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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Pelléas et Mélisande“ von Claude Debussy in der Oper Frankfurt

Übersinnliche Liebe

Text: Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus /Oper Frankfurt

Auf dem Spielplan der Oper Frankfurt steht seit 4. November 2012 Claude Debussys Werk „Pelléas et Melisande“. 18 Jahre ist es her, dass Regisseur Christoph Marthaler und Dirigent Sylvain Cambreling die Oper in Frankfurt realisierten.

Christiane Karg (Mélisande) und Christian Gerhaher (Pelléas); Foto: © Monika Rittershaus

Wort und Musik

Was für eine Musik, was für ein Klang. Grandios, wie die Musik und die französische Sprache eine Einheit bilden. Sie ist wie geschaffen für die Sprachmelodie. Es gibt keine Arien, nur Dialoge wie in einem Schauspiel, selten musikalische Zuspitzungen. Es gibt keine atmosphärischen Beschreibungen. Für die letzten Worte des Paares „Je t’aime – je t’aime aussi“ gibt es nur einen Takt. Jede Silbe hat ihre eigene Note, die Zwischenspiele sind geprägt von einem melodischen Fluss, den das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter seinem Dirigenten Friedemann Layer, einem gebürtigen Wiener, durch langsame Tempi wunderbar realisiert. Fast drei Stunden müssen die Ohren geduldig sein. Es lohnt.

Komponiert hat dieses Drame Lyrique – „Pelléas et Mélisande“ ist im eigentlichen Sinne keine Oper, sondern gesungenes Drama – Claude Debussy (1862 bis 1918). Sie ist die einzige Oper des französischen Komponisten. Den poetischen Text (1893) schrieb der belgische Schriftsteller und Philosoph Maurice Maeterlinck (1862 bis 1949, 1911 Nobelpreis, 1947 Präsident des internationalen PEN-Clubs). „Pelléas et Mélisande“ – Uraufführung 1902 in Paris, 1907 bereits in Fankfurt – ist ein Hauptwerk des literarischen Symbolismus.

Die Sinnbilder sind düster, hoffnungslos. Melancholie, Einsamkeit, Lähmung, Sprachlosigkeit, Todesnähe beherrschen das Werk, das herrliche poetische Sprachbilder über die Seele und die Natur hat. Die Kräfte der Natur, Meer, Sonne, Wind, Wald, Wasser, sind in Einklang mit den Liebenden.

Kaum Handlung, unterschwellige Spannung

Wer ist Mélisande, was für ein Wesen? Ist sie ein Mensch, ein Naturwesen oder ein überirdisches Wesen? Als Golaud sie an der Quelle im Wald trifft, sie fragt, wer sie sei , woher sie komme, weicht sie aus und lässt sich nicht berühren. „Ne me touche pas“, beschwört sie ihn. Er erfährt wohl, dass ihr Schreckliches zugestossen ist. Was nie enthüllt wird. Erst später akzeptiert sie Golauds Annäherung und wird seine Frau.

Christiane Karg (Mélisande) und Paul Gay (Golaud); Foto: © Monika Rittershaus

Golaud und Pelléas sind Halbbrüder. Sie haben ein gutes Verhältnis: Golaud  teilt ihm brieflich die Heirat mit. Er fürchtet, sein Grossvater Arkel werde sie missbilligen. Dieser wohnt mit Geneviève, Pelléas und seinem im Sterben liegenden Vater auf Schloss Allemonde. Golaud zieht mit seiner jungen Frau ein. Pelléas wollte dagegen das Schloss verlassen und zu seinem sterbenskranken Freund eilen. Der Grossvater bittet ihn, wegen des totkranken Vaters zu bleiben.

Schon in der ersten Begegnung mit Pelléas knistert es, besteht diese unterschwellige Spannung, die aufkeimende Liebe bewirkt. Im Garten, von wo aus das Meer zu sehen ist, beobachten sie die Lichter eines den Hafen verlassenden Schiffes. Es mutet an wie die Sehnsucht der beiden, aus dem Schloss zu fliehen, dessen Dunkelheit Mélisande beklagt, sie einschnürt, stumm macht.
Am Brunnen, an dem Mélisande mit Pelléas sitzt, fällt ihr Ehering, mit dem sie spielt, in die Tiefe. Wohl kaum aus Versehen, wie sie später Golaud sagt. Als das geschah, stürzte Golaud vom Pferd.

Im Bühnenbild spielt sich die Brunnen-Szene im Zimmer des Hauses ab, und Mélisande wirft den Ring aus dem Fenster. Das ist eindeutig. Ausgerechnet Pelléas soll noch in der Nacht mit ihr den Ring suchen, so befiehlt es der wütende Golaud. Da kommen sich die Liebenden nah.

oben Christiane Karg (Mélisande); unten Christian Gerhaher (Pelléas); Foto: © Monika Rittershaus

Die Handlung ist dürftig, sie spielt sich nur im Unterbewussten ab – ein Familienpsychogramm, das über zwischenmenschliche Nöte, über Ausweglosigkeit, über Hoffnungslosigkeit und Ratlosigkeit berichtet.

Mélisande hat schönes langes Haar, und die Erwähnung  „vom Turm herablassen“ erinnert an Grimms Märchen „Rapunzel“.  Pelléas, der das Schloss Allemonde verlassen will, ist fasziniert von diesem Haar und berührt es emphatisch. Das sieht Golaud, der später an diesem Haar zerren wird. Der Keim der Eifersucht ist gelegt. Bedrohend empfindet Pelléas den Spaziergang mit dem Halbbruder durch den dunkelsten Teil von Allemonde. Er erfährt, dass Mélisande schwanger ist, und als er von der Genesung seines Vaters erfährt, will er zum kranken Freund abreisen.

