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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Das Genie und das Geld (1)

Wie Goethe ein Vermögen anhäufte (1)

Von Hans-Bernd Heier

„Nach Golde drängt,
Am Golde hängt
Doch alles. Ach wir Armen!“

klagt Gretchen in Johann Wolfgang Goethes „Faust“. Mit Gretchens Seufzer beschreibt der Dichter die wohl zeitlose Sehnsucht nach Sicherheit, für die das gelbe Metall unverändert steht, sowie das Streben nach Wohlstand.

Das schwarze Zauberbuch des Doktor Johann Faust, angeblich aus dem Jahre 1530 in einer Handschrift um 1810; © Freies Deutsches Hochstift.
Das Vorbild für Goethes Faust war der Schwarzkünstler und Wunderheiler Doktor Johann Faust (um 1480 bis 1539), der sich der Sage nach der Magie verschrieb und Leib und Seele riskierte, um Gold künstlich herzustellen – ein alter Traum der Alchemisten, der in dieser Zeit die seltsamsten Blüten trieb

„Die Konstellation war günstig“

Goethe selbst war nie arm. In „Dichtung und Wahrheit“ teilt er dem geneigten Leser mit: „Am 28ten August 1749, mittags mit dem Glockenschlag zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt. Die Konstellation war glücklich: die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau und kulminierte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sie freundlich an …“. Nicht allein die Sterne standen günstig bei seiner Geburt, auch sonst waren die Umstände und Verhältnisse, in die der künftige Dichter hineingeboren wurde, durchaus glücklich zu nennen. Der Spross entstammte der Ehe von Johann Caspar Goethe (1710 bis 1782) und der intelligenten und lebensfrohen Catharina Elisabeth (1731 bis 1808), der kurz Aja genannten Tochter des angesehenen Frankfurter Stadtschultheissen Johann Wolfgang Textor, dem Namenspaten des Neugeborenen. Der Junge wuchs in einem wohlhabenden Elternhaus auf. Das ererbte Vermögen enthob die Familie aller finanziellen Sorgen und seine Eltern unterstützten ihn stets sehr freigiebig.

Vater Johann Caspar – von Kaiser Karl VII. zum „Kaiserlichen Rat“ ernannt – konnte es sich leisten, als Rentier zu leben und sich ganz der Erziehung und Ausbildung seiner zwei Kinder, Johann Wolfgang und der ein Jahr jüngeren Schwester Cornelia, zu widmen. Privatlehrer wurden für die künstlerische Ausbildung der beiden Kinder engagiert. So wuchsen diese in einem wohlbehüteten bürgerlichen Elternhaus auf.

Ein unbekannter Künstler porträtierte um 1765 den damals 16-jährigen Johann Wolfgang Goethe; © Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Haus

Goethes Grossvater mütterlicherseits, Johann Wolfgang Textor (1693 bis 1771), höchster Würdenträger der Stadt, bekleidete in Frankfurt als Schultheiss 23 Jahre lang das höchste Amt, das die freie Reichsstadt zu vergeben hatte. Dadurch gewann der junge Goethe manch intime Einblicke in das gesellschaftliche Leben der überwiegend privilegierten Kreise. Herausragende Ereignisse waren die Wahl- und Krönungsfeierlichkeiten für Joseph II., die Goethe dank des Amtes seines fürsorglichen Grossvaters als Zaungast hautnah miterleben durfte.

Die Krönung Josephs II. im Frankfurter Dom; Werkstatt Martin van Meytens d. J. (Johann Dillinger) 1774; © Kunsthistorisches Museum Wien

Die Reichsstadt war bereits in der Zeit von Goethes Kindheit eine europaweit bedeutende Messe- und Handelsstadt. Das „Geschäftemachen“ gehörte hier zum Alltag, den der bereits damals wirtschaftlich interessierte Johann Wolfgang bei seinen Streifzügen durch Frankfurts Gassen neugierig beobachtete.

„La Bourse à Francfort a/M“, anonym, um 1830; kolorierte Lithographie; © Historisches Museum Frankfurt

Mehrfach besuchte er die Börse und ihre Warenmärkte in Frankfurt. Versammlungsort der Börse war seit 1694 das Haus Braunfels am Liebfrauenberg. Hier trafen sich die Bankiers und Grosshändler zweimal in der Woche – in der Regel im Hof unter freiem Himmel. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts war der Frankfurter Kapitalmarkt im Geschäft mit Staatsanleihen führend.

Bildung als wichtiges und teures Gut des Bürgertums

Goethes Vater Johann Caspar führte kontinuierlich und akribisch Buch über sämtliche alltäglichen Ausgaben der Familie und verzeichnete gewissenhaft die Löhne der Bediensteten. Allein die jährlichen Ausgaben für Haushaltsführung und Ernährung betrugen mit etwa 893 Gulden mehr als viermal so viel wie ein Maurergeselle im Jahr verdiente.

„Liber Domesticus“, Haushaltsbuch von Johann Caspar Goethe, Frankfurt am Main, 1753 bis 1779; © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv (Foto: der Autor)

1765 verliess Frankfurts berühmtester Sohn die Stadt, um in Leipzig und Straßburg auf Drängen seines Vaters Rechtswissenschaft zu studieren. Die Eltern stellten ihm einen grosszügigen Wechsel aus: Von 1765 bis 1768 erhielt der Studiosus durchschnittlich 1.200 Gulden pro Jahr. Das waren immerhin knapp 50 % der jährlichen Gesamtausgaben der ganzen Familie von durchschnittlich 2.592 Gulden. Diese Zahlen belegen den enormen Wert, den das Bürgertum des 18. Jahrhunderts auf Bildung legte. Mit dieser reichlich bemessenen Apanage konnte Goethe bestens leben und die Freuden des Studentenlebens voll geniessen.

