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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Schiefermehl und Marmorstaub: Aloys Rump in Frankfurt am Main

Zwei Kunsträume, ein Künstler:
Aloys Rump im KunstRaum Riedberg und im KunstRaum Bernusstrasse

Von Erhard Metz

Schiefer

schwach metamorphoses Sedimentgestein, entstanden vor ca. 350 bis 400 Millionen Jahren im wesentlichen aus Meeresablagerungen in einem Prozess der „Gesteinswerdung“; seit Jahrhunderten Verwendung als Material für Bedachungen und Hausbekleidungen

Marmor

metamorphoses Gestein, entstanden durch Umwandlung bereits bestehender Gesteine in einem Zeitraum von etwa zwischen 50 und 400 Millionen Jahren; seit der griechischen Antike Werkstoff grossartiger Bauwerke und Statuen, konnotiert mit skulpturaler Kunst schlechthin

Leinen

bereits in prähistorischer Zeit bekanntes Material aus Flachs / Lein, schon vor sechs- bis siebentausend Jahren regelmässig in Ägypten, Mesopotamien oder Phönizien verarbeitet; Stoff zur Umhüllung von Mumien, Material des Turiner Grabtuchs

Schiefer 15, 2007, Schiefermehl, Marmorstaub auf Leinen, 100 x 80 cm

Eine etwas ungewöhnliche Einleitung zur Vorstellung eines Künstlers, so werden sich manche Leserinnen und Leser fragen, aber: Aloys Rump ist eben auch ein aussergewöhnlicher Künstler. Unter anderem arbeitet er nämlich mit Schiefer, als Schiefermehl, sowie mit Marmor in Form von Marmorstaub, schliesslich mit Leinen in Gestalt von Leinwand.

Wir fokussieren aus unvordenklichen Zeiträumen von mehreren hundert Jahrmillionen auf das Hier und Heute zweier irdischer Räume im Frankfurter Norden und Westen: den KunstRaum Riedberg auf dem gleichnamigen Campus der Goethe-Universität Frankfurt am Main und den KunstRaum Bernusstrasse, eine der hoch qualitätsbewussten hiesigen Galerien, in der Galeristin Marina Grützmacher Kunstliebhaber nicht allein aus Frankfurt und Hessen in einem fast schon familiär-vertrauten Ambiente empfängt, eine äusserst wohlriechende wie schmackhafte Suppe am späteren Abend, es sei vermerkt, manches Mal inbegriffen.

Und der Fokus geht schliesslich auf das idyllische mittelrheinische Städtchen Boppard, Geburts- wie auch heute Arbeits- und Lebensort des Künstlers Aloys Rump. Womit wir bereits wieder beim Thema Schiefer angelangt sind, denn Boppard liegt inmitten des Rheinischen Schiefergebirges, das sich von den Ardennen über Eifel und Westerwald, Hunsrück und Taunus bis an den Rand der Wetterau erstreckt und im Grossen Feldberg gipfelt. Kaum ein Haus dort in Boppard, das nicht mit Schiefer gedeckt wäre. Und wir erinnern uns: Kleine holzgerahmte Tafeln aus Schiefer, kennt man sie heute noch?, begleiteten unseren kindlichen Schulalltag, wir kritzelten auf ihnen herum und beschrieben sie mit krakeligen Lettern. Aloys Rump hat dieses dunkelgraue, auf den ersten Blick unscheinbare Material in seiner Heimat sozusagen von Geburt an vorgefunden. Und als heranwachsender Künstler kam er mit dem Marmor in Berührung.

↑ Aus grosser Höhe 5, 2007, Schiefermehl, Marmorstaub auf Leinen, 100 x 80 cm
↓ Aus grosser Höhe 43, 2009, Schiefermehl, Marmorstaub auf Leinen, 120 x 100 cm

Rump ist ein Maler, und er arbeitet, wie wir noch sehen werden, auch mit Pigmenten und Acryl. Doch über Jahre hinweg schien die Beschäftigung mit Schiefer seine künstlerische Arbeit zu prägen. Die Leinwand als Malgrund versieht er mit einem Auftrag, den er, wir nennen es jetzt einmal reliefartig, gestaltet und mit Schiefermehl und Marmorstaub bestreut; die so gewonnene Oberfläche fixiert er. Das dunkle und das helle Material verbinden sich, ebenso wie das eine mit dem anderen wechselwirkt und kontrastiert.

