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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Attila Csörgö und Roman Signer in der Kunsthalle Mainz

Von Vera Mohr

Internationaler soll’s werden in Mainz, das versprach der neue Leiter der Kunsthalle Mainz, Thomas D. Trummer, der im November seine erste Ausstellung präsentierte. Eingeladen hat er den Schweizer Künstler Roman Signer und den Ungarn Attila Csörgö. Inspiriert zu dieser Auswahl habe ihn die ursprüngliche Funktion der Kunsthalle, die, als Teil des ehemaligen Zollhafens, Energie für den Frachtbetrieb zulieferte.

Roman Signer, Kajak; Foto: Norbert Miguletz

Roman Signer, der’s schon mal richtig krachen lässt, hängte bereits vor Wochen sein Markenzeichen, ein knallrotes Kajak, an den letzten verbliebenen Kran des Hafens und mahnte, sich auf den Weg zu machen – und der darf in Mainz, dem Rhein sei Dank, durchaus im Wasser liegen.

Den Weg in die Kunstwelt ebnete sich der mehrfache documenta-Teilnehmer Signer mit explodierenden Kunstwerken, von denen oft nur noch Reste übrigblieben. Wie bei physikalisch-chemischen Experimenten werden seine Werke unterschiedlichen Energiebedingungen ausgesetzt, und man darf – durchaus spitzbübisch – warten, was geschieht. Die Nähe zu Bubenstreichen drängt sich geradezu auf. Seine „Zeitskulpturen“ werden akribisch geplant und gefertigt, um anschliessend zerstört zu werden. 1987 reihte er bei der documenta 350 Stapel aus 1000 Blatt Papier auf, um sie anschliessend alle gleichzeitig mit Sprengladungen in die Luft zu schiessen. Oder er montierte Sprengstoff hinter geschlossenen Fensterläden, um sie mit einem Schlag zu öffnen.

Roman Signer, Volets, 2012

In Mainz geht es ruhiger zu. Sanfte Luftbewegungen bringen die gewünschte Veränderung. Zwei Ventilatoren stehen vor einer Holzwand und pusten solange auf die geöffneten Fensterläden, bis diese geschlossen sind. Ist dies der Fall, werden sie durch einen dritten Ventilator hinter der Wand wieder geöffnet.

Roman Signer, Weihnachtsbaum, 2010

Scherben gibt es in dieser Ausstellung nur beim drehenden Weihnachtsbaum, der im ehemaligen Akkumulatorenturm steht. Die aufgehängten Glaskugeln werden durch die Rotation an die Wand geworfen und zerspringen.

Roman Signer, Kreis, 2003

Dagegen ist die aufgestellte Selbstbeschiessungsanlage nicht zur Anwendung zugelassen, sondern das rund gebogene Rohr, in dem auf einer Seite eine Pistole steckt, darf nur betrachtet werden. Der Augenblick vor dem grossen Spektakel wirkt wie eingefroren. Die Zeit wird angehalten, die Aktion bleibt aus. Nur in Gedanken kann man der abgefeuerte Kugel folgen, die den Pistolenschützen im Rücken treffen würde.

Roman Signer, Brille mit Metallplatte, 2010

Roman Signer, Koffer im Käfig, 2012-11-21

Auch die Brille des Künstlers, die unter einer Eisenplatte liegt und „ihr die Stirn bietet“, reizt zum Kaputttreten. Doch Signer zwingt den Betrachter zum Verharren. Was wäre wenn? Wenn beispielsweise der Koffer im Metallgitter mit Sprengstoff gefüllt ist und der Zeitzünder bereits eingestellt ist? Doch der Crash – nichts als Spekulation. Wer krachende, explosive Kunst sucht, muss mit den Fotografien an den Wänden oder Videos vorlieb nehmen. Dem auf „Krawall“ gebuchten Besucher bleibt höchstens, das Kajak in der Zinnwanne (leicht !) zu schubsen, um die Veränderung des Kunstwerkes in der Zeit zu verfolgen.

Roman Signer, Kanal, 1995

Ist der Künstler ruhiger geworden? Ist ihm Mainz zu provinziell, um spektakuläre Auftritte zu organisieren? Fehlten finanzielle Mittel für aufwändige Inszenierungen? Die Fragen stehen im Raum. Kunsthallenleiter Trummer würde sich über einen höheren Ausstellungsetat freuen, soviel ist jedenfalls sicher.

