home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Adriana Lecouvreur“ von Francesco Cilea in der Oper Frankfurt

Oberflächliche Liebesschwüre – furioses Duell der Rivalinnen

Von Renate Feyerbacher
Fotos: © Wolfgang Runkel / Oper Frankfurt

Theater, Bühnenwirklichkeit konfrontiert mit der Realität, so lässt sich das Melodrama, die neue Opernkreation in Frankfurt, auf den Punkt bringen.

Micaela Carosi (Adriana Lecouvreur)

Staunen, als der rote Theatervorhang langsam nach oben schwebt und das Bühnenbild sichtbar wird. Ein Bühnenbild im Bühnenbild. Der Ort: die Comédie-Française, beziehungsweise die Bühnenkulissen mit Einblick in die dahinter liegenden Garderoben der Schauspielerinnen und Schauspieler. Hinten das Portrait von Jean-Baptiste Poquelin, alias Molière (1622 bis 1673), der eng mit diesem Theater verbunden war. Es wird auch „Maison de Molière“ genannt. Per Dekret hatte König Ludwig XIV. im Jahr 1680 die beiden Pariser Schauspieltruppen in diesem Theater vereinigt.

Später verschwindet Molières Bild und ein Spiegel erweitert das Geschehen.

Opulent die grandiosen Kostüme der damaligen Zeit und wie sie sich gekonnt darin bewegen: die Schauspiel-Sängerinnen und -Sänger der Oper Frankfurt. Nervös hin und her eilend, aus Jean Baptiste Racines (1639 bis 1699) Tragödie „Bajazet“ rezitierend. Dazwischen sind Sätze zu hören, die Intrigen offenbaren und spannend auf das Operndrama vorbereiten, das folgt.

Peter Marsh (Abbé von Chazeuil), Maren Favela (Fräulein Dangeville; verdeckt), Julian Prégardien (Poisson), Micaela Carosi (Adriana Lecouvreur), Davide Damiani (Michonnet), Anna Ryberg (Fräulein Jouvenot), Florian Plock (Quinault) und Federico Sacchi (Fürst von Bouillon)

Historische Figuren

Die Oper spielt im Jahr 1730. Es ist das Todesjahr der berühmten Schauspielerin Adrienne Couvreur genannt Lecouvreur, die 1692 in der Champagne zur Welt kam. Eine historische Figur, eine gefeierte Schauspielerin, die mit 37 Jahren starb und buchstäblich in einer Nacht- und Nebelaktion am Ufer der Seine verscharrt wurde, in nicht geweihter Erde. So wollten es die Bestimmungen der katholischen Kirche für Schauspieler im 18.Jahrhundert.

Vorgeworfen wurde den Darstellern, dass sie die Wirklichkeit fälschten, zum destruktiven Zeitvertreib verleiteten, die Jugend und die Frauen durch öffentliche Darstellung von Liebe und Leidenschaft gefährdeten und per se unsittlich in ihrem Lebenswandel seien. Sie wurden der Prostitution verdächtigt.

Lecouvreurs Freund, der Schriftsteller Voltaire (1694 bis 1778), schrieb in seinem Wort-Epitaph: „Und die Lecouvreur hätte in London ein Grabmal neben den Geistesgrössen, den Königen und Helden bekommen … Götter! Warum ist mein Land nicht mehr das Vaterland des Ruhmes und der grossen Geister?“ (aus: „Der Tod von Mademoiselle Lecouvreur, der berühmten Künstlerin“, 1730, zitiert aus dem Programmheft).

Makaber, dass der Wohlfahrtsausschuss (Comité de salut public), der während der Französischen Revolution vom Nationalkonvent eingerichtet wurde, die Comédie-Française 1793 schliessen und die Schauspieler verhaften liess. Sie wurde erst sechs Jahre später wiedereröffnet. Welche Gemeinsamkeiten!

Charles-Antoine Coypel (1694 bis 1752), Adrienne Lecouvreur als Cornelia in Pierre Corneilles Drama La Mort de Pompée (wikimedia commons, Foto: Vichy-Enchères)

Dabei bleibt die Schauspielerin Adrienne Lecouvreur in historisch guter Erinnerung. Sie war bescheiden und beschrieb sich als Dienerin der Kunst, die das „Verdienst meines Spiels in seiner Natürlichkeit“ sah.

