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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Von genervten Frauen, tumben Männern und zufriedenen Hunden: Malerei von Tatjana Ovrutschskaja

„Lebenstheater“ oder: das Leben nebeneinander her

Von Erhard Metz

Hausfrau 2, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm

Das Paar, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm

Nein, die Last des Hausrats kann sie nicht länger tragen, die „Hausfrau“, wie auch immer sie sich unter der Tischplatte, erschöpft die Augen schliessend, verrenken mag. Dann aber wiederum sitzt sie als Teil des „Paares“ dem Mann gegenüber, dem sie klaren Blicks aus einer übergrossen, mit reichlich Obst bestückten Etagere, deren Ebenen Füllhörnern gleichen, den berühmten Apfel reicht, den Eva schon ihrem Adam sozusagen „erfolgreich“ anbot – mit all den bekannten welterschütternden Konsequenzen. Aber dieser in einen albern-harlekinesk gerauteten Pullover gekleidete Herr – dessen tumber, verfressener Gesichtsausdruck auf ein durchaus nur schlicht entwickeltes Gemüt schliessen lässt  – scheint das heraufziehende Ungemach der Vertreibung aus dem Paradies noch nicht zu begreifen

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Die Küche, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm

Ach, und was plagen sich die beiden derbgesichtigen Bäuerinnen in ihrer Küche mit dem Schlachten und Rupfen des armen Gänseviechs, das sich vor dem Verschwinden im Bräter doch noch etwas an Lebenszeit erhofft hatte. Voilà, c’est la vie!

„All the world’s a stage, And all the men and women merely players …lässt William Shakespeare den Lord Jacques in seinem Schauspiel As You Like It – Wie es euch gefällt – philosophieren. Das war schon im Jahr 1600 so, als der grosse englische Dramatiker dieses Stück zum Druck einreichte. Das Leben also als Bühne, auf der die Menschen ihre Rollen spielen: Rollen, die sie von anderen und von der „Gesellschaft“ allgemein – wohl oder übel – zugewiesen bekommen, aber auch Rollen, die sich sich selber in dem Unvermögen zumessen, sich ihres „eigenen Verstandes zu bedienen“ (Immanuel Kant).

„Ich betrachte das Leben, und ganz besonders das Gesellschaftliche darin, wie ein Theaterstück und folge jeder Szene mit einem künstlerischen Interesse“, schrieb Theodor Fontane 1886 an seinen Briefpartner Georg  Friedlaender.

Dies tut auch die Malerin. Sie beobachtet scharf und genau, und sie setzt das, was sie sieht, sei es über, sei es unter der Oberfläche, in ihre theatralische Malerei um. Dies geschieht, wie wir erkennen, nicht ohne eine tüchtige Portion Humor und Komödiantentum. Und gern und mitunter vorzugsweise gerät ihr Humor zu einem schwarzen. Das alles macht natürlich auch vor der Karikatur nicht Halt und auch nicht vor der Groteske. Und ein Quentchen Spott schliesslich darf dabei nicht fehlen – der aber nie verunglimpfend oder verletzend ausfällt.

Gymnastik, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm

Grotesk kämpfen sich Menschen ihre Pfunde und Kilos ab, natürlich im gleichschrittigen Rudel. Dass sie das falsche Sportgerät mit sich führen – Ski- statt Walking-Stöcke – scheint sie nicht zu bekümmern, und dem bäuchlings übergewichtigen Herrn zur Rechten gleitet sein Werkzeug gar aus der Hand.

Ja, sie bewegen sich im Mainstream-Schritt, und doch nicht mit-, sondern nebeneinander. Ein Befund, der typisch ist und fast schon generalisiert werden kann für das Werk Tatjana Ovrutschskajas; für das Paar, für die zwei Küchenbäuerinnen, für die Walking-Gruppe. Ihre Blicke begegnen sich nicht. Eine Kommunikation findet nicht statt.

Nicht einmal den beiden männlichen Kämpfern auf offener Strasse nehmen wir es ab, dass sie sich einander etwas zu sagen, gar zu bedeuten haben. Aber warum nur kämpfen sie dann? Die Zeitzeugen fliehen nach rechts und links aus dem Bild. Bescheint die Kämpfenden wenigstens das Auge des Gesetzes, oder ist es das des Überwachungsstaates?

Der Strassenkampf, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm

Dann die Hunde, der Menschen Lieblinge. Eine fast schon innige Hinwendung zwischen der Frau und dem Tier im „Spaziergang“. Es fehlt nicht viel, dann küssen sie sich. Was der Mensch dem anderen Menschen nicht geben kann, gibt ihm das zahme Haustier. Eine andere Frau hingegen liegt in der Ferne allein im Gras: beziehungs- und kommunikationslos, ohne Mensch, ohne Tier.

Der Spaziergang mit Hund 1, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm

Mutter und Kind, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm

Eine Groteske, aber zugleich auch berührend: nicht Mutter und Kind, sondern Tochter und Mutter müsste die Darstellung heissen. Pablo Picasso schaut aus dem Bücherregal zu, wie die Tochter die gealterte Mutter, nun einem Kinde gleich, auf ihren Knien wiegt. Verkehrte Welt oder Rückkehr zu den Anfängen? Das Theaterspiel des Lebens, in dem sich die Rollen verändern und verkehren.

