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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

25 Jahre Jüdisches Museum Frankfurt

Dauerausstellung überarbeitet und ergänzt – vielfältiges Jubiläumsprogramm

von Hans-Bernd Heier

Das Jüdische Museum Frankfurt wird 25 Jahre alt. Am 9. November 1988 – dem „symbolischem Datum“, so Direktor Professor Raphael Gross, – wurde das Museum im Rothschildpalais als erstes jüdisches Museum im Nachkriegsdeutschland eröffnet.

Indianerinnen“ von Else Lasker-Schüler, um 1928; Kreide, Tusche, Bleistift auf Papier, 22 x 13,5 cm; Jüdisches Museum Frankfurt

Nicht nur mit seiner Dauerausstellung, die Geschichte und Kultur des jüdischen Volkes, speziell der Frankfurter Juden präsentiert, setzte das Museum Massstäbe, wie Gross im Rahmen eines Pressegesprächs erläuterte. Auch die über 100 Wechselausstellungen fanden internationales Besucherinteresse; erwähnt seien beispielsweise die sehr erfolgreichen Präsentationen: „Die Sammlung Reich-Ranicki“ im Jahre 2003, „Verehrt und verfemt – Chagall und Deutschland“, 2004, „Felix Nussbaum und die Moderne“ in 2005, „Else Lasker-Schüler – Die Bilder“, 2010 sowie „Bild dir dein Volk! Axel Springer und die Juden“ im letzten Jahr.

Direktor Raphael Gross vor dem Comic „Let My People Go!“; Foto: Hans-Bernd Heier

Die Dauerausstellung ist trotz aller Ergänzungen, Aktualisierungen und Änderungen in die Jahre gekommen und leidet unter Raumnot. Aus diesem Grunde soll das Museum am Untermainkai erweitert werden. Ungeachtet der äusserst klammen Finanzsituation der Stadt Frankfurt, die jetzt dazu führte, dass die bereits angekündigten Kulturvorhaben wie der Bau des Romantikmuseums und die vorgesehene feste Spielstätte für die „Fliegende Volksbühne“ wieder zur Disposition gestellt werden, gibt sich Museumsdirektor Gross optimistisch, im nächsten Jahr mit dem Erweiterungsbau starten zu können. Die Entwürfe der drei Architekturbüros, die im letzten Jahr prämiert wurden, werden derzeit überarbeitet und sollen in diesem Frühjahr den städtischen Gremien noch einmal vorgelegt werden. Gross rechnet mit einer Bauzeit von rund 18 Monaten. Ob und wie der laufende Museumsbetrieb während der Bauphase weitergeführt werden kann, ist noch nicht entschieden. Immerhin kann das direkt am Main gelegene Museum – zusammen mit der Dependance „Museum Judengasse“ am Börneplatz – rund 50.000 Besucherinnen und Besucher pro Jahr verzeichnen.

Dauerausstellung zum Jubiläumsauftakt überarbeitet und ergänzt

Den Auftakt für die vielfältigen Jubiläumsfeierlichkeiten, die sich über das ganze Jahr erstrecken, bildet die überarbeitete Dauerausstellung, die seit dem 24. Februar öffentlich zugänglich ist. Seit Herbst 2012 wurde die ständige Präsentation unter der Federführung von Kuratorin Eva Atlan behutsam überarbeitet. Dabei ging es nicht, wie Direktor Gross hervorhebt, um fundamentale Änderungen, sondern darum, Exponate, die nach 25 Jahren abgenutzt und beschädigt waren, zu ersetzen und um einige wichtige Objekte zu ergänzen, wie um das Selbstbildnis von Moritz Daniel Oppenheim mit seiner ersten Frau Adelheid. In diesem Porträt hat der Künstler sich und seine Frau in bürgerlich repräsentativem Habitus dargestellt. Obwohl Oppenheim zu diesem Zeitpunkt bereits ein angesehener Künstler war, wurde ihm aufgrund seiner jüdischen Herkunft das Bürgerrecht in Frankfurt noch verweigert.

Moritz Daniel Oppenheim, Selbstbildnis mit seiner ersten Frau Adelheid geb. Cleve, 1829, Öl auf Leinwand; © Jüdisches Museum

Die spektakulärste Neuerung der überarbeiteten Dauerausstellung empfängt die Besucher im Einführungsbereich zum Thema jüdische Feste und religiöses Leben in der zweiten Etage: Dort können Betrachter einen monumentalen Comic mit der Geschichte des Auszugs der Israeliten aus Ägypten entdecken. Unter dem Titel „Let My People Go!“ zeigt der 27 Quadratmeter grosse Comicstrip in rund 30 Bildern ohne Worte die Bitte Moses an den Pharao, sein Volk ziehen zu lassen, die Zehn Plagen, die Flucht durch das Rote Meer und endet mit der Übergabe der Zehn Gebote an Moses. Damit thematisiert die plakative Bilderfolge den Ursprung von gleich drei jüdischen Feiertagen: Pessach (der Auszug aus Ägypten), Sukkot (das Laubhüttenfest in Erinnerung an das Leben in provisorischen Hütten nach dem Auszug aus Ägypten) und Schawuot (die Übergabe der zehn Gebote an Moses).