Die Familie war aus wirtschaftlichen Gründen, der Vater war Hutmacher, nach Paris gezogen in unmittelbare Nachbarschaft zum berühmten Theater, an dem sie später ihre grossen Rollen spielte. Früh wurden Theaterleute auf ihr Talent aufmerksam. Mit 18 Jahren war sie bereits am Theater in Lille engagiert, es folgten Gastspiele in Flandern, Lothringen und im Elsass. In Straßburg wurde sie ans Hoftheater des Herzogs verpflichtet. „Sie verkehrte  als angesehener Gast in den ersten Kreisen dieser weltoffenen Stadt – ein für die damalige Zeit erstaunlicher Vorgang. Denn Theaterleute galten während des Ancien Régime als nicht gesellschaftsfähig“, schreibt Hans-Georg Uhl im Programmheft-Beitrag „Gesellschaftsskandal um eine grosse Tragödin“ (aus „Ein Libretto schöpft aus dem Leben“, München 1984). Sie brachte es fertig, die sozialen Schranken zwischen dem Schauspielberuf, der einen niederen Status hatte, und der sogenannten besseren Gesellschaft zu überwinden.

Schlichtes Auftreten, kein pathetisches Gehabe, sondern kluge Natürlichkeit auf der Bühne und im persönlichen Umgang, hohe Intelligenz, literarisches Talent und sittliches Verhalten, und das in der verführerischen Barockzeit, werden ihr nachgesagt. Ihre besondere Ausstrahlung und ihre Fähigkeit, die Herzen der Menschen zu rühren, begeisterten.

Sie war 25 Jahre als, als sie nach Paris verpflichtet wurde. Es beginnt die Zeit ihrer grössten Theatertriumphe. In den Logen gaben sich die Fürsten die Klinke in die Hand. Und auch die Pariser Bürger lagen ihr zu Füssen. Sie gewann mit den klassischen Rollen in Corneilles und Racines Dramen ein Bühnenformat, das später nur mit dem von Sarah Bernhardt (1844 bis 1923) verglichen wird, die 1862 mit 18 Jahren an der Comédie-Française mit Iphigenie von Jean Racine debütierte. Sie verehrte die Vorgängerin, war allerdings im Privaten mehr oder weniger das Gegenteil. Sie schlüpfte in dem Stück, das sie schrieb, in die Rolle der Adrienne Lecouvreur.

Opernhandlung

Der italienische Komponist Franceso Cilea (1866 bis 1950) entschied sich 1899, das Drama von Eugène Scribe und Ernest Legouvé  „Adrienne Lacouvreur“, zum Libretto umgeschrieben von Arturo Colautti, zu vertonen. Er begeisterte sich für die verschiedenen Charaktere, von denen er berechtigt Bühnenwirksamkeit erhoffte. Die Paare Lecouvreur – Maurizio und Fürst und Fürstin von Bouillon bieten sie, ebenso das glamouröse Theaterleben der Barockzeit.

Fast authentisch haben die Herren Scribe und Legouvé die Figur der historischen Schauspieler-Persönlichkeit gezeichnet. Ob sie allerdings durch den Duft eines vergifteten Veilchenstrausses starb, wird bezweifelt. Adriennes Arzt, der wie Voltaire bei der Sterbenden war, konnte die Todesursache nicht klären. Tatsächlich soll die Künstlerin an Lungenschwindsucht gelitten haben.

Maurizio heisst ihr Geliebter in Cileas Oper „Adriana Lecouvreur“. Hinter der Figur verbirgt sich der historische Hermann Moritz Graf von Sachsen (1696 bis 1750), illegitimer Sohn von August dem Starken. Ein Meister deutscher Kriegskunst in französischen Diensten (Maréchal de Saxe). Berüchtigt war er wegen seiner Ausschweifungen. Adriennes Briefe an den Grafen bezeugen dagegen ihre Treue.

In der Oper, die 1902 in Mailand uraufgeführt wurde (mit Angelica Pandolfini in der Titelrolle und Enrico Caruso als Maurizio), tritt der Graf zunächst als untadeliger Held, als glühender, ehrlicher Liebhaber auf. Allerdings weiss Adriana nicht, dass er der Graf von Sachsen ist und nicht ein Fähnrich aus dessen Regiment, wie er vorgibt.

Schon kurz nach dem mit Treueschwüren vollgepackten Duett verschwindet er, um sich mit Adrianas späterer Gegenspielerin zu treffen, der Fürstin von Bouillon. „Er verspricht viel, hält wenig“, bestätigt er von sich selbst.

Im  Zweiten Akt ein neues Bühnenbild: eine halbkreisförmige Wand, die zu einzigartigem Schattenspiel anregt. Nur ein Stuhl steht einsam herum.

Modern die Kostüme. Die Fürstin in einem sportlich-eleganten Satinmantel, unter dem sie dürftig bekleidet ist. Sie will Maurizio, den sie leidenschaftlich liebt, verführen, wieder an sich binden. Der aber bleibt kühl und distanziert. Daraufhin will sie den Namen ihrer Rivalin wissen. Überraschend wird der Fürst, ihr Gatte, angekündigt, und eilig muss sie sich verstecken.

