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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die Kunst in den Sarg? Saâdane Afif im MMK-Zollamt

(Bildnachweis: Museum für Moderne Kunst)

Manche unter Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, werden stöhnen: schon wieder Konzeptkunst! Das versteht doch kein Mensch! Da muss man doch Kunstwissenschaftler sein oder zumindest erst dicke Bücher lesen, um zu kapieren, worum es gehen soll. Ach ja, trotzdem – bleiben Sie uns geneigt und lesen Sie bitte weiter. Es gibt jetzt nämlich „schwarzen Humor“!

„Saâdane Afif. Anthologie de l’humour noir“

heisst die neue Ausstellung in der Dependance Zollamt des Frankfurter Museums für Moderne Kunst. Es ist die erste museale Einzelpräsentation des Künstlers in Deutschland. Zuvor, im Herbst 2010, war sie schon im Musée National d’Art Moderne im Pariser Kunst- und Kulturzentrum Centre Pompidou zu sehen. Dort erhielt Afif im Jahr 2009 den angesehenen, mit 35.000 Euro dotierten Prix Marcel Duchamp, der an französische oder in Frankreich lebende Künstler vergeben wird. Für die Präsentation im MMK-Zollamt hat Afif die damalige Ausstellung jetzt entsprechend weiterentwickelt.

In jenem Centre Pompidou war es, dass der junge Afif seinerzeit beschloss, Künstler zu werden. Und nun gab ihm im Zuge der Preisverleihung das berühmte Haus Anlass, sich mit dem „Museum“ als Institution auseinanderzusetzen. Dort fand vor Jahren eine Ausstellung mit Figurensärgen aus Ghana statt. Prompt bestellte er beim dortigen Hersteller einen Figurensarg: in Gestalt einer Nachbildung des Centre Pompidou!

Ausstellungsansicht

Wir finden ihn in der Mitte des Zollamtssaals aufgebockt, umgeben von Pollern, wie sie auf den Strassen zur Abgrenzung vor Verkehrsflächen und zum Schutz von Gebäuden anzutreffen sind.

Will Saâdane Afif die Kunst in den Sarg legen? Zumindest die in den institutionellen Museen aufbewahrte? Oder gleich den gesamten Kunstmuseumsbetrieb?

Ein wesentlicher Bestandteil der Installation sind Wandtexte, in gedruckter Form liegen sie als „Anthologie de l’humour noir“ vor und sind sicherlich im MMK noch erhältlich. Die Texte (von Lili Reynaud Dewar, Adam Carr, Jean-Charles Massera, Mick Peter, Benjamin Rondeau, Benoit Maire, Brandon Labelle, Rémi Boinot, Louis-Philippe Scoufaras, Claire Guezengar, Michael Stevenson, Laetitia Paviani, Tacita Dean, André Magnin, Chloé Delaume, Franz von Stauffenberg, Gregor Hildebrandt, www.song-lyrics-generator.org.uk/Eva Huttenlauch, Andreas Schlaegel, Bernhard Rüdiger, Clara Meister, Hank Schmidt in der Beek und Michael Riedel) wurden in einer Eröffnungsperformance von Henrike Jörissen und Sébastien Jacobi, Mitglieder des Ensembles von Schauspiel Frankfurt, auf den Pollern stehend rezitiert.


Bildnachweis © Museum für Moderne Kunst

Es gibt verschiedene Anknüpfungspunkte für Afifs Präsentation: die Einflüsse afrikanischer Kultur auf die europäische Avantgarde sowie die Verbindungen mit der französischen Kunst- und Literaturgeschichte. „Mit dem Sarg bezieht sich Afif“, so MMK-Direktorin Susanne Gaensheimer, „auf den von André Breton geprägten Begriff des ‚Schwarzen Humors‘ und mit ihm auf die Tradition von Futuristen, Dadaisten, Surrealisten und deren Manifeste. Diese proklamierten ihre Ablehnung alles Institutionellen im Allgemeinen und von Museen im Besonderen. Das MMK Zollamt als Forum für junge künstlerische Positionen versucht seinerseits, jene kritische Auseinandersetzung mit dem Museum als Institution zu fördern“. Und Kuratorin Eva Huttenlauch ergänzt: „Die Kunst von Saâdane Afif ist ein Gespräch über das Wesen der Ästhetik; der Diskurs selbst ist mithin Gegenstand seiner Kunst“.

Ausstellungsansicht

Nun sage uns noch jemand, Konzeptkunst sei zu schwierig! Übrigens (auch wir verfügen über ein Quentchen schwarzen Humor): Figurensärge gibt es, wie oben zu sehen, auch in Gestalt von Mobiltelefonen oder Hühnern. Sie wären, zum Beispiel für Musikausführende, sicher auch als Geigen oder Klarinetten herzustellen oder etwa für Raucher in Gestalt einer dickbäuchigen Dollar-schweren Cohiba.

Saâdane Afif wurde 1970 in Vendôme geboren. Er bestritt europaweit eine Vielzahl von Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen. Afif lebt und arbeitet in Berlin.

Saâdane Afif, „Anthologie de L’Humour noir“, Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main (Zollamt), bis 1. April 2012

(Fotos: FeuilletonFrankfurt)

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