home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Virtuelle Währungen

Zahlungsmittel mit Zukunft?

Von Johanna Wenninger-Muhr

Bildnachweis: wikimedia commons / Wazouille

Flugmeilen, Bonuspunkte, Mobiltelefon-Gesprächsguthaben oder auch CO2-Zertifikate sind gängige Beispiele für virtuelle Währungen. Werden sie ausserhalb der Unternehmensgrenzen als Bezahlsystem akzeptiert oder in reale Währung zurückkonvertiert, findet laut Mattias Horx, seines Zeichens Zukunftsforscher und Gründer des 1998 gegründeten Zukunftsinstituts, das als Think Tank und Unternehmensberatung im Bereich der Strategie- und Innovationsentwicklung arbeitet, Geldschöpfung statt. Wer die Bezahlvorgänge kontrolliere, habe Zugriff auf den wichtigsten Rohstoff der Zukunft: sensible Kundendaten. Deshalb sei der Markt für digitales Payment auch so heiss umkämpft. „Komplementärwährungen“ träten immer mehr ins Bewusstsein, so Horx´s These. Die bekannteste Internetwährung sei „Bitcoin“. Sie existiert seit Anfang 2009 und geht auf den Vorschlag und die Software eines Japaners namens Satoshi Nakamoto zurück. Das Bitcoin-Gesamtvolumen habe ich sich im Juli 2011 umgerechnet auf etwa 120 Millionen US-Dollar belaufen, das tägliche Transaktionsvolumen auf über eine Million US-Dollar.

Bitcoin (Bildnachweis: wikimedia commons / Satoshi)

Vor allem im Internet entstünden derzeit neue Währungen. Zudem verschärfe die Finanzkrise die Suche nach Alternativen zum Zentralbankgeld. Zwar beschäftige sich derzeit erst eine Minderheit intensiv mit dieser Thematik, aber virtuelle Währungen dienten schon heute als unkompliziertes Zahlungsmittel bei Online-Käufen. Anders als bei herkömmlichen Zahlungsmitteln wie etwa Banknoten fliesse kein reales Geld.

Vater der weltweiten Bewegung für alternative Währungen ist Bernard Lietaer, ein ehemaliger belgischer Banker, der derzeit als Professor in den USA forscht und lehrt. In seinem Buch „The future of money“, das inzwischen in 18 Sprachen übersetzt wurde, wirbt er dafür, sich von der globalen Monokultur des Bankengeldes als einzigem Zahlungsmittel zu verabschieden und einen Mix aus Komplementärwährungen zu etablieren.

Bernard Lietaer (Bildnachweis: PopTech 2011 – Camden Maine USA / wikimedia commons cc)

Ein sprudelnder Quell virtuellen Geldes ist das Internet mit Online-Communitys und Computerspielen. Multiplayer Online Games wie Second Life, Entropia Universe oder World of Warcraft verfügen, so beschreibt es Horx, über eigene In-Game-Währungen, die für den Warenaustausch mit virtuellen Gütern eingesetzt werden und ausserhalb des Spiels über eigene Tauschbörsen in reales Geld umgewandelt werden können. So sei es möglich gewesen, dass „Second Life-Menschen“ mit dem Verkauf virtueller Häuser und Grundstücke sich ein reales Monatsgehalt verdienen konnten. Bereits 2005 schätzte die New York Times, dass allein in China 100.000 Spieler hauptberuflich vom „Gold Farming“, vom Verkauf virtueller Güter wie Schwerter oder Kleidung in Online-Rollenspielen leben – bei einem Durchschnittsgehalt von 145 US-Dollar. Auch wenn nichts Physisches produziert werde, handele es sich hierbei um eigene Währungsräume, die durchaus mit Volkswirtschaften kleiner Staaten vergleichbar seien. Obwohl diese Schattenwirtschaft weitgehend unerforscht und nicht reglementiert sei, warnte die australische Marktforscherin Mandy Salamon, hätten die Parallelwährungen in virtuellen Welten das Potenzial, nationale Geldmärkte zu destabilisieren. Erste Finanzbehörden seien schon eingeschritten. So wurde die schwedische Spielefirma MindArk, die das Entropia Universe mit verschiedenen virtuellen Welten betreibt, von den schwedischen Behörden zur Bank erklärt und muss nun die strikten Banking-Auflagen der EU erfüllen.

