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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Fremd bin ich den Menschen dort“ – Ein Blick in die Sammlungen des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 und des Deutschen Literaturarchivs Marbach

Erzwungenes Exil – Hommage an Ernst Loewy und andere Exilanten

Von Renate Feyerbacher

Hunderttausende Menschen, rund eine halbe Million, mussten zwischen 1933 und 1945 Deutschland verlassen. Viele von ihnen waren Juden. Es waren Menschen aus den verschiedensten Berufsbereichen: Künstler, Wissenschaftler, Angestellte, Arbeiter und Beamte, Männer, Frauen und Kinder. Manche gingen frühzeitig, manche im letzten Moment.

Das Deutsche Exilarchiv, angesiedelt in der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) Frankfurt-Leipzig, die in diesem Jahr ihr 100jähriges Jubiläum feiert, hat viele Magazine mit Erinnerungsstücken von Exilanten gefüllt.

Ausstellungsplakat

Allein von Ernst Loewy (1920 bis 2002) stapeln sich 100 solcher Boxen mit seinem Nachlass in den Magazinsälen des Frankfurter Hauses. Mehrere tausend Seiten Papier werden darin aufbewahrt.

Der Lebensweg von Ernst Loewy, einer von 16 Persönlichkeiten, an die mit Exponaten, Objekten, Ton- und Filmdokumenten in der Ausstellung der DNB Frankfurt erinnert wird, interessiert. Denn ich war mit Ernst Loewy über drei Jahrzehnte, ich darf sagen, befreundet.

Die Kölner Studentin, Renate Mouchard, suchte 1967 für ihre Magisterarbeit Dokumente über den nationalsozialistischen Schriftsteller Eberhard Wolfgang Möller, vor allem Beweise, dass Möller das erste Drehbuch zum Nazi-Hetzfilm „Jud Süß“, den Veit Harlan realisierte, geschrieben hatte. Erst viele Jahre später gab es Belege. Sie forschte auch im Deutschen Rundfunk-Archiv in Frankfurt am Main. Dort war Ernst Loewy Referent, der eine Art Mentor für ihre Arbeit wurde. Und da sie Ende 1967 nach Frankfurt zog, vertiefte sich der Kontakt und wurde zur Freundschaft.

Ernst Loewy wuchs wohlbehütet von Mutter und Grosseltern in Krefeld auf. Sein Vater war Handelsvertreter für Textilfirmen. Die Familie lebte nicht streng nach den orthodoxen jüdischen Regeln, hielt aber die Feiertage ein. Mit zehn Jahren wurde der Junge zum ersten Mal mit dem aufkeimenden Antisemitismus konfrontiert. Er war schockiert, und diese „diffus empfundene Bedrohung“, die 1933 Realität wurde, belastete ihn.

Ernst Loewy mit den Eltern

Nach dem Erlass der sogenannten Nürnberger Gesetze am 15. September 1935, die zum Schutz des „Deutschen Blutes“ Eheschliessungen und aussereheliche Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden verboten, verliess Ernst Loewy die Schule ohne Mittlere Reife.

Auf dem Gut Schniebinchen bereitete sich der 15jährige auf die Auswanderung nach Palästina vor. Am 2. April 1936 landete er allein mit einer Gruppe von Jungen und Mädchen in Haifa und wurden noch am gleichen Tag in eine landwirtschaftliche Gemeinschaftssiedlung – Kwuzah – gebracht. Er schrieb häufig seinen Eltern, er war enttäuscht über das Leben in der Kwuzah. Es wurde gearbeitet, gegessen, geschlafen, aber nicht gelesen. „An geistigen Dingen haben sie nicht das geringste Interesse“ (Brief an die Eltern, 8. Mai 1936).

Einwanderungspapier

Loewy wollte nicht in der Landwirtschaft arbeiten. Gerne hätte er studiert, das war aber in Palästina aus finanziellen Gründen nicht möglich, und das nationalsozialistische Deutschland hat es ihm verwehrt. Er wurde Buchhändler. Tagsüber verkaufte er, abends und nachts las und schrieb er.

Nach dem Novemberpogrom in der Nacht vom 9. auf den 10.November 1938, im Volksmund auch zynisch „Reichskristallnacht“ genannt „wegen der Millionen Glasscherben, die das Pflaster Berlins vor den jüdischen Läden bedeckten“ (Ian Kershaw: „Hitler 1889 – 1945“, S.486), kamen viele Flüchtlinge nach Palästina – auch Ernst Loewys Eltern. Die Not war gross.

Dienst in der britischen und israelischen Armee, Tätigkeit als Buchhändler und schliesslich Bibliothekar und Archivar im Presseamt der israelischen Regierung waren die weiteren beruflichen Stationen.

Zeitschrift „Orient“

Ernst Loewy schrieb Beiträge für die Zeitschrift „Orient“, die Wolfgang Yourgrau und Arnold Zweig herausgaben. Damals sympathisierte er mit der Sowjetunion, von der er den Sieg über Nazi-Deutschland erhoffte. 1950 wurde er sogar Mitglied der Kommunistischen Partei Palästinas.

Loewy war verheiratet. Drei Söhne  wurden geboren: Ronny und Peter noch in Israel, Hanno in Deutschland. Ronny, der älteste, starb im August 2012 mit 66 Jahren. Er war Filmhistoriker und dem Deutschen Filmmuseum und Deutschen Filminstitut in Frankfurt am Main viele Jahre als Mitarbeiter verbunden.