Frank van Aken (Maurizio), Tanja Ariane Baumgartner (Fürstin von Bouillon) und Micaela Carosi (Adriana Lecouvreur)

Die Intrigenspiele sind verworren: Der Fürst, glaubt, dass seine Maitresse, die  Schauspielerin Mademoiselle Duclos, an Graf Moritz einen Brief schrieb und will die beiden überführen. Dabei erfährt Adriana, die auch in der Villa ihrer Schauspielkollegin Duclos erscheint, dass Maurizio der Graf selbst ist, und verdächtigt ihn, ein Verhältnis mit der Duclos zu haben. Er kann sie überzeugen, dass es nur politische Interessen waren, sich mit einer  hochgestellten Dame hier geheim zu treffen. Adriana, die erkennt, dass diese Dame Maurizio liebt, ist nicht mehr bereit, der Fürstin zur Flucht zu verhelfen, wie sie es Maurizio versprach. Ein Höhepunkt der Oper ist das Duett der beiden Rivalinnen. Der Fürstin gelingt unerkannt die Flucht, ihr Armband bleibt jedoch in Adrianas Händen zurück.

Auf einem Fest, zu dem der Fürst auch Adriana und Michonnet, den Inspizienten der Comédie einlud, kommt es zum Eklat. Die Fürstin erkennt die Stimme der Nebenbuhlerin. Um letzte Gewissheit zu erhalten, tischt sie die Geschichte vom verwundeten Maurizio auf. Adrianas heftige, betroffene Reaktion gibt ihr Gewissheit. Dann erscheint der Graf und protzt mit seinen kriegerischen Taten. Adriana rächt sich, indem sie das Armband zeigt. Der Fürst erkennt es als Schmuckstück seiner Frau und ist pikiert.

Eine schauspielerische Einlage wird verlangt. Hämisch fordert die beherrschte Fürstin die Rivalin auf, die Klage der Ariadne, die von Theseus verlassen wurde, zu deklamieren. Der Fürst will dagegen, dass sie aus Racines Phädra rezitiert, die eine
zerstörerische, leidenschaftliche Liebe zu ihrem Stiefsohn nährt. „Mir scheint, diese Gewölbe, diese Mauern sprächen, als warteten sie schon, zur Anklage bereit, meinem Gemahl die Wahrheit zu enthüllen“ (Racine „Phädra“, Akt III, Szene 3).

Dramatisch, wie Cilea diese Szene gestaltet hat. Adriana beginnt im Deklamationsstil, geht über in Sprechgesang und endet im Gesang. Das hat Wucht. Kein Wort sprechen Adriana und Maurizio bei diesem Fest miteinander.

Der vierte Akt, der wieder in den Theaterkulissen spielt, die durch bedrückendes Lichtdesign verfremdet sind,  ist dem Vergiftungstod der Schauspielerin gewidmet. Noch einmal erscheint Maurizio, den der väterliche Freund Michonnet (der seine Liebe zu Adriana vergrub) um sein Kommen bat. Er bittet um Verzeihung und beschwört sie, seine Frau zu werden. Der Giftduft der Blumen wirkt.

Davide Damiani (Michonnet) und Micaela Carosi (Adriana Lecouvreur)

Der Komponist und seine Oper

Francesco Cilea prägte das Musikleben seines Landes um 1900 noch entscheidend mit. Die Kritiker rechneten seine Oper „Adriana Lecouvreur“ zu den gelungensten Opern der Jahrhundertwende. Triumphal ist es 1902 im Mailander Teatro Lirico zugegangen. Nicht nur in Italien, sondern auch im Ausland – Paris, London, Mexiko City, St.Peterburg und New York – wurde das Werk gefeiert. Nur aus Hamburg, wo die deutsche Erstaufführung im November 1903 stattfand, gab es kaum Berichte, und nach drei  Aufführungen wurde es abgesetzt. Erst 1938 tauchte die Oper wieder in Berlin auf.

Aber es gab eine Zeit, da wurde sie auch nicht mehr in Italien gespielt, und Cilea bearbeitete sie. 1930 erlebte sie ihre erfolgreiche Wiederaufführung und gehört seitdem in Italien zum Repertoire. Seit einiger Zeit wird „Adriana Lecouvreur“ auf mehreren deutschen Opernbühnen gespielt.