Der „Gorilla“ im Raum der Corporate Currencies, so Matthias Horx, heisse Facebook. Es habe mit seinem Bezahlsystem „Credits“ eine eigene Hauswährung für seine 800 Millionen Mitglieder geschaffen. Seit Juli 2011 seien diese Guthaben, die in den USA bereits an Supermarktkassen erworben werden könnten, alleiniges Zahlungsmittel für alle Transaktionen innerhalb von Facebook-Apps. Die Wirtschaftswoche widmete dem Thema im November 2011 eine Coverstory mit dem Titel „Vorsicht, Cyber Geld!“. Darin wird die Frage aufgeworfen, ob Cyber-Währungen eines Tages eine Alternative zu Euro und Dollar sein würden.

Open Money und Bitcoins

Digitales Bargeld, das sich auf Handys und Computer laden und speichern lasse, wäre für den Online-Handel eine enorme Erleichterung und die grösste Geldinnovation seit Erfindung der Banknote in der chinesischen Tang-Dynastie, schrieb die Wirtschaftswoche im November 2011. Initiativen wie OpenCoin.org oder das „Open Universal Digital Currency“-Projekt seien laut Horx auf der Suche nach einer Lösung, indem sie sich an die Prinzipien von Open Source Software anlehnen. Das Netzwerk Hub Culture gibt seit 2007 die virtuelle Währung „Ven“ aus, um seinen 25.000 Mitgliedern Transaktionen zu ermöglichen.

(Bildnachweis: © hubculture.com)

Neben einem Warenkorb aus Gütern und Dienstleistungen ist der Ven mit Kohle hinterlegt und an die Preisentwicklung fossiler Brennstoffe gebunden. Der derzeit aussichtsreichste und abenteuerlichste Kandidat aber sei eine Währung, die dezentral und von jedem erzeugt werden könne, der über entsprechende Rechenleistungen verfügt: Bitcoin, eine Währung, die auf mathematischen Verschlüsselungsfahren basiert. Bitcoins bestehen aus einem Protokoll getätigter Transaktionen, das nicht zentral, sondern auf jedem angeschlossenen Rechner gespeichert wird. Ganz geheuer sei Bitcoin selbst Teilen der Internet-Gemeinde nicht, seitdem Kriminelle es entdeckt hätten, um anonym Drogen-, Waffen- und Geldwäsche-Geschäfte abzuwickeln. Der Blogger und Internet-Unternehmer Jason Calacanis hält es für das „gefährlichste Open-Source-Projekt aller Zeiten“. Die CIA, so Horx, habe Bitcoin unter verschärfte Beobachtung genommen. Viele Experten würden mit einem Verbot innerhalb des nächsten Jahres rechnen. Die Enthüllungsplattform WikiLeaks rief zu Bitcoin-Spenden auf, nicht zuletzt weil PayPal, Visa und weitere Finanzunternehmen die Geschäftsbeziehungen zu WikiLeaks eingestellt hatten und so konventionelle Spendenwege blockiert waren. Ob sich Bitcoins durchsetzen werden oder nicht, so Horx: auf jeden Fall liefere es die Blaupause dafür, wie eine globale Internetwährung konstruiert sein müsste. Dazu Clemens Cap, Informatik-Professor aus Rostock: „Wir wissen, dass Bitcoin funktioniert, aber wir wissen nicht genau warum.“

B2B und Bartering

Auch „Bartering“, die ursprünglichste Form des Tauschhandels, bei dem kein Geld involviert ist, erlebe eine weltweite Renaissance. Bis zu einem Viertel des Welthandels, so schreibt Bernard Lietaer in seinem Buch „The future of money“, bestehe heute schon aus Barter Geschäften“.

