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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Nazarener: Aktueller denn je ?

„Die Nazarener – vom Tiber an den Rhein“ im Landesmuseum Mainz

Von Vera Mohr

Joseph Anton Dräger, Heilige Cäcilie, 1823, Staatliche Schlösser und Gärten Hessen, Schlossmuseum Weilburg, © GDKE Landesmuseum Mainz, Foto: Ursula Rudischer

Eine schöne junge Frau spielt auf dem Klavier. Den Mund zum leisen Gesang geöffnet, blickt sie andächtig in das aufgeschlagene Buch. Unter dem kurzen roten Kleid trägt sie einen blauen Rock – oder ist es eine Pluderhose -, der ihre Beine vollends bedeckt. Auch die Arme verschwinden bis zu den Handgelenken unter einer weißssen Bluse. Von der Welt draussen ist sie durch dicke Mauern abgeschottet, nur schmale Fensteröffnungen in ihrem Rücken geben die Natur frei. Das Blickfeld der Klavierspielerin begrenzt ein schwerer goldener Klappaltar, dessen einer Flügel einen alten Mann zeigt, der sich auf ein Schwert stützt, während er in einem Buch liest.

Ein Wächter, der bereit steht, das wahre geschriebene Wort mit dem Schwert gegen Ungläubige zu verteidigen? Einer, der die Frau beschützt oder besser bewacht, damit sie nicht abweicht von dem, was geschrieben steht? Religiöser Terror?

Das so aktuell anmutende Bild entstand vor knapp 200 Jahren. Mit dem Bild aus der Hand eines Nazareners, die als romantische Kitschmaler heute meist nur mitleidiges Lächeln ernten, wirbt das Mainzer Landesmuseum auf allen Litfasssäulen.

Ein Sommer voll Kitsch: Koons in Frankfurt, Nazarener in Mainz. Oder alles Kunst ?

Kurator Norbert Suhr führt durch Nazarener-Ausstellung (Foto: Vera Mohr)

Zurück zum Mainzer Bild

Joseph Anton Dräger, ein Nazarener, malte das Bild der Heilige Cäcilie, das 1822 der preussische König Friedrich in Rom sah und kaufte. Die junge schöne Römerin Cäcilie, die der Legende nach ein Leben als Braut Gottes führen wollte, wurde von ihren Eltern zwangsverheiratet. Doch in der Hochzeitsnacht gelingt es ihr, den ungläubigen Verlobten vom Ehevollzug abzuhalten und zum Glauben zu bekehren. Sie stiftet ihn an, hingerichtete Christen zu begraben, worauf er selbst enthauptet wird; und auch Cäcilie gerät in den Fokus der Christenverfolger und wird in ein kochendes Bad gesetzt, das sie allerdings als kühl empfindet. Die anschliessende Enthauptung wird stümperhaft ausgeführt, und so bleiben ihr noch drei Tage Zeit, ihr Vermögen an Arme zu verteilen und Ungläubige zu bekehren. Der alte Mann auf den Seitenflügel ist Apostel Paulus, der mit einem Schwert enthauptet wurde. Paulus, der als Pharisäer und Schriftgelehrter Saulus die Christen verfolgte, wurde von Jesus bekehrt und brachte den neuen Glauben nach Rom, wo er als Märtyrer endete. In der Ikonographie werden Märtyrer oft mit dem Gegenstand dargestellt, durch den sie den Tod fanden. Bei der Komposition des Bildes wurde Dräger womöglich durch die Erzählung „Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik“ von Heinrich von Kleist (1811) beeinflusst, in der Cäcilie mit ihrem Orgelspiel ein Kloster vor Bilderstürmern rettete.