Der Glimmer im Schiefermehl tut ein Übriges: es entstehen bislang ungesehene, schattierte Flächen, wie von kleinen Gebirgszügen geformte Landschaften. Fast vermutet der Betrachter ein Halbrelief, doch die Auffaltungen der Spachtelmasse weisen kaum mehr als Millimeterhöhe auf, die vermeintlich besonnten Gipfelgrate wie die verschatteten Täler entstehen durch das Wechselspiel von Schiefermehl und Marmorstaub, von Dunkelgrau und Weiss. Was sich in der Werkreihe „Schiefer“ bereits manifestierte, gewinnt in der Serie „Aus grosser Höhe“ vollendete Gestalt.

Unirdischem, kosmischem Geschehen scheinen wir in diesen Arbeiten zu begegnen. Wir imaginieren geheimnisvolle, sich menschlichem Wirkungskreis entziehende Gestaltungsmächte.

Gewaltig in ihrer Dimension, dramatisch und erschütternd die drei Meter an Höhe messende Werkreihe „Der Staub der Türme“:

↑ Der Staub der Türme 21, 28 und 31, 2007, Holzstelen, Schiefermehl, Marmorstaub auf Holz, je Holzstele 300 x 30 x 4,5  cm (Bildmontage: FeuilletonFrankfurt)
↓ Der Staub der Türme 29, 2007, Schiefermehl, Marmorstaub auf Leinen, 200 x 180 cm

Kein Zweifel, dass Aloys Rump die grauenvollen, im Grunde kaum begreif- und verarbeitbaren Geschehnisse des „nine-eleven“ einige Jahre später in seiner künstlerischen „Sprache“ in Erinnerung brachte. In der beschriebenen Technik und wiederum mit den Materialien Schiefermehl und Marmorstaub schuf er eine Anzahl drei Meter hoher, 30 Zentimeter schlanker Stelen aus Holz, die an die Türme des ehemaligen World Trade Center in New York, an die Gitterstrukturen der kollabierenden Gebäude, an die aus der Höhe verzweifelt in den Tod springenden Menschen denken lassen. Ein Opus, wie es in verschiedenen neunteiligen Konfigurationen in der Festungskapelle Ehrenbreitstein und in der Kunsthalle Koblenz Aufstellung fand. Eine Reihe dieser Stelen ist derzeit im KunstRaum Bernusstrasse ausgestellt. Wer als Betrachter, den zunächst nach oben gerichteten Blick von der Höhe der Stelen auf den Boden herabsenkend, vor ihnen verweilt, wird sich dem Bild des von Menschenhand angerichteten Schreckens nicht entziehen können.

Wir wünschten uns, ein solches Mahnmal in einem öffentlichen städtischen Raum antreffen zu können.

↑ Der Staub der Türme, 2007, 9 Holzstelen, Schiefermehl, Marmorstaub auf Holz, je Holzstele 300 x 30 x 4,5  cm, Festungskapelle Ehrenbreitstein
↓ Der Staub der Türme, 2007, 9 Holzstelen, Schiefermehl, Marmorstaub auf Holz, je Holzstele 300 x 30 x 4,5  cm, Kunsthalle Koblenz

Verwandt den Werkreihen „Schiefer“ und „Aus grosser Höhe“, erspüren wir in der Serie „Horizonte“ einen Dualismus von Nähe und Ferne, von Gewissheit und Unbestimmtheit, von Vertrautheit und Sehnsucht, von Zweifel und Hoffnung, von Materialität schliesslich und Transzendenz. Es ist, als stünden wir vor der fernen Brandungswelle eines sich in die Unendlichkeit erstreckenden Meeres. Wiederum in den Materialen Schiefermehl und Marmorstaub auf Leinen findet dieser Dualismus seine künstlerische Realisierung.

