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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„The Rake’s Progress“ von Igor Strawinsky in der Oper Frankfurt

Tom Rakewell – mehr Getriebener als Gestalter seines Lebens

Von Renate Feyerbacher

Mit Strawinsky beendet die Oper Frankfurt die Saison 2011 / 2012: „The Rake’s Progress“ ist die letzte grosse Neuproduktion des Hauses.

Paul Appleby (Tom Rakewell) und Brenda Rae (Anne Trulove), Foto: © Monika Rittershaus

Anne und Tom

Tom, der zum Wüstling beziehungsweise zum Lebemann mutiert, wird gesungen von Paul Appleby, der sein Rollendebüt und sein europäisches Bühnendebüt gibt. Dieser bisher hierzulande unbekannte junge Tenor, Ende Zwanzig, studierte an der berühmten Juilliard School of Music und ist noch Stipendiat in New York. Schon einige Preise konnte er in Empfang nehmen.

Wieder hatte Intendant Bernd Loebe ein Gespür für ein grosses Talent. Er habe sich seinerzeit in New York von dem jungen Mann vorsingen lassen und ihn gleich engagiert, erzählte er bei der Premierenfeier.

Der Erwartungsdruck war also für den jungen Sänger enorm. Grossartig, wie Paul Appleby die Erwartungen erfüllt hat. Anfangs noch etwas leise und im Spiel gehemmt, fand er sich steigernd in die schwierige Rolle des Tom, die ständige Bühnenpräsenz erfordert. Seine Tenor-Stimme begeistert durch Feinheit, Klarheit, Sicherheit und lässt ahnen, wieviel Potenzial in ihr noch steckt. Er intoniert sauber, geradezu schön.

Brenda Rae bei „Oper Extra“ am 26. 9. 2010, Foto: Renate Feyerbacher

Seine amerikanische Kollegin Brenda Rae, auch preisgekrönt, Ensemblemitglied seit vier Jahren, gibt Stimme und Spiel der Anne Truelove, Toms Freundin. Die beiden Amerikaner kennen sich von der Juilliard School. Eine wunderbare Voraussetzung für das Paar, das sie darstellen. Eine gewisse Vertrautheit ist zu spüren und das ist gut.

Die Sopranistin, die in Frankfurt Lucia, Olympia, Pamina und Konstanze singt, in Glyndebourne und bei den Proms in London gefiel und im Januar 2012 als Konstanze ihr Debüt an der Bayerischen Staatsoper gab, ist eine „True-Love“ ohne süssliches Pathos. Ihr klarer Sopran bewältigt die emotional-lauten Stellen bravourös, und die zarten Töne sehr einfühlsam. Zwischenbeifall.

Nick Shadow und Gefolge

Paul Appleby (Tom Rakewell) und Simon Bailey (Nick Shadow), Foto: © Monika Rittershaus

Bassbariton Simon Bailey hat sich die Rolle des Nick Shadow, des Verführers, gewünscht. Sie ist ihm auf den Leib geschrieben. Er kitzelt nicht den Bösewicht, der an Mephisto, an den Teufel erinnert, heraus, sondern er ist ein Schmeichler, wie so viele, der Tom zunächst glaubwürdig erscheinen muss. Souverän ist sein Gesang.

Tom erkennt nicht oder will den Schmutzfinken und sein Gefolge nicht erkennen „gespiegelt in Millionen Lächeln, die so leer sind wie meilenweites Land“ (Akt II, 1. Szene). Weil er gierig ist, zu Geld kommen will, um Anne doch noch heiraten zu können. Aber damit ist es endgültig vorbei, als er Baba the Turk heiratet, die Jahrmarktsattraktion, die Dame ohne Unterleib. Durch sie meint er berühmt zu werden.

Paula Murrihy (Baba the Turk), Foto: © Monika Rittershaus

Ein schnippiges Weib, das später allerdings Verständnis hat für Anne und sie vor Nick Shadow warnt. Sie selbst ist seiner überdrüssig und kehrt ins Showgeschäft zurück. Tom mag den Ehealltag nicht und flüchtet sich in Träumerei.

Unter der feuerroten Perücke der Baba verbirgt sich Paula Murrihy , die irische Sopranistin, die durch ihre überspannte Interpretation dieser Baba witzige Kontur gibt.

Paula Murrihy am 5. Dezember 2010 nach der Premiere von „Dido and Aeneas“, Foto: Renate Feyerbacher

Nur kurze, aber eindringliche Auftritte haben Alfred Reiter, der Vater von Anne, ein durchdringender Bass, Peter Marsh gelingt als Auktionator, Tom war bankrott, eine belustigende Parodie.

Es gibt szenisch Aha-Momente wie die von Baba, ansonsten ist die Regiearbeit von Axel Weidauer konventionell, was sich jedoch nicht nachteilig erweist.

In der Friedhofszene macht Nick, der vermeintlich gute Freund, Tom klar, dass er seine Seele verloren hat, und legt ihm den Suizid nahe. Aber dieser glaubt an die Erlösung durch die Liebe und pokert mit Nick, der dabei Toms Seele verliert. Aber ohne Strafe kommt Tom nicht davon: er wird wahrsinnig.