Johann von Schraudolph, Engel mit Scheitel, Fresko, Dom- und Diözesanmuseum Speyer, © GDKE Landesmuseum Mainz, Foto: Ursula Rudischer

Apropos Bilderstürmer

Davon können die Nazarener ein Lied singen, denn schon am Ende des 19. Jahrhunderts standen sie auf der Seite der „Loser“. Bismarcks Kulturkampf gegen die katholische Kirche entzog den Künstlern, die sich dem Katholizismus verschrieben hatten, Anerkennung und finanzielle Grundlage. Die Aufträge blieben aus, vorhandene Werke verschwanden und wurden vergessen. Später fielen viele Kirchenbilder dem Bombenhagel zum Opfer. Und danach mochte man die als Kitsch verschrienen Gemälde, soweit sie noch vorhanden waren, auch nicht mehr. Vor knapp 60 Jahren befreite man den Dom zu Speyer von Johann von Schraudolphs Gemälden. Runter mussten die für Nazarener so typischen Fresken, der Zeitgeist forderte Veränderung. Doch 2012 werden die von einem Restaurator geretteten Bilder wieder im Dom zu sehen sein. Ende des Jahres ist es soweit. Bis dahin kann man Fresken mit musizierenden Engeln in der Ausstellung in Mainz bewundern. Die Fresken präsentieren sich so, wie sie einst abgenommen wurden, von ihrer Rückseite.

Doch nicht nur in sakralen Bauten wurden die Nazarener tätig. Wie schon in Rom fanden sich auch nördlich der Alpen private Auftraggeber, denen die Malweise gefiel und die sich ihre Villen von den Künstlern verschönern liessen. Der Trierer Weingutsbesitzer Matthias Joseph Hayn beauftragte bereits 1828 den Künstler Johann Anton Ramboux, seine Villa mit Fresken auszumalen, die jedoch bei verschiedenen Umbauten zerstört wurden. Lediglich ein Ausschnitt aus dem Gemälde „Die Einfuhr des letzten Weinfuders“ blieb erhalten und zählt zu den Hinguckern der Ausstellung.

Ferdinand Becker, Die Rolandsknappen mit den Geschenken der Zauberin Drude, 1876, Landesmuseum Mainz, © GDKE Landesmuseum Mainz, Foto: Ursula Rudischer

Kunst versus Volkskunst

Der Mainzer Maler Ferdinand Becker, der bei Eduard von Steinle lernte, illustrierte die „Volksmärchen der Deutschen“ von Karl Musäus. Ein Zyklus thematisiert die Rolandsknappen, die im Kampf um eine Frau ihre Zaubergeschenke gegeneinander einsetzen und sie verlieren. Die Illustrationen in Märchen- und Lesebüchern erreichten fast alle Bevölkerungsschichten. Ferner wurden viele Nazarener-Motive auf Andachtsbilder gedruckt und millionenfach verbreitet. Ihre Kunst wurde zur „belächelten“ Volkskunst, während sich die elitäre Kunstwelt von den „Gestrigen“ abwandte und neuen Strömungen huldigte.

Die Nazarener, Ausstellungsansicht, Foto: Vera Mohr

Die Nazarener wollten von Beginn an öffentliche Kunst machen, die jeder sieht, um der Religion zu dienen. Dann aber, als ihre Werke dank verbesserter und verbilligter Druckkenntnisse zum Massenprodukt wurden, das in jedem Haushalt zu finden war, verschwanden sie aus der seriösen Kunstwelt. Die im 19. Jahrhundert aufkeimende, elitär geprägte Kunstwissenschaft, die für sich die Kunstdeutung in Anspruch nahm, und die veränderten politischen Verhältnisse, die das Religiöse immer stärker auf den Privatbereich zurückdrängten, entzogen der katholisch geprägten Nazarener-Bewegung den Rückhalt in den kunstbegeisterten Zirkeln der Gesellschaft, die sich vom Realismus und Impressionismus Neues und Abwechslung versprachen.