Pepsi Cola etwa erziele seine Profite in Russland in Form von Wodka, der dann in die EU verkauft werde. Frankreich habe Kernkraftwerke gegen Öl in den Mittleren Osten geliefert. Auf solchen Zulieferbeziehungen setzten B2B-Komplementärwährungen auf, indem sie ein Verrechnungssystem böten, das auch bargeldlose Ringtauschgeschäfte ermögliche. Das älteste Verrechnungssystem sei das der WIR-Bank in Basel.

Bildnachweis: © WIR Bank, Basel

Es ging aus der 1934 gegründeten Wirtschaftsring-Genossenschaft hervor. Die Komplementärwährung WIR ist wertmässig an den Schweizer Franken gekoppelt und ermöglicht zinslose Kredite und Zahlungsabwicklungen zwischen den rund 70.000 Teilnehmern, meist kleine und mittelständische Unternehmen. 2009 sei ein Gegenwert von 1,6 Milliarden Schweizer Franken in WIR umgesetzt worden. Ähnlich funktioniere „Bartercard“ aus Australien. Mit einem Transaktionsvolumen von 25 Milliarden US-Dollar wachse das Unternehmen schnell und expandiere derzeit in Malaysia, Sri Lanka, Thailand und im Mittleren Osten und hätte auch Europa im Visier. Bartercard -Teilnehmer akzeptierten, dass sie mit ihren Trade Dollars nur bei angeschlossenen Unternehmen einkaufen können. In Krisenzeiten böten Bartersysteme aufgrund ihrer Abgeschirmtheit einen robusten Rückhalt gegen die Volatilität der Weltmärkte. In Griechenland sprössen laut Horx derzeit als Reaktion auf die Finanzkrise lokale Bartersysteme geradezu aus dem Boden.

Tauschringe und Zeitbanken

Klassiker unter den Alternativwährungen seien lokale Tauschringe, die als „Graswurzel-Bewegung“ in den späten 1990er Jahren eine Hochzeit erlebten und eine Form der Nachbarschaftshilfe seien. Allein in Deutschland ist ihre Zahl auf über 300 gestiegen. Auch international verzeichnen die „Local Exchange Trading Systems“ (LETS) Wachstum. Zu den Grundprinzipien gehört, dass die Währung eine Entsprechung in investierten Arbeitsstunden hat und dass jede Arbeitsstunde gleich viel wert ist. Eine Stunde Haareschneiden ist gleich eine Stunde Mathe-Nachhilfe.

Tauschring Karlsruhe (Foto: © Stadt Karlsruhe)

Für Menschen, die richtiges Geld verdienen und gut bezahlte Jobs haben, sind Tauschringe in der Regel aber unattraktiv. In akuten Wirtschaftskrisen könnten sie jedoch als Rückfallsystem funktionieren und helfen, das öffentliche Leben aufrecht zu erhalten. Eine neue Generation von Zeit-Tauschbörsen verzichtet ganz auf den regionalen Fokus. Das spanische „Knowledge Exchange Network“ Communitas.org etwa ist auf den stundenbasierten Austausch internationaler Wissensarbeiter ausgerichtet.

Betrachte man, so Horx, den demografischen Wandel und die daraus resultierende Überforderung der Sozialsysteme, könnte die Idee der Zeitbanken im politischen Diskurs bald eine gewichtige Rolle spielen: als komplementäres System der Altersvorsorge. Das machen auch der ehemalige CDU-Ministerpräsident Lothar Späth und der ehemalige McKinsey-Chef Herbert Henzler in ihrem Buch „Der Generationen-Pakt“ deutlich: „Neben dem Geld brauchen wir eine weitere Währung für die Altersvorsorge, nämlich Zeit: Für jede Stunde des Helfens wird eine Stunde gutgeschrieben für den Fall, dass man später selbst Hilfe braucht.“

 

Comments are closed.