The Sander Collection

Ihre gesammelten Reiseeindrücke hielten die Künstler in Bleistiftskizzen, Aquarellen, Ölstudien und später auch in Fotografien fest. Diese dienten nach der Rückkehr zumeist als Bildvorlagen für aufwendigere Ölgemälde. Angesichts einer steigenden Nachfrage spezialisierten sich einige Künstler auf bestimmte Bildsujets und trugen so teilweise zur Verbreitung stereotyper Vorstellungen von der Fremde bei.

Friedrich Frisch, Merkwürdiger Rückzug Ibrahim Paschas und der ägyptischen Armee durch Syrien, Öl auf Leinwand, 1842, 94 x 128,5 cm; Sammlung Sander / The Sander Collection

Die im Museum Giersch präsentierten Werke zeigen eindrucksvoll, welche landschaftlichen und kulturellen Merkmale die Künstler zu jener Zeit als aussergewöhnlich und damit als bildwürdig erachteten: malerische Meeresbuchten in Italien, alpine und skandinavische Bergwelten sowie karge Steppen- und Wüstenlandschaften des Vorderen Orients inspirierten zu farbintensiven Landschaftsdarstellungen. Neben der Landschaft galt das Interesse vor allem den Menschen: Bildnisse von schönen Italienerinnen, russischen Bauern, amerikanischen Indianerhäuptlingen oder marokkanischen Orientalen belegen die Neugierde und die Faszination für das andersartige Aussehen und die Kultur der fremden Menschen.

Der Ausstellungsrundgang beginnt mit dem klassischen Reisziel Italien, speziell Rom und Neapel. Italien mit dem Erbe der Antike und der Renaissance galt als das Land, dem sich die Europäer nördlich der Alpen auf magische Weise verbunden fühlten. Goethes italienische Reiseaufzeichnungen, die 1829 vollständig erschienen, markieren einen besonderen Höhepunkt der „Italiensehnsucht“.

Das klassische Reiseland Italien wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts immer stärker von Frankreich abgelöst. Zahlreiche Künstler reisten in den Wald von Fontainebleau und nach Paris, das sich zu einem neuen Zentrum der Kunst entwickelte. Durch die Kolonialisierung rückten allerdings auch die Kontinente Afrika und Asien stärker in das europäische Bewusstsein.

Eugen Bracht, Rast in der Araba (Peträisches Arabien), Öl auf Leinwand, 1882, 108 x 170 cm; Sammlung Sander / The Sander Collection

Da Eisenbahnlinien ebenso wie der Schiffsverkehr ausgebaut wurden, konnten weitere Wegstrecken in kürzerer Zeit bewältigt werden. Als Folge davon nahm ab 1850 die Reisefreude des Bürgertums auch in fernere Länder sprunghaft zu. Daraus erwuchs in der Heimat der Wunsch nach exotischen Darstellungen. So entstanden regelrechte Moden für fremde Motive. Einige Künstler spezialisierten sich auf aussergewöhnliche Bildmotive, um von diesem Trend finanziell zu profitieren. Damit trugen sie allerdings auch zur Verbreitung von Stereotypen bei.

Adolf Hoeffler, Sioux-Häuptlinge, Bleistift, Aquarell, 1852, 37 x 48 cm; Privatbesitz

Mitte des 19. Jahrhunderts rückten Künstler zunehmend von romantischen und idealisierenden Darstellungen ab und wendeten sich wirklichkeitsbezogenen Themen des Alltagslebens zu. Vor allem die Fotografie leistete bei der Abbildung realer Lebensumstände einen wesentlichen Beitrag.

Giorgio Sommer, Makkaroniesser, Albuminpapier, um 1865, 13,4 x 10,5 cm; Privatbesitz

Zu einer neuen Wahrnehmungsqualität trug der von Frankfurt nach Neapel ausgewanderte Fotograf Giorgio Sommer bei. Neben italienischen Sehenswürdigkeiten fotografierte er die einfache neapolitanische Bevölkerung. Die gezeigten Darstellungen von Strassenhändlern, einer Grossmutter und ihren Enkeln sowie den berühmten „Makkaroniessern“ wurden in Sommers Atelier inszeniert. Dennoch versuchte der Fotograf, sich der Lebenswirklichkeit der Personen anzunähern. Die Fotografien bedienten den Souvenirbedarf der Touristen, die die Eigenheiten des neapolitanischen Volkes als pittoreske, heitere Folklore verstanden. Damit trug Sommer auch zu stereotypen Vorstellungen vom rückständigen, aber idyllischen Leben in Italien bei.