Tatjana Ovrutschskaja verfremdet ihre Personen: Wir sehen Gesichter mit überlangen Nasen, Figuren mit überlangen Fingern, Händen und Füssen, dürren Armen und Beinen, hölzernen, ungelenken, grotesken  Bewegungen, erstarrter Mimik. Ihre Blicke sind abwesend, treffen sich selten, Menschen schauen sich zumeist nicht an. Ein jeder geht und sitzt, arbeitet, tanzt, kämpft und lebt vor sich hin.

Die Künstlerin malt mit kräftigen, oft plakativ wirkenden Farben, daneben finden wir aber auch Schwarz/weiss-Malereien, die die Szenen expressiv überhöhen. Die Hintergründe sind flächig, nur selten ausgeführt; sie lasssen die agierenden Personen umso deutlicher hervortreten. Manchmal schweben sie, bewegen sich wie in Schwerelosigkeit. Dann wieder erdulden sie, Erde und Schwerkraft verhaftet, ihr Schicksal wie die Sisyphos-Arbeiterin. Natürlich ist sie eine Frau. Mit grosser Geste und aller Kraft stemmt sie sich gegen den riesigen Stein; niemals wird sie es schaffen, ihn zu bewegen.

Sisyphosarbeit, Öl auf Leinwand, 100 x 40 cm

Die Hunde, Öl auf Leinwand, 100 x 40 cm

Dann wieder die Menschen mit ihren Hunden, aus der Perspektive letzterer betrachtet. Wie gut scheinen sie es im Vergleich zum (weiblichen) Sisyphos zu haben.

Tatjana Ovrutschskaja wurde 1935 in St. Petersburg, damals Leningrad geboren. Nach Abschluss des Gymnasium studierte sie an dem – nach dem berühmten russischen Historienmaler benannten – Surikov-Institut der Akademie der Künste der damaligen UdSSR in Moskau. Nach dem Studienabschluss 1965 war sie als Kunstmalerin in Moskau tätig. 1970 wurde sie in den Künstlerverband der damaligen UdSSR aufgenommen. Seit 1971 nahm sie an den jährlichen Ausstellungen des Künstlerverbandes in Moskau und seit 1976 an den Ausstellungen im Moskauer Zentralhaus für Künstler teil. 1995 übersiedelte sie mit ihrer Familie nach Frankfurt am Main, wo sie, wie ihre Tochter Julia Ovrutschskaja, als freischaffende Künstlerin lebt und arbeitet.

Bereits vor dem Umzug nach Frankfurt stellte Tatjana Ovrutschskaja in Wiesbaden aus, nach 1995 in Bad Soden, Köln und Frankfurt am Main, dort wiederum im Westend Carrée, im Internationalen Theater, der Johann Wolfgang Goethe-Universität und der Galerie am Park, wiederholt in der Heussenstamm-Galerie und jetzt zum zweiten Mal im Frankfurter Künstlerclub. 2004 erhielt sie den Studienpreis der Heussenstamm-Stiftung.

Manches in ihren Werken lässt an die sehr frühen kubistischen Figurationen eines Kasimir Malewitsch erinnern: an die Trichter, Dreiecke und Kegel, aus denen er seine Figuren bildete. Manches erinnert uns aber auch – bei aller Gegensätzlichkeit – an die tragikomischen, dicklichen, feisten, unbeholfenen wie ach so liebenswerten Figuren des grossartigen, 1944 in Moskau geborenen Vladimir Lubarov. Aber die Künstlerin lässt sich nicht in eine stilistische oder kunsthistorische Richtung einordnen, sondern sie verfolgt einen eigenen, unkonventionellen Weg.

Der Herbst: Ein gealtertes Paar, beide gehen am Stock. Er trägt einen altmodischen Havelock-artigen Mantel, sie ein nicht minder altmodisches Cape mit Pelerine. Herbststurm, grosse, jahreszeitlich gefärbte Blätter wirbeln umher. Mann und Frau gehen neben- und nacheinander, nicht miteinander. Auch ihre Blicke begegnen sich nicht. Fast abwehrend streckt sie die Hand gegen ihn. Eine fast schmerzlich anmutende Szenerie des Alleinseins, noch dazu im Alter. Lebenstheater?

Der Herbst, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm

Wir wagen es zu behaupten: Tatjana Ovrutschskaja liebt das Lebenstheater. Sie liebt die Menschen in diesem Theater. Denn sie hat Mitleid mit ihnen. Wir vermuten solches, weil die Malerin in ihren Bildern es anklagt, wenn die Menschen aneinander vorbeischauen und vorbeireden. Weil sie es anklagt, wenn die Menschen leiden. Es sollte doch alles ganz anders sein auf dieser Welt.

Tatjana Ovrutschskaja, „Lebenstheater“, Nebbiensches Gartenhaus des Frankfurter Künstlerclubs, bis 6. Mai 2012

(abgebildete Gemälde © Tatjana Ovrutschskaja; Fotos: Sascha Neroslavsky [9] und Erhard Metz [1])

s. a.  Julia Ovrutschskaja

 

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