Brief Thomas Manns an Ernst Loewy, 1950

1956 kehrte die Familie nach Deutschland zurück, gewünscht war allerdings die DDR, die aber keine Einreisegenehmigung erteilte. So landeten schliesslich alle, auch Loewys Eltern, in Frankfurt. Zunächst war er Leiter der Judaica-Abteilung der Frankfurter Stadt- und Universitätsbibliothek und ab 1964 im Referent im Deutschen Rundfunkarchiv.

Vitrine Ernst Loewy mit dem Auswanderungs-Koffer

Warum sind Ernst Loewy und seine Frau, die auch nach Palästina emigrierte, zurückgekommen? Ein Grund: Israel ist nicht zu ihrer Heimat geworden. Ein anderer Grund: die Sprache, die Landschaft, das Klima, das Grün der Wälder in Deutschland. Warum hätten sie nicht zurückkehren sollen, „… da wir doch hier geboren sind wie schon unsere Grosseltern und also [eigentlich] Deutsche sind“.

1960, mit 40 Jahren, schafft er bei Theodor W. Adorno das Begabtenabitur, studiert an der Universität Mainz, veröffentlicht 1966 die Dokumentation „Literatur unterm Hakenkreuz“, 1979 die Anthologie „Exil. Literarische und Politische Texte aus dem deutschen Exil 1933-1945“, wird 1984 Vorsitzender der neu gegründeten Gesellschaft für Exilforschung e.V. und später ihr Ehrenvorsitzender. Nach seiner Pensionierung beim Deutschen Rundfunkarchiv war er Gastdozent, 1988 Lehrbeauftragter der Universität Osnabrück, die ihm 1989 die Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Sprach-und Literaturwissenschaft verlieh.

Die Geschichte von Ernst Loewy, der Opfer des Nazi-Regimes war, ist eine von sechzehn, die in der Ausstellung erzählt werden.

Drei weitere Persönlichkeiten sind:

Dora Schindel, geboren 1915

Dora Schindel

Sie hat zusammen mit der Schriftstellerin Herta Müller die Ausstellung eröffnet. 1941 war sie nach Brasilien geflohen, wo sie „nicht unbedingt hinwollte“; auch sie kehrte wieder, ohne Hassgefühle, nach Deutschland zurück.

Die Publizistin Margarete Buber-Neumann (1901 bis 1989)

Vitrine Margarete Buber-Neumann

Die Kommunistin floh zusammen mit ihrem Mann, dem KPD-Funktionär und Reichstagsabgeordneten Heinz Neumann, nach Moskau. Ihr Mann wurde 1937 dort verhaftet und hingerichtet. Sie wurde in ein Straflager nach Kasachstan deportiert, 1940 im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes nach Deutschland ausgeliefert und im KZ Ravensbrück inhaftiert. Sie war das Opfer zweier Diktatoren: Hitler und Stalin. Sie starb 1989 in Frankfurt.

Der Finanzwissenschaftler Fritz Neumark (1900 bis 1991).

Der Professor an der Frankfurter Universität floh an den Bosporus, wo er in Istanbul eine Professur erhielt. Zurück gekehrt wurde er zweimal Rektor der Frankfurter Universität: 1954/1955 und 1961/1962. Er war der Nestor der Finanzwissenschaft und einer der Einflussreichsten dieses Fachs nach dem Krieg.

Vitrine Fritz Neumark

Die Dichterin Emma Kann, 1914 in Frankfurt geboren, die 94jährig 2009 starb, hat auf ihrer Flucht Internierungslager erdulden müssen. Aus ihrem Gedicht „Heimatlos“ stammt der Titel der Ausstellung, die von der Kuratorin Sylvia Asmus, Leiterin des Exilarchivs, umsichtig und informativ gestaltet wurde.

In der Ausstellung werden ferner die Lebenswege von Richard A. Bermann, Schriftsteller und Journalist, Frederick R. Eirich, Chemiker, Lisa Fittko, politische Exilantin, Leon Hirsch, Verleger, Emma Kann, Lyrikerin, Hanns W. Lange, Kürschner, Hilde Loewe-Flatter, Komponistin und Pianistin, Ernst Moritz Manasse, Altphilologe, Rudolf Olden, politischer Publizist und Jurist, Leo Perutz, Schriftsteller und Versicherungsmathematiker, Hans Vogel, SPD-Politiker und Clementine Zernik, Juristin, gewürdigt.

Am 16. Oktober 2012, 18 Uhr gibt es eine Kuratorenführung, und um 19 Uhr spricht Wolfgang Benz über Deutsche Juden im 20. Jahrhundert – Eine Geschichte in Portraits. Am 19. Oktober um 19 Uhr ist schliesslich der amerikanische Literaturwissenschaftler Guy Stern Gast der Finissage.

Deutschen Nationalbibliohek, Frankfurt am Main, Adickesallee 1. Die Ausstellung endet am 20. Oktober 2012.

Bildnachweis Deutsche Nationalbibliothek; © Dokumente und Bildmaterial jeweilige Rechteinhaber und Leihgeber; Fotos der Ausstellungsansichten: Renate Feyerbacher

 

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