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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Alltägliche und seltsame Geschichten und Begebenheiten (10)

Am Ende der Welt
von Roald Graf Amundsen

© -habust-

Anno 2017 war es endlich soweit, ich packte meine Siebensachen zusammen und fuhr ans Ende der Welt.

Dort angekommen, packte ich meine Siebensachen wieder aus und sortierte Leibwäsche, Kniestrümpfe, Lodenhemden, Hosenträger, Ärmelschoner, meine geliebte Ziehharmonika und die Zähne in die dafür vorgesehenen Behältnisse der von mir um ein bescheidenes Entgelt angemieteten Dachkammer der kleinen, aber blitzsauberen Pension.

Die Sonne lachte, die Blümlein neigten sich ihr zu und strahlten mit zahllosen Schmetterlingen um die Wette, eine leichte Brise strich über den stillen See und kräuselte das silbern schimmernde Wasser. Hainbuchen und Tannen rauschten leise, und die bildhübsche Pensionstochter servierte mir eine mit neckischen Bemerkungen und Thymian gewürzte, eigenhändig erlegte fangfrische Bergseeforelle Müllerin, die ich, hungrig wie ich war, binnen kurzem verzehrt hatte. Nach all diesen Erlebnissen sank ich todmüde ins Bett und alsbald in einen tiefen, traumlosen Schlaf, aus dem ich mit dem ersten Hahnenschrei erquickt erwachte.

Aber ach! Bleiern grau der Himmel, und was mich geweckt hatte, war das gräßliche Quietschen des uralten Wasserhahns der Gemeinschaftsdusche. Ergiebiger Landregen trommelte an die Scheiben, der Wind hatte aufgefrischt und türmte das gestern noch so ruhige Wasser des unergründlichen Bergsees zu bedrohlichen Brechern, die gierig am morschen Bootssteg der Pension nagten. Die Gischt überzog die schmutzigen Scheiben des als Frühstücksraum ausgewiesenen kahlen Verschlags, in dem uns eine übelgelaunte, unausgeschlafene Zweizentnerdame dünnen, eiskalten Kaffee und einige trockene Brotkanten hinwarf, mit einem feinen Nebel, der bald jede Sicht verhinderte.

Gleichwohl erholte ich mich prächtig, bis mir der Wirt eines Tages die Rechnung machte. Da war ich dann doch etwas erbost, denn die Übernachtungen sollten fünf Euro das Stück kosten und das schäbige Frühstück einen. Das fand ich zuviel, und das habe ich dem guten Mann auch mit sehr deutlichen Worten gesagt. So deutlich, daß ich mich mit eingeschlagenen Zähnen und zerrissenem Wams auf der Straße wiederfand. Mein Zahnarzt freute sich natürlich, denn an der Prothetik verdient er ja am meisten.

Nur ein zerknitterter und halb zerrissener Prospekt der Pension “Zum Ende der Welt” erinnert mich hin und wieder an diese durchwachsene Zeit. Aber schön war es irgendwie doch.

→ Alltägliche und seltsame Geschichten und Begebenheiten (11)

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