Der zweite Künstler der Ausstellung, der Ungar Attila Csörgö, schrieb sich mit seiner „Quadratur des Kreises“ in das Gedächtnis der diesjährigen documenta-Besucher ein. Damals wandelte er mithilfe eines Spiegels die Kreise, die Regentropfen im Wasserbecken hinterliessen, in ein Viereck.

In Mainz zeigt der Künstler eine Reihe seiner sorgfältig konstruierten Modelle, die er unter Verwendung „einfachster“ Materialien und mit präzisen technisch-mathematischen Kenntnissen entwickelte.

Akribisch genau sind Metall- und Holzteile zu einem Aufbau zusammengeschraubt, in dessen Innerem kleine Holzröhrchen an dünnen Bindfäden hängen. Ein Elektromotor bringt Bewegung ins Geschehen. Ähnlich einem Puppenspiel werden die Holzstäbchen bewegt, sodass unterschiedliche Figuren entstehen. Aus drei verschiedenen Figuren (ein Tetraeder, ein Würfel, ein Oktaeder) bildet sich nach und nach eine Figur (ein Ikosaeder), um sich anschliessend wieder in die drei Ausgangsfiguren aufzulösen.

Bei seinem Würfel-Apparat spielt Csörgö mit dem menschlichen Interesse, möglichst alles gleichzeitig zu erhalten. Die Beschränkung des menschlichen Auges, das nicht um die Ecke blicken kann, trickst er mit einer genau berechneten Anordnung zahlreicher Spiegel aus und ermöglicht dem Betrachter einen Blick auf alle 6 Seiten eines Würfels zur gleichen Zeit.

Auf den ersten Blick sehen seine „Orangen“, die auf verkleideten Ventilatoren tanzen, alle gleich aus. Doch wer genauer hinsieht erkennt, dass jede der aus Papier gefertigten Kugeln ihren eigenen Tanzstil entwickelt, der jedoch nicht unterschiedlicher Luftzufuhr geschuldet ist, sondern das verarbeitete Papier gibt jeder Kugel eine individuelle Form, die zu den verschiedenen Bewegungen im Luftstrom führen. Csörgö musste feststellen, dass es nicht möglich ist, aus Papier eine Orange zu falten, sondern es bleiben immer Kanten und Ecken, die dort nicht hingehören.

Hoch oben im letzten Turmraum, wo jedes ausgestellte Kunstwerk mit dem grandiosen Blick über das Hafengelände bis zum Taunus konkurrieren muss, zwingt der ungarische Künstler den Blick, der weit schweifen will, in einen Eimer mit Altöl. Öl, das einst tief aus dem Erdinnern gefördert wurde, um nach industrieller Nutzung zu unangenehmem Sondermüll zu mutieren, den man möglichst schnell und kostenlos entsorgen will, zieht die Aufmerksamkeit des Besuchers ins Dunkle. Sobald der Eimer zu rotieren beginnt und die schwarz glänzende Masse nach aussen drängt und langsam die Wände hochklettert, verändert sich auch das „geölte“ Spiegelbild des Betrachters, das immer länger und dünner wird, während die Flüssigkeit in der Mitte immer tiefer nach unten sinkt.

Im Treppenhaus des Turmes liess der neue Leiter der Kunsthalle historische Aufnahmen aus dem Stadtarchiv aufhängen, um den Bezug zum ehemaligen Industriegelände zu verdeutlichen. Repräsentative Bauten demonstrieren die grosse wirtschaftliche Bedeutung, die man vor mehr als 100 Jahren dem Zollhafen zubilligte. Das gerade sanierte Weinkontor und die Kunsthalle sind da nur marginale Reste und harren auf den Umbau des Geländes in ein Wohn- und Arbeitsquartier, über das noch kräftig gestritten wird. Die Würfel sind noch nicht gefallen. Ob da ein Blick auf alle Seiten gleichzeitig helfen könnte?

In der mittleren Etage des Turms hat Trummer ein Kino eingerichtet, wo Videos und Filme vorgeführt werden können. Während der Ausstellung laufen Videos von Roman Signer. Darüber hinaus soll es hier mehrmals im Jahr unter dem Thema „Fade into you“ studentische Sonderveranstaltungen geben.

„Attila Csörgö. Roman Signer“, Kunsthalle Mainz, bis 17. Februar 2013

Abbildungen © die jeweiligen Künstler; Fotos (soweit nicht anders bezeichnet): Vera Mohr

 

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