In der Schlussszene konzentriert sich der Regisseur ganz auf Anne und Tom. Wie ein Requiem nimmt sich diese Szene aus, als Anne den Kopf des Geliebten in ihren Schoss nimmt und das Wiegenlied singt: „… gleite, gleite, gleite zur Insel der Seligen …“ („Wiegenlied, Akt III, 3. Szene). Vater Truelove erscheint, um die Tochter fortzuführen. Beide schreiten ganz langsam ins Dunkel der Bühne. Der Kreis schliesst sich. Nachdenklich.

Paul Appleby (Tom Rakewell; liegend), Alfred Reiter (Trulove) und Brenda Rae (Anne Trulove), Foto: © Monika Rittershaus

„Famous“ prangt in Leuchtschrift über der Bühne, hängt aber nachher demoliert herunter. Umrahmt ist die Bühne (Moritz Nitsche) von einem Lichterkranz, wie aus Shows bekannt. Wenn Tom erstmals bei den Girls ist, leuchten die Lichter grell auf, um später wieder zu verglühen. Berit Mohr hat ideenreich die Figuren eingekleidet.

Die Idee zur Oper

Die Idee zur Oper „The Rake’s Progress“ kam dem Komponisten Igor Strawinsky (1882 bis 1971) bei einer Ausstellung des englischen sozialkritischen Künstlers William Hogarth (1697 bis 1764) in Chicago. In Gemälden und Kupferstichen erzählt er die Geschichte vom Werdegang beziehungsweise Untergang des Tom Rakewell.

Strawinsky gefiel die Theatralik der Darstellung, die ihm bühnentauglich erschien. Er fragte daraufhin seinen Freund Aldous Huxley (1894 bis 1963), Autor von „Brave New World“, nach einem geeigneten Librettisten. Huxley, gebürtiger Engländer, nannte Wystan Hugh Auden (1907 bis 1973), auch gebürtiger Engländer, der vor allem durch seine Lyrik berühmt wurde. „Niemand besser als er“ (zitiert nach Programmheft). In drei Monaten war das Libretto fertig. Auden schrieb auch Libretti für Benjamin Britten und Hans Werner Henze.

Der russische Komponist, in der Nähe von St. Petersburg geboren und aufgewachsen, kam durch seinen Vater, einen Sänger am berühmten Marinskijtheaters, schon früh mit grossen Künstlern in Kontakt: mit dem Komponisten Nicolaj Rimski-Korsakov, mit Sergei Pawlowitsch Djagilew, für dessen Ballets Russes er die die Balletmusik „Der Feuervogel“ (Uraufführung 1910 in Paris) und weitere Werke komponierte.

Vor der Revolution lebte er einige Jahre in der Schweiz und kehrte nicht mehr nach Russland zurück. 1920 zog er nach Frankreich, wurde französischer Staatsbürger, emigrierte 1939, als die Nazis Frankreich überfielen, in die USA und wurde amerikanischer Staatsbürger. Beerdigt ist er auf der Toteninsel San Michele bei Venedig.

Peter Marsh (Sellem; links vorne) sowie Chor der Oper Frankfurt, Foto: © Monika Rittershaus

„The Rake’s Progress“ ist eine englische Oper, die in Venedig uraufgeführt wurde. Es ist sein einziges abendfüllendes Bühnenwerk.

Igor Strawinsky führte ein Doppelleben: mit seiner ersten Frau Jekaterina hatte er vier Kinder. Er teilte seine Zeit auf zwischen seiner Familie und seiner Geliebten Vera de Bosset, die später seine Frau wurde. Auch mit Modeschöpferin Coco Chanel soll er eine Beziehung gehabt haben. Ein Schwerenöter wie Tom – autobiographische Momente?

Wuchtig beginnt die Musik, nur Bläser sind am Werk: finster, Unheil ahnend. Dann gibt es lyrische Klänge, Anne betreffend, immer wieder Dissonanzen, schroffe Momente. Keine eingängige Musik, aber fesselnd.

Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester beweist auch diesmal,  dass es zu Recht den Titel Orchester des Jahres trägt. Die verschiedenen Facetten der Musik sind einprägsam gestaltet. Es wird geleitet durch die klare Diktion von Constantin Carydis, der 2011 den Carlos Kleiber-Preis der Bayerischen Staatsoper München erhielt. An der Oper in Frankfurt wurde er in der vergangenen Spielzeit für sein Dirigat der Opern „Dido and Aeneas“/“Herzog Blaubarts Burg“ gefeiert wie auch jetzt für „The Rake’s Progress“.

Weitere Aufführungen sind am 24., 26. und 28. Mai, am 1., 3. und 9. Juni 2012 jeweils um 19.30 Uhr. Nach der letzten Aufführung in dieser Spielzeit, am 9. Juni, findet auch im Anschluss „Oper lieben“ statt mit Brenda Rae und Paul Appleby. Ausserdem gibt es ein Finale-Rahmenprogramm zu Strawinsky.

 

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