Ausschnitt aus „Let My People Go!“, 300 x 900 cm; © R. Haselhorst / A. Martinez / Jüdisches Museum / Bild: Uwe Dettmar

Die Comics gehen auf einen künstlerischen Entwurf des Frankfurter Werbegrafikers Alexis Martinez zurück, der schon 2008 in der Comic-Ausstellung des Jüdischen Museums „Superman und Golem“ Arbeiten präsentierte. Sie wurden von der Comic-Zeichnerin Regina Haselhorst umgesetzt.

Tora-Vorhang, Deutschland, vermutlich Frankfurt am Main, 1866, Rostroter Samt mit Metallfadenstickerei, Pailletten und Brokatstoff, Leihgabe Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main; © Jüdisches Museum / Bild: Ursula Seitz-Gray

Die Darstellung im Bereich „Jüdische Feste und religiöses Leben“ geht insgesamt stärker von der Tora aus. Die Frage, was bedeutet die hebräische Bibel früher und heute, soll an vielerlei Objekten beantwortet werden. Zu den Objekten, die neu in Szene gesetzt wurden, gehört beispielsweise ein prächtig geschmückter Tora-Vorhang aus dem Jahr 1866, vermutlich aus Frankfurt. Der kürzlich aufwendig restaurierte Vorhang besteht aus rostrotem Samt und ist reich mit Metallfadenstickerei, Pailletten und Brokatstoff verziert.

Die Erläuterungstexte wurden mit Fotografien ergänzt. Sie zeigen aktuelle Szenen aus Frankfurt, jüdisches Leben als lebendige Gegenwart, etwa von einer Bar-Mizwa und einer Eheschliessung. Alle Texte zu den einzelnen Exponaten sind übrigens neu formuliert und zudem ins Englische übersetzt.

Stärker als bisher wird hier jüdische Geschichte als Teil der europäischen und Frankfurter Geschichte vorgestellt. Dabei wird die Rolle der Juden in der Stadtgeschichte erläutert. Ein Highlight ist die Abbildung von Süßkind Stern (gestorben 1686), das älteste Porträt eines Bewohners der Judengasse.

Darüber hinaus gibt die erneuerte Dauerausstellung einen Überblick über die Geschichte der Juden von der ersten Ansiedlung in Frankfurt bis in die Nachkriegszeit. Diese überarbeitete Schau stellt allerdings nur eine Zwischenlösung dar: Wenn voraussichtlich zum Jahreswechsel 2016 das um den Anbau erweiterte Museum seine Tore öffnet, soll eine gänzlich neue Dauerausstellung präsentiert werden mit dem Ziel, für die Besucher einen neuen Zugang zu den Themen und Objekten des Museums zu schaffen.

Das Blatt „Misrach“, Deutschland, 1897 ist noch bis zum 28. April 2013 in der Kabinettausstellung „Hauch des Lebens. Illuminierte Gebete, Misrachim und seltene Dokumente aus zwei Jahrhunderten“ im Jüdischen Museum zu bewundern.

Misrach, Deutschland, 1897

Zentrale Ausstellungsprojekte 2013 mit reichhaltigem Begleitprogramm

Für das Jubiläumsjahr haben Raphael Gross und sein Team ein anspruchsvolles, vielseitiges Programm vorbereitet. Dabei scheuen sie auch vor heiklen Themen nicht zurück, wie Juden und das Geld.

Juden. Geld. Eine Vorstellung

Die Figur des Shylock aus Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ und die des Nathan aus Lessings „Nathan der Weise“ scheinen einander diametral entgegengesetzt: Shylock repräsentiert den bösen, Nathan den guten Juden. Aber beiden ist auch etwas gemeinsam: Sie sind reich.

Die Ausstellung mit dem Titel „Juden. Geld. Eine Vorstellung“ widmet sich vom 25. April bis 6. Oktober 2013 der oft als selbstverständlich angenommenen Verbindung von Reichtum und Judentum und untersucht ihre historischen Hintergründe und fiktionalen Auswüchse. So werden mittelalterliche Geldverleiher, frühe Bankiers und Theoretiker des Kapitalismus vorgestellt, die wiederum die theatralische Bilderwelt inspiriert haben. Das Bild der „reichen Juden“ beeinflusst unser Verständnis von Judentum und Ökonomie noch heute.

Tafelaufsatz in Schiffsform, Geschenk des Kasseler „Hofjuden“ Feidel David an Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel (ca. 1780); © Museumslandschaft Hessen Kassel, Sammlung Angewandte Kunst

Zur Ausstellung wird es ein Begleitbuch und ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm geben, das von der Deutsche Bank gefördert wird.

Warum Menschen die Religion wechseln

Das Recht auf Konversion, also der Übertritt zu einer anderen Glaubensgemeinschaft, ist wie die Religionsfreiheit ein Menschenrecht. Lange Zeit waren Konversionen begleitet von Zwang, sozialem Druck und forcierter Assimilation. Das galt nicht zuletzt für die Konversion vom Judentum zum Christentum. Heute gelten Religionsübertritte als freie Entscheidung.