Musikspezialisten sprechen von einer „farbigen, perfekt ausgearbeiteten Instrumentierung“ und bescheinigen der melodischen Form eine stets klare und elegante Führung. Grandios wird Maurizios kriegerische Erfolgsarie, die er der Festgesellschaft präsentiert, durch Trommeln, Hörner und Trompeten begleitet. Sie steigert die Sensationslust der Anwesenden. Sehr differenziert und fest umrissen sind die Partien der Rivalinnen. Gelungen ist ihr gegenseitiger Schlagabtausch, der schliesslich in der Deklaration der Phädra gipfelt.

Francesco Cilea sah seine Hauptaufgabe nicht als Komponist, sondern als Lehrer. Schmal ist sein Œuvre: fünf Opern, die wenig Beachtung fanden, Kammermusik und Orchesterwerke.

Die Frankfurter Aufführung

Der französische Regisseur Vincent Boussard, der an der Comédie-Française gearbeitet hat, bringt das französische Flair gekonnt rüber. Die Abwesenheit von Maurizio , die gleich am Anfang sichtbar wird, steigert er in der Sterbeszene. Maurizio bringt es nicht fertig, sich der Sterbenden zu nähern, geschweige sie in die Arme zu nehmen. Was für ein Schwächling. Hart, bösartig lässt er die Fürstin agieren, bescheiden, aber selbstbewusst Adriana.

Spektakulär sind die Bühnenbilder und die Kostüme. Kaspar Glarner, kein Unbekannter an der Oper Frankfurt, verändert sein Bühnenbild raffiniert durch Spiegelelemente, kombiniert im 2. Akt mit einer leeren Wandfläche, die eindrücklichen Schattenspielen dient. In der letzten, der Sterbeszene, fällt eine Kulissenwand um. Auf ihr stirbt Adriana.

Ein weiterer Clou: die Kostüme von Christian Lacroix. Der weltberühmte Modeschöpfer ist seit über 30 Jahren auch bei Opern-, Ballet- und Schauspielproduktionen aktiv. In üppigen Kostümen beginnt das Theater im Theater. Dann kleidet Lacroix die Protagonisten und den Chor in moderne, elegante Gewänder. Das hat was.

Eine faszinierende Rolle spielt das Licht, das Beleuchtungsmeister und Lichtdesigner Joachim Klein seit Jahren an der Oper Frankfurt gestaltet.

Cileas Werk stellt hohe Anforderungen an die Hauptfiguren. Die Titelpartie singt Micaela Carosi, eine der bedeutendsten Sopranistinnen Italiens. Sie hat die Rolle bereits gesungen. Eine edel-vornehme Erscheinung. Eine schöne Stimme, mit eindrücklichen Momenten, die gelegentlich aber in leichtes Vibrato abdriften. Nicht immer springt der Funke über. Bewegend und einmalig, wie Micaela Carosi die Phädra-Szene gestaltet.

Auch Frank van Aken, an der Oper Frankfurt als Siegmund in „Die Walküre“ gefeiert, wird der Rolle als Maurizio nicht immer gerecht. Es gibt gelegentlich Schwankungen in der Intonierung. Er ist kein überzeugender Liebender im Liebesduett  mit Adriana.

Klangschön und klangvoll dagegen durchgehend Tanja Ariane Baumgartner als Fürstin. Ihr durchdringender Mezzosopran gab dieser Figur die überzeugende Rivalinnen-Grösse. Sie wurde zum gefeierten Star des Abends. Zum ersten Mal sang sie diese Partie.

Neu in Frankfurt ist der italienische Bassist Frederico Sacchi. Nicht nur stimmlich, sondern auch schauspielerisch prägnant bewältigte er sein Rollendebüt als Fürst von Bouillon. Auch Peter Marsh gefiel als schmieriger Abbé von Chazeuil.

Der Italiener Davide Damiani gastiert erstmals in Frankfurt als Michonnet. Sein ausgewogener Bariton verleiht dem verzichtend Liebenden Glaubwürigkeit.

Einfühlsam begleitet das Frankfurter Opern-und Museumsorchester die Sängerinnen und Sänger und bietet bewegende Momente bei den längeren Zwischenmusiken. Dirigent Carlo Montanaro, auch er ein Italiener, hat ein feines Gespür für die Musik Francesco Cileas, die es versteht, Melancholie, Rivalität, Leidenschaft, aber auch gesellschaftliche Ausgelassenheit in Töne umzusetzen.

Dieses grosse Opernspektakel sollte man nicht verpassen.

Weitere Aufführungen am 9., 15., 17., 23. und 30. März, jeweils um 19.30 Uhr, sowie am 25. März um 15.30 Uhr mit kostenloser Kinderbetreuung durch Fachpersonal für Kinder von 3 bis 9 Jahren.

Comments are closed.