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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Barbara Fuentes-Jelinek: „Zwischennutzung“

Welcome zur „Zwischennutzung“ in der Frankfurter Kaiserpassage, bei den Zeichnungen von Barbara Fuentes-Jelinek!

Umstellung von der Sommer- auf die Winterzeit, nachts, nach 0 Uhr. Die Nacht – gemeint ist natürlich der Gesamt-Tag – ist um eine Stunde länger. In aller Regel bleiben in dieser Nacht Züge eine Stunde lang in irgendeinem Bahnhof stehen, wenn man sie nicht vom Start-Ort fahrplanwidrig eine Stunde später abfahren lässt.

Viele Menschen fasziniert dieser Umstand, so auch die Frankfurter Künstlerin Barbara Fuentes-Jelinek. Was ist das für eine Stunde mehr an Zeit? Bekommt man sie, einst der Sommerzeit zur Aufbewahrung überlassen, nun wieder zurück, unentgeltlich und unverzinst, was höchst verwunderlich wäre in unserer materiellen Gier-Gesellschaft?

Barbara Fuentes-Jelinek konzentriert ihr künstlerisches Interesse auf diese „eine Stunde“ mehr an Zeit. Für den Reisenden, der sein Ziel erreichen will, gleichbedeutend mit einer Stunde „Warten“. Aber warten worauf? Dass es, endlich, weitergeht, wäre das bereits alles? Für manche ja. Aber da ist doch noch mehr, was sich mit dem Warten einstellt: Ist es eine verlorene Zeit, oder vielmehr eine geschenkte? Ist Zeit denn nicht ganz generell ein Geschenk, für uns Menschen, für unsere Gesellschaft, für das, was wir „Welt“ nennen? Ist es nicht schlimm, wenn uns das Gefühl für Zeit, für das Wesen, für den „Sinn“ der Zeit, so vielfach abhanden gekommen zu sein scheint?

Aber zurück zu dieser einen Stunde an Zeit: Barbara Fuentes-Jelinek nahm sie zum Ausgangspunkt ihrer Beobachtungen, wie Menschen mit dem Warten umgehen. Über mehrere Jahre setzte sich die Künstlerin regelmässig – und jeweils für die Dauer genau einer Stunde – in den Frankfurter Hauptbahnhof, sie beobachtete Wartende, und sie zeichnete sie. Unbemerkt. Wurde doch eines ihrer „Modelle“ aufmerksam auf sie, unterbrach sie ihre Arbeit, liess sie unvollendet. Auch als ein Zeichen eben unserer „Zeit“, in beiderlei Sinn dieses Begriffs. Alle Zeichnungen hat sie nach Tag, Stunde und Minuten datiert.

Was tun mit einer Stunde mehr Zeit? „Zwischennutzung“: Schlafen, nachsinnen, lesen, ein „Loch in die Welt gucken“, mit dem Partner, dem Mitreisenden, Mitwartenden sprechen, streiten?

Vielleicht denkt man an das eben noch Existierende, nun schon Vergangene. Vielleicht an das Kommende, das Erwartete. Dies vielleicht mit Bangen, gar Angst, vielleicht mit Hoffnung, gar Freude.

Mit 300 und mehr dieser einzelnen Zeichnungen hat Barbara Fuentes-Jelinek in der Kaiserpassage die drei Schaufensterscheiben eines derzeit leerstehenden Ladenlokals von innen beklebt, verständlicherweise sind es Kopien der Originale auf weissem wie auch getöntem Papier. Die Zeichnungen lassen sich von aussen in der Aufsicht und von innen seitenverkehrt in der Durchsicht betrachten. Ein einzigartiges Konvolut, in einer einzigartigen Szenerie, eben jener in Frankfurt einzigartigen Kaiserpassage.

Was nun hat es mit den grünen Punkten auf sich, in Galerien als Interessebekundung, gar Kaufvormerkung verwandt? Die Künstlerin verteilt sie an Freunde, Bekannte, an das Publikum, wir sollen sie – von aussen auf die Scheibe – auf diejenigen Zeichnungen kleben, die uns am besten gefallen. Wenn Barbara Fuentes-Jelinek demnächst ihre Zeichnungen entfernen wird, bleiben die grünen Punkte als ein Muster zurück. Ein neues Werk wird auf diese Weise entstehen.

Die in Tschechien geborene Künstlerin studierte von 1962 bis 1966 an der Fachhochschule für Gestaltung, Darmstadt, und anschliessend an der Akademie für Angewandte Kunst in Wien. Barbara Fuentes-Jelinek lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.

„Zwischennutzung“ in der Frankfurter Kaiserpassage, Kaiserstrasse 62-64; Auskünfte unter Telefon 069/723980 und 0175/2301666

Zeichnungen © Barbara Fuentes-Jelinek; Fotos: die Künstlerin und FeuilletonFrankfurt

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