Eduard Ihlée, König Ludwig von Frankreich gründet das Hospital zu Compiègne“ (trägt mit seinem Sohn Kranke ins Krankenhaus von Compiègne), 1845, Foto: Vera Mohr

Jeff Koons dagegen nutzte Tabu-Themen und Massenprodukte, die im kollektiven Gedächtnis verhaftet sind, um seinen Ruf als Künstler zu untermauern. Seine global bekannten Motive, Personen und Gegenstände rufen individuelle Erinnerungen ab, vor allem aber provozieren sie und fördern die Publicity des Künstlers und seiner Werke. Fachliche, kunsthistorische Bewertung war gestern. Wichtiger ist die Präsenz in öffentlichen Medien, sie befeuert die Lust am Spekulieren, treibt den Kaufpreis nach oben und schafft den „Superstar“. Dann verfallen kunstrelevante Einrichtungen dem Lockruf der Exklusivität, wittern Besucherrekorde und bieten Raum für gegenseitige Beweihräucherung.

Pressekonferenz, (v. r.) Andrea Stockhammer, Thomas Metz, Walter Schumacher, Norbert Suhr, Nico Kirchberger, Foto: Vera Mohr

Die „rheinland-pfälzischen“ Nazarener

Die Ausstellungsreihe, zu der die Mainzer Präsentation „Nazarener – vom Tiber an den Rhein“ gehört, die das Land Rheinland-Pfalz den romantisch-religiösen Malern des 19. Jahrhunderts widmet, geht den unterschiedlichen Strömungen der Nazarener-Kunst in Deutschland nach. Denn dazu bietet sich das nach dem Zweiten Weltkrieg zusammengewürfelte Land geradezu an. Im Norden kommt der Einfluss der Düsseldorfer Schule zum Tragen, in der Pfalz regierten die Bayern und die Münchner Akademie hinterliess ihre Spuren, während in Mainz und Rheinhessen die Nähe zur Städelschule nachvollziehbar ist. Jede der nazarenisch geprägten Akademien entwickelte ihren eigenen Stil, der sich an zahlreichen Exponaten ablesen lässt.

Philipp Veit, Selbstbildnis, Öl auf Leinwand, Direktion-Landesmuseum Mainz, © GDKE Landesmuseum Mainz, Foto: Ursula Rudischer

Für die Ausstellung in Mainz ist Philipp Veit, der ehemalige Leiter der Städelschule, von Bedeutung. Er erhielt den Auftrag, den Mainzer Dom auszumalen. Ferner war er der Leiter der Mainzer Gemäldegalerie und nahm Einfluss auf den Bildankauf. Das Landesmuseum verwaltet heute seinen Nachlass, so dass zahlreiche Exponate der Ausstellung aus dem eigenen Bestand stammen.

Peter Rittig, Tobias empfängt Sara vor dem Haus seiner Eltern, 1824, Foto: Vera Mohr

Die Ausstellungsmacher begnügen sich nicht mit den allseits bekannten Künstlern, sondern erforschen das Umfeld der Akteure und präsentieren Namen, die bisher nicht mit Nazarenern in Verbindung gebracht wurden. Sie untersuchten die von der Kunstwissenschaft vernachlässigte Spätphase der Nazarener und widmeten sich den stilistischen Veränderungen im Werk einzelner Künstler.

Joseph Anton Dräger, Rahel und Jacob am Brunnen, Öl auf Holz, Stadtmuseum Simeonstift Trier, © GDKE Landesmuseum Mainz, Foto: Ursula Rudischer

Die Präsentation im Landesmuseum ist Dreh- und Angelpunkt für den umfangreichen Nazarener-Bestand in Rheinland-Pfalz. Nicht nur der Dom in Mainz und der in Speyer wurde von Nazarenern ausgemalt, sondern in zahlreichen kleineren Kirchen und Kapellen sind noch heute Werke verschiedener Künstler vorhanden, die in einem Kunstführer, der zu einer Vor-Ort-Betrachtung animiert, zusammengestellt wurden.

„Die Nazarener – vom Tiber an den Rhein“, Landesmuseum Mainz, bis 25. November 2012

 

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