Klischeehafte Bilder brachte insbesondere die Blütezeit der Orientmalerei hervor. Das Morgenland diente dem Abendland in positiver wie negativer Weise als Gegenentwurf zum eigenen Lebenshorizont. Auslöser für das rapide gewachsene Interesse am Orient war der Ägypten-Feldzug Napoleons 1798/1799, der zwar in einer militärischen Niederlage endete, jedoch durch die geraubten grossartigen Kunstwerke und die Forschungsberichte einen wahren „Orientrausch“ in Europa hervorrief. Von Frankreich breitete sich das Kulturphänomen des Orientalismus auf Gesamteuropa aus.

Adolf Schreyer, Zwei Beduinen vor einer Felswand, Öl auf Leinwand, 42,7 x 73 cm; Kunsthandlung J. P. Schneider jr., Frankfurt am Main; Foto: Marthe Andreas

Die Orientmaler schwelgten in prachtvollen Inszenierungen der arabischen Welten. Sie begeisterten sich für das gleissend helle Licht und die karge Vegetation der Wüste. Mit Detailverliebtheit malten die Künstler die fremden Trachten der Araber, deren Pferde und Kamele. Beim Publikum kamen diese Sujets gut an und die Nachfrage nach diesen „Einblicken“ in die fremdartigen und geheimnisvollen Welten des Orients war hoch. Aus dem Rhein-Main-Gebiet reisten unter anderem die Maler Friedrich Frisch, Adolf Schreyer und Eugen Bracht in den Orient, teils im Rahmen von Expeditionen, teils auf eigene Initiative.

Katrin Schwarz, Kuratorin der sehenswerten Schau, vor dem expressiven Gemälde „Spahis“ von Siegfried Shalom Sebba, Öl auf Leinwand, 1932, 67 x 170 cm; Stadtmuseum Hofheim am Taunus; Foto: Hans-Bernd Heier

Die Ästhetik der Fremde und die Moderne

Im 20. Jahrhundert fanden Künstler vor allem hinsichtlich ihrer Malweise neue Inspirationen ausserhalb der europäischen Ästhetik und prägten damit eine neue Auffassung von Kunst. Auch die Maler aus dem Rhein-Main-Gebiet folgten der Mode von Japonismus und Primitivismus und liessen sich vom Vorbild japanischer, afrikanischer oder prähistorischer Kunst anregen. Ihre Bilder der Fremde zeichnen sich durch eine enorme Stilvielfalt aus. Sie sind durch Impressionismus, Jugendstil, Expressionismus, Kubismus und Neue Sachlichkeit geprägt.

Die Expressionisten schufen allein aus ihrer Vorstellungskraft Idealbilder exotischer Welten, mit denen sie einen idyllischen Gegensatz zur Realität des 20. Jahrhunderts vermittelten. Die Künstler, die diese Bilder der Fremde erdachten, hatten niemals exotische Regionen bereist. Ihre Motive lassen sich nicht topografisch verorten, ihre fremdartig anmutenden Figuren stellen reine Typisierungen dar.

Besonders erwähnenswert ist noch ein Kabinett, in dem in einer reizvollen Gegenüberstellung prähistorische Felsbildkopien und Arbeiten von Willi Baumeister zu sehen sind. Die überwältigende Sammlung prähistorischer Felszeichnungen des in Frankfurt ansässigen ethnologischen Instituts Leo Frobenius, die Willi Baumeister als Lehrer an der Städelschule kennen gelernt hatte, beeinflusste den Maler massgeblich auf seinem Weg zur Abstraktion.

Zur Ausstellung ist ein 256 Seiten starker, reich bebildeter Katalog erschienen.

Faszination Fremde – Bilder aus Europa, dem Orient und der Neuen Welt, Museum Giersch, bis 14. Juli 2013

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum Giersch

 

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