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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

documenta 13 in Kassel (15)

Attila Csörgö: Quadratur des Kreises

Eines jener schlichten documenta-Häuschen in der Karlsaue, unspektakulär stehen sie am Wegesrand oder mitten im Grün, sauber gezimmert, der Eingang rollstuhlgerecht, davor eine kleine Tafel in jenem documenta-typischen, schwer definierbaren spezifischen Gelb, vielleicht auch Ocker, wir möchten es am liebsten Grünlich-Gelb-Ocker nennen, falls es so etwas geben sollte, wenn nicht, bleiben wir halt bei Gelb-Ocker. Die Beschriftung in Weiss, mitunter schwer lesbar, je nach Sonnenstand und Lichteinfall. Man soll sich ja auch mit dem Text intensiver befassen, anstatt ihn im Vorübergehen eher beiläufig aufzunehmen. Hinwendung, Zuwendung ist gefragt und angesagt.


Auf der Tafel lesen wir, wie stets, den Namen des Künstlers und den Titel der Arbeit, zuweilen auch, allzu fürsorglich, mit welcher Art von Kunst es man zu tun bekommt; oft noch den Hinweis, dass das Werk von der documenta 13 in Auftrag gegeben und produziert sei, weiter noch Angaben über Institutionen, mit deren Unterstützung, gemeint ist wohl in erster Linie die finanzielle, dies alles geschah. Rechts oben schliesslich noch die Nummer der Präsentation, auf dass man sie im Katalog auffinden kann. Ach ja, diese Nummer steht jeweils auch noch auf einem separat aufgestellten Hinweisschild, ebenfalls in – wie hatten wir gesagt – Gelb-Ocker.


Die Quadratur des Kreises ist also Attila Csörgös Arbeit, eine Lichtinstallation mit Spiegel und Leuchte. Hinzu kommen allerdings noch Wasser nebst Wassertropfen sowie ein Aluminiumcontainer.

Das macht neugierig: Die Kreisquadratur mit Zirkel und Lineal, das wissen wir aus dem Schulunterricht, zählt zu den ältesten und bekanntesten, ja populärsten geometrischen Problemen. Schon Thales und Pythagoras, Plutarch, Anaxagoras und Hippokrates und natürlich Archimedes, der bedeutendste Mathematiker der Antike, haben sich die Köpfe darüber zerbrochen – vergeblich. Auch Koryphäen der Mathematik und Geometrie des Mittelalters und der Neuzeit haben sich an ihr, ebenso scheiternd, abgearbeitet. Erst der deutsche Mathematiker Ferdinand von Lindemann konnte 1882 die Transzendenz der Kreiszahl π (Pi) und damit die Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises beweisen. Lediglich Näherungsrechnungen sind möglich und tauglich für die Alltagspraxis. Heute steht der Begriff Quadratur des Kreises als sprichwörtliche Metapher für die Unmöglichkeit, eine Aufgabe zu lösen.

Also treten wir ein. Nach dem Passieren eines schwarzen Vorhangs empfängt uns Dunkelheit, nur eine aufgehängte Leuchte erhellt spärlich eine merkwürdige Apparatur. Wassertropfen erregen auf einem kleinen Wasserbecken konzentrische Kreise. Ein mittels mathematischer Berechnungen spezifisch geformter, einem vierteiligen Kleeblatt ähnelnder, über der Anlage angebrachter Spiegel bewirkt, dass sich die auf der Wasseroberfläche ausbreitenden Kreise langsam in ein scheinbares Quadrat verwandeln.

Am günstigsten ist es, wenn man allein in der Dunkelheit vor der Apparatur steht. Die Bewegungen auf der Wasserfläche, die Beobachtung, wie sich tatsächlich aus runden nach und nach optisch quadratische Flächen bilden, führen den Betrachter alsbald in eine meditative Situation. Man sollte etwas verweilen. Jedenfalls so lange, bis eintretende andere Besucher die Ruhe und Versenkung „stören“.

Attila Csörgö gilt als ein philosophischer, gleichsam poetischer Künstler, der sich mit naturwissenschaftlichen Phänomenen befasst. Seinen Arbeiten gehen eingehende Studien und künstlerische Forschungen voraus. Seine minimalistischen, mit möglichst einfachsten Mitteln errichteten Installationen bereitet er mit sorgfältigen Konstruktionszeichnungen vor. Mit seinen Arbeiten will Csörgö verschiedene physikalische und mathematische Probleme visualisieren und unsere Sicht auf die Wirklichkeit der Welt hinterfragen.

Attila Csörgö, 1965 in Budapest geboren, studierte an der dortigen Kunstakademie und an der Rijksakademie van beeldende Kunsten in Amsterdam. Der Künstler lebt und arbeitet in Budapest und in Warschau.

Fotos: FeuilletonFrankfurt

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→ documenta 13

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