Zum ersten Mal – sie ahnen ihr Geschick – gestehen sich Pelléas und Mélisande ihre Liebe und umarmen sich. Nicht einmal vorher gibt es diese Geste. Golaud ermordet den Halbbruder. Mélisande, seine Frau, ist vom Tod gezeichnet und stirbt. Die Geburt der Tochter hat sie nicht wahr genommen. All ihre Lebenskraft war erloschen.

„Du verstehst nicht das Rätsel der Seele“, wirft der Grossvater seinem Enkel Golaud vor, der Mélisande selbst im Angesicht des Todes mit Fragen nach der Wahrheit traktiert. Er wird sie nicht erfahren.

Präzision und Genauigkeit

Regisseur Claus Guth, dessen Frankfurter Daphne-Inszenierung 2010 mit dem Theaterpreis DER FAUST ausgezeichnet wurde, bezeichnet „Pelléas et Mélisande“ als einen „Versuch über die Orientierungslosigkeit des Menschen … Meist scheinen die Menschen des Stückes so stark in die eigenen Verschlingungen gebannt, dass sie nicht mehr in der Lage sind, die Andern in ihrer  Andersheit wahrzunehmen“ (zitiert nach Programmheft).

Diese Sicht hat Claus Guth nachvollziehbar realisiert. Fröstelnd ist die Inszenierung und entwickelt trotz mangelnder Handlung unglaubliche Spannung. Seine Personenführung ist exzellent. Diese morbiden Gestalten bewegen sich langsam, fast stagnierend. Stillstand und Bewegung wechseln sich ab. Lähmend ist die Atmosphäre. Gefühlsregungen, Gefühlsausbrüche gibt es bei Grossvater Arkel und Sohn Golaud. Pelléas und Mélisande allerdings berühren sich nicht. Nach beider Tod begegnen sie sich und gehen aneinander vorbei, kein Zeichen, keine kleine Geste, der Gesichtsausdruck ohne Regung.

Nur in der Haarszene auf dem Sessel, als Pelléas die Geliebte mit dem Gürtel ihres Morgenmantels an den Sessel fesselt, durchbricht er das Schweigen, zeigt Gefühle.

Christiane Karg (Mélisande) und Christian Gerhaher (Pelléas); Foto: © Monika Rittershaus

Bühnen- und Kostümbildner Christian Schmidt hat kein Schloss kreiert, sondern ein gehobenes Bürgerhaus, auf dessen zwei Ebenen simultan gespielt wird. Nur in der Szene mit dem Brunnen, die im Zimmer spielt, gibt es einen Einwand. Stimmig sind die Lichtmomente, mit denen Olaf Winter das Geschehen unterstützt, die Figuren fokussiert und Schatten erzeugt.

Grossartige Sänger-Schauspieler stehen Claus Guth zur Verfügung: Christiane Karg als Mélisande und Christian Gerhaher als Pelléas. Es ist ihr Rollendebüt. Die Sängerin, die nächstes Jahr das Frankfurter Ensemble verlassen wird, begeistert durch ihren klaren, feinen, aber nicht lyrischen Gesang und durch einfühlsame Darstellung. Ihre zarte Figur entspricht dieser geheimnissvollen, jungen, zerbrechlichen Frau.

Ein vorzüglicher Partner ist Christian Gerhaher, Sänger des Jahres 2010. Dem begeisterten Liedsänger liegt Debussys Musik. Auch die Art seines Spiels verleiht der schwierigen Rolle eindrückliche Kontur.

Gegenspieler Golaud, gesungen von dem französischen Bassbariton Paul Gay, cholerisch und doch feinfühlig reflektierend, gelingt der Spagat zwischen den beiden Positionen ausgezeichnet. Alfred Reiters Debüt als Grossvater gefällt ebenso wie die Gestaltung der Geneviève durch die walisische Altistin Hilary Summers.

Früher wurde Yniold, der von seinem Vater Golaud gezwungen wird, die Liebenden zu beobachten, von Sopranistinnen gesungen. Zwei Solisten des Mainzer Domchores, der 12jährige David Jakob Schläger und der 11jährige Timothy Wilson, wechseln sich in der Rolle ab. Die Besetzung mit Jungen ist authentisch. Der Zwölfjährige, der in der Premiere sang, meisterte die Rolle vorzüglich.

oben Alfred Reiter (Arkel) und Christiane Karg (Mélisande; sitzend); unten Paul Gay (Golaud; sitzend), Sungkon Kim (Ein Arzt), Timothy Wilson (Yniold; liegend), Hilary Summers (Geneviève); Foto: © Monika Rittershaus

„Pelléas et Mélisande“ wird in der Oper Frankfurt am 10., 18., 23., November, am 6. und 8. Dezember 2012 jeweils um 19.00 Uhr gespielt, am 25. November dagegen bereits um 15.30 Uhr. Dann gibt es kostenlose Betreuung von Kindern zwischen 3 und 9 Jahren.

Die Vorstellung am 23. November 2012 findet als Benefizvorstellung zugunsten von INTERPLAST-Germany e. V. statt. Die humanitäre Hilfsorganisation hilft Kindern in armen Ländern, die unter Unfallfolgen, unter Missbildungen und Tumorerkrankungen leiden, durch wiederherstellende Operationen.


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