Beim „Werther“ zahlte Goethe teures Lehrgeld

Goethes erster Erfolgsroman „Die Leiden des jungen Werthers“ (1774) – ein europäischer Bestseller – verhalf nicht ihm, sondern den zahlreichen Verlegern und Raubkopierern zu Profit. Bereits im ersten Jahr nach Erscheinen der Originalausgabe waren acht Raubdrucke auf dem Markt. Der junge Schriftsteller war auch Opfer der in Zeit üblichen Praxis der Verleger geworden, Nachdrucke ohne Absprache und ohne Honorierung des Autors herzustellen und zu vertreiben. „Dabei konnte es sich sowohl um unabgesprochene Nachauflagen des rechtmässigen Verlegers handeln als auch um sogenannte Raubdrucke, die ohne Vertrag mit dem Autor oder dem Originalverlag häufig anonym publiziert wurden“, schreibt Professor Sandra Richter im Begleitband zur Ausstellung „Goethe und das Geld“.

Im Fall des „Werther“ sei dies fatal gewesen, denn zur berühmtesten Ausgabe wurde nicht das Original, sondern der Raubdruck des geschäftstüchtigen Verlegers Christian Friedrich Himburg, Berlin. Für die Buchgestaltung hatte Himburg unter anderem den bekannten Maler und Radierer Daniel Nikolaus Chodowiecki beauftragt, dessen Vignetten noch heute als bekannteste Werther-Illustrationen gelten.

Das Genie lernte schnell

Das war für den jungen Autor eine bittere Erfahrung und herbe pekuniäre Enttäuschung. Doch der geschäftstüchtige Goethe lernte schnell und verhandelte von da an mit seinen Verlegern taktisch sehr geschickt – bisweilen über Mittelsmänner – und laut Zeugenaussagen durchaus „ruppig“, um angemessene Einnahmen für seine Arbeiten durchzusetzen. Er verkaufte nur für kurze Zeit das Recht am Abdruck seiner Texte. Seine Verlagsverträge entwarf er selbst – oft in dem Bestreben, die Abnahme gleich mehrerer Werke sicherzustellen.

Um den Marktwert seiner Werke in Erfahrung zu bringen, ging er zielstrebig und äusserst innovativ vor: So bot er beispielsweise das Manuskript seines Epos „Hermann und Dorothea“ dem Verleger Vieweg über einen Vermittler an und fügte dem Angebot einen verschlossenen Brief bei. Der Verleger sollte zunächst dem Vermittler ein Honorar-Angebot unterbreiten und erst dann den Brief öffnen, in dem Goethe seinen von ihm erwarteten Preis für das Manuskript festgelegt hatte. Lag das Angebot des Verlegers darüber, sollte er das Verlagsrecht zu dem von Goethe vorgeschlagenen Preis erhalten. Lag das Angebot darunter, kam das Geschäft nicht zustande. Mit diesem Versteigerungsverfahren nahm Goethe laut Professor Bertram Schefold die sogenannte Vickrey-Auktion vorweg, „deren moderne Wiederentdeckung in allgemeinerer Form mit einem Nobelpreis belohnt worden ist“.

Im Honorar-Ranking lag der „Starautor“ ganz vorne

Im Verlaufe seines langen Lebens konnte der gebürtige Frankfurter nicht nur seine Autorenhonorare um ein Vielfaches steigern, sondern er erzielte auch deutlich höhere Vergütungen als seine berühmten zeitgenössischen Kollegen – alle Angaben in Talern:

Goethe – 2.000 bei Göschen – 1786
Klopstock – 3.000 bei Göschen – 1795
Iffland – 6.000 bei Göschen – 1796
Wieland – 10.000 bei Göschen – 1802
Goethe – 16.000 bei Cotta
Jean Paul – 35.000 bei Rein – 1825
Goethe – 60.000 bei Cotta – 1827 bis 1830

Seit 1797 bevorzugte Goethe Cotta als Verleger, da ihm dessen Anspruch gefiel, durch seine Verlegertätigkeit die Dichter und ihre Literatur zu fördern. Der Tübinger Prinzipal verdiente allerdings gut an seinem „Starautor“, vor allem durch die Publikation des „Faust“.

Privileg des preussischen Staates gegen den Nachdruck von Goethes „Ausgaben letzter Hand“, unterzeichnet von Friedrich Wilhelm III., Berlin, 23. Januar 1826; © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

Allerdings war auch Goethes Verhältnis zu Cotta nicht spannungsfrei. Es trübte sich wegen der Wiener Raubdrucke von „Goethes Werken“ ein. Raubdrucke behandelte die Obrigkeit damals als Kavaliersdelikt. Die österreichische Kaiserin Maria Theresia förderte diese Praxis laut Sandra Richter, Professorin für Neuere deutsche Literatur, sogar noch, „um Marktmacht gegen den dominanten Leipziger Buchmarkt aufzubauen“.

Der Dichterfürst setzte sich hartnäckig für den Schutz von Urheberrechten an seinen Werken und der Schriftsteller im allgemeinen ein. Im Jahr 1824 ersuchte Goethe den Deutschen Bund um ein Privileg, das seine „Vollständige Ausgabe letzter Hand“ vor unautorisierten Raubdrucken schützen sollte. Auf Bundesebene scheiterte Goethe zwar, aber zahlreiche Souveräne stellten ihm Privilegien aus – eine kleine Sensation, erhielten doch andere Autoren nur in einigen wenigen Gebieten solchen Schutz.

→  →   Folge 2


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