Doch Konversionen verlaufen auch in der Gegenwart keineswegs konfliktfrei, ja sie brechen Tabus und werfen offene Fragen auf. Die Ausstellung „Treten Sie ein! Treten Sie aus! – Warum Menschen ihre Religion wechseln“ – ein gemeinsames Ausstellungsprojekt der Jüdischen Museen Frankfurt, Hohenems und München – erzählt vom 14. Mai bis 1. September 2013 im Museum Judengasse Frankfurt vom unterschiedlichen Umgang der Religionen mit dem Thema Konversion, von der Vielfalt der individuellen Motive, von Ritualen, von Konvertiten und ihren Dramen – quer durch Zeiten und Räume Europas. Besucher erfahren von bekannten Persönlichkeiten wie Heinrich Heine, Gustav Mahler, Nahida Lazarus oder Leopold Weiss/Muhammad Asad, aber auch von Unbekannten, deren exemplarische Erzählungen den Blick auf die alltägliche und unspektakuläre Dimension der langen Geschichte der Konversion lenken.

Heinrich Heine; © Heinrich-Heine-Institut der Landeshauptstadt Düsseldorf

Das Jahr 1938 und das Kunstleben im Nationalsozialismus

In 2013 jährt sich das Novemberpogrom von 1938 zum 75. Mal. Das Jüdische Museum nimmt dies gemeinsam mit dem Fritz Bauer-Institut zum Anlass, um über die Geschichte des Pogroms hinaus das Jahr 1938 in dem Ausstellungsprojekt „Das Jahr 1938. Kunstleben im Nationalsozialismus“ zu behandeln. Gewählt wird dabei eine ungewöhnliche Perspektive, da im Mittelpunkt der Schau vom November 2013 bis Februar 2014 nicht Fotografien und Dokumente stehen werden, sondern Kunstwerke, die in diesem „Schicksalsjahr“ entstanden sind. Es ist dabei bezeichnend, dass eine ganze Reihe von Künstlerinnen und Künstlern in diesem Jahr Werke geschaffen haben, in denen sie unmittelbar oder in einer sehr subtilen Form auf die politische Situation und auch ihre persönliche Gefährdung reagierten, beispielsweise Arbeiten von Otto Freundlich, Felix Nussbaum, Jaques Lipchitz, Ernst Ludwig Kirchner, George Grosz, John Heartfield, Charlotte Salomon und Kurt Seligmann.

Thematisiert werden auch die Ausstellung „Entartete Kunst“ und ihr Gegenstück, die Präsentation von nationalsozialistischer Kunst in der „Grossen Deutschen Kunstausstellung“. Die Kunstwerke sollen dabei in ihrer Eigenständigkeit ebenso sichtbar werden wie als unmittelbare Dokumente ihrer Zeit. Das Konzept erstellt Julia Voss, Kunstredakteurin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Entwicklung des Familie-Frank-Zentrums

Das Jüdische Museum Frankfurt, der Anne Frank-Fonds Basel und dessen Präsident Buddy Elias, Vetter von Anne Frank, haben 2012 vereinbart, dass das Archiv und die gegenständliche Überlieferung der Familien Frank-Elias-Stern-Cahn sowie das Archiv des Anne Frank-Fonds nach Frankfurt kommen sollen. Im Laufe des letzten Jahres wurden die Gemälde, Fotos, Erinnerungsstücke und Möbel aus dem Besitz der seit dem 16. Jahrhundert in Frankfurt ansässigen Familie von Anne Frank umfassend dokumentiert. Aufgrund der grosszügigen finanziellen Unterstützung des Anne Frank-Fonds und der Schleicher-Stiftung sollen in Kürze zwei junge Wissenschaftlerinnen mit der Aufarbeitung des schriftlichen Nachlasses der Familie und des Archivs des Anne Frank-Fonds beginnen. Bis 2015 soll ein Inventar der Bestände erstellt werden. Ferner sind eine wissenschaftliche Tagung, museumspädagogische Programme sowie Publikationen zur Geschichte der Familien Frank-Elias-Stern-Cahn geplant.

Über das ganze Jahr 2013 bietet das Jüdische Museum eine Vielzahl von Veranstaltungen an. Neben Vorträgen und Diskussionsabenden zählen auch eine Kabinettausstellung mit ausgewählten Objekten aus der Sammlung Frank dazu. Anfang Mai soll der Siegerentwurf des Architektenwettbewerbs zum Erweiterungsbau präsentiert werden. Für den Herbst ist eine Diskussion mit dem Architekten des Siegerentwurfs geplant. Im Oktober werden im Rahmen eines Kolloquiums neue Ergebnisse in der Erforschung der Geschichte der Juden in Frankfurt bis zur Gegenwart diskutiert.

Überarbeitete Dauerausstellung im Jüdischen Museum der Stadt Frankfurt am Main, seit 24. Februar 2013

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Jüdisches Museum Frankfurt

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