Horizont 10, 2009, Schiefermehl, Marmorstaub auf Leinen, 50 x 70 cm

Seit gut einem Jahr scheint Aloys Rump neue Wege beschreiten zu wollen. Er arbeitet mit dem Material Plastilin, aus dem er kleine, im Ansatz figurative Elemente entwickelt und auf Holz fixiert, und er greift, mit grosser Behutsamkeit, ja Vorsicht zu Pigmenten und Acrylfarbe. Waren zwar bereits bei einigen Arbeiten der Werkreihe „Aus grosser Höhe“ dem Schiefermehl nebst Marmorstaub Pigmente beigegeben, so verharrten jene doch in einer – zugleich skeptische Beobachtung und Distanz vermittelnden – Grundstimmung von Dunkel-Grau-Weiss. Die in den Werkreihen der Jahre 2011 und 2012 „Die Stille danach“ und „Fragmente“ zu beobachtende Farbigkeit eröffnet, in einem zu duldenden Widerspruch noch zur Titulatur der Reihen, Hoffnung, Ausblick, Schöpfung. Hier schicken sich versprengte Teilchen an, sich zu neuer Gestalt und Gesamtheit zu formieren. Dort scheint ein behutsam angedeutetes, expandierendes dunkles Rot die Schwärze seiner Umhüllung verdrängen zu wollen – ein neuer Schöpfungsakt? Eine kleine halbreliefartige Figurine erweckt im Auge eines an ihr vorüberschreitenden Betrachters im Spiel vermeintlichen Lichts und Schattens die Vorstellung von Belebtheit.

↑ Die Stille danach 1, 2011, Plastilin, Acryl auf Holz, 100 x 100 cm
↓ Die Stille danach 8, 2011, Acryl, Pigmente auf Holz, 51 x 51 cm

Die Stille danach 26, 2011, Plastilin, Acryl auf Holz, 40 x 40 cm

„Fragmente“ gewinnen die Farbigkeit aus Kälte erwachender Landschaften, erwecken den Eindruck, sich zu neuen Figurationen zusammenzufinden. Noch runenhaft anmutende Zeichen entfalten, man könnte fast an tänzerische Gebärden denken, eine kommunikative Bewegung.

Fragment 24, 2012, Kunstharzspachtel, Pigmente auf Karton, 30 x 40 cm

↑ Fragmente 9, 2012, Kunstharzspachtel, Pigmente auf MDF
↓ Fragmente 8, 2012, Kunstharzspachtel, Pigmente auf MDF, 105 x 158 cm

Aloys Rump, 1949 in Boppard geboren, studierte von 1970 bis 1974 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Peter Brüning und Gerhard Richter und von 1974 bis 1978 an der Hochschule der Künste Berlin bei Fred Thieler. Er stellte vielfach aus, über Rheinland-Pfalz sowie Boppard, Koblenz und Mainz hinaus unter anderem in Aachen, Amboise, Augsburg, Berlin, Bonn, Brüssel, Chemnitz, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Köln, Ludwigshafen, Mannheim, Peking und Rottweil. Der Künstler lebt und arbeitet in Boppard.

Das künstlerische Werk Aloys Rumps wird vielfach in der Tradition des deutschen Informel gesehen. Mit seinen Arbeiten vor allem mit Schiefermehl und Marmorstaub hat er eine eigenständige und unverwechselbare Formensprache entwickelt.

Aloys Rump, Kurator Carsten D. Siebert und Manfred Schubert-Zsilavecz, Vizepräsident der Goethe-Universität, zur Eröffnung der Ausstellung im KunstRaum Riedberg; Foto: Erhard Metz

„Die Stille danach“, KunstRaum Riedberg der Goethe-Universität Frankfurt am Main;

„Bilder und Objekte“ (gemeinsam mit Martine Andernach „Skulpturen und Grafik“), KunstRaum Bernusstrasse, Frankfurt am Main

Die Ausstellung „Ruhe und Kraft“ (gemeinsam mit Jan Schröder) im Foyer des Landtags Rheinland-Pfalz lief am 7. September 2012 aus.

abgebildete Werke © VG Bild-Kunst, Bonn, Fotos (soweit nicht anders bezeichnet) © Isa Steinhäuser

 

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