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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Bröckelt der Mythos?

Nachlese zu den 100. Bayreuther Festspielen

von Renate Feyerbacher

Pausenbläser auf dem Balkon des Festspielhauses, Foto: Andreas Praefcke/wikimedia commons GFDL

Die 100. Bayreuther Festspiele (25. Juli bis 28. August 2011) haben heftige Diskussionen ausgelöst. 30 Vorstellungen gab es auf dem sogenannten Grünen Hügel. Vor der offiziellen Eröffnung begeisterte zum dritten Mal das Projekt „Wagner für Kinder“ mit dem „Ring“ – 15 Stunden in 90 Minuten. Das muss ein Ereignis gewesen sein. Weitere Höhepunkte waren das Public Viewing mit „Lohengrin“ und die erste Live-Übertragung dieser Oper in ARTE.

Das Festspielhaus am 12. August 2011 kurz vor dem Regen, Foto: Renate Feyerbacher

Der mühsame Weg der Kartenbeschaffung – vorbei?

Seit 2002 habe ich mich jährlich schriftlich um Karten bemüht. Und dann im 100. Jahr kam die Nachricht, es gäbe für mich Karten; zwar nicht für die Aufführung, die ich vor allem sehen wollte, nämlich „Lohengrin“, sondern für die „Meistersinger“. Auch wären es schlechtere Plätze. Ich habe die Karten akzeptiert, obwohl ich die verheerenden Kritiken von 2007 kannte, obwohl ich wusste, die Inszenierung ist ein Auslaufmodell. Ich wollte das erleben und tröstete mich, dass sie nicht teuer waren.

Ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung am 2. September befasste sich mit der „dubiosen Kartenvergabe“ bei den Wagner-Festspielen, weil weniger als die Hälfte aller Karten nicht in den freien Verkauf gingen. Sogar der Staatsanwalt trat nun in Aktion.

Andererseits war zu sehen, dass Plätze frei blieben. In einer Zeitung versprach ein Wagner-Fan „100 Euro dazu, wenn Sie meine Meistersinger-Karten geschenkt abnehmen.“

Wie gesagt, zugteilt bekam ich „Die Meistersinger von Nürnberg“ in der Inszenierung von Katharina Wagner (*1978), der Urenkelin von Richard Wagner und der Ur-Ur-Enkelin von Franz Liszt. Sie studierte Theaterwissenschaften, war Regieassistentin bei Harry Kupfer an der Staatsoper in Berlin und leitet seit 2008 zusammen mit ihrer Halbschwester Eva Wagner-Pasquier, beider Vater ist Wolfgang Wagner, die Bayreuther Festspiele.

Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier am 25. Juli 2009, Foto: Tafkas/wikimedia commons CC

Auslaufmodell „Die Meistersinger von Nürnberg“

„… gewiss ist aber, dass sie (Katharina Wagner) als Regisseurin ihr künstlerisches Profil noch finden muss“, hiess es 2007 in NZZ-Online (Neue Zürcher Zeitung). Die Kurzkritik in der FAS (FAZ am Sonntag) 2011 machte auch keine Freude. Es muss in den vier Jahren an der Inszenierung viel herum gefeilt worden sein: „… demnächst könnte daraus ein schöngeföhnter Klassiker werden“, schrieb Eleonore Büning am 31. Juli 2011, die sogar von sängerischen Fehlbesetzungen sprach und auch nicht begeistert war von dem in Frankfurt viel gepriesenen Generalmusikdirektor Sebastian Weigle. Er habe in vier Jahren nicht gelernt, „Bayreuths Akustik wirklich bei den Hörnern zu nehmen“. Seine ersten beiden „Ring“-Interpretationen der letzten Spielzeit an der Frankfurter Oper fanden hingegen grosses Lob.  Man muss wissen, dass über dem Bayreuther Orchestergraben ein Deckel liegt, so hat es Richard Wagner gewollt.

Diese harsche Kritik an der musikalischen Interpretation und den Sängern konnte ich nicht teilen, aber mich auch nicht in Begeisterung versetzen. Geärgert hat mich die Regie. „Wollen Sie diesen Flegel zum Schwiegersohn?“ dachte ich ständig bei diesem rüpelhaften Stolzing, der mit Farbeimer und Pinsel alles anstrich, was rumstand und ihm in die Quere kam – auch Eva musste dran glauben und wurde bemalt. Es waren zu viele Gags, dann aber wieder gedehnte Passagen, die fast Langeweile aufkommen liessen. Das habe ich noch nie bei den „Meistersingern“ erlebt. Besonders ärgerlich fand ich die Deutschtümelei.

Wagner-Büste, Foto: Renate Feyerbacher

Premierendebakel „Tannhäuser“

Premiere hatte in diesem Jahr der „Tannhäuser“ von Sebastian Baumgarten. Ich habe ihn am Radio gehört – sängerisch Stadttheaterniveau. Nur Michael Nagy, der zum Ensemble der Oper Frankfurt gehört, gefiel als Wolfram. Der Chor war einmalig. Immerhin dirigierte Thomas Hengelbrock sehr einfallsreich das Werk. Überzeugendes kam aus dem Orchestergraben, während auf der Bühne das Chaos geherrscht haben muss. Bayreuth erlebte ein gnadenloses BUH-Konzert. Kusine Nike Wagner, Tochter von Wieland Wagner, die das Kunstfest Weimar leitet, plädierte sogar für eine Absetzung dieser Inszenierung.

Warum nach Bayreuth fahren, wenn es an anderen Theatern kompetentere Wagner-Aufführungen gibt, so kann man sich fragen. Woher kommt dieser Mythos?

Weil alle Welt glaube, dass nur in Bayreuth Wagners Opern wirklich erlebt werden können – so sieht es Konrad Beikircher, Kabarettist und Wagner-Kenner. Und als einen Grund nennt er: „… dass kein Komponisten-Clan so virtuos und effektiv an den eigenen Legenden gestrickt hat wie der wagnersche.“ Er spottet, dass die Fans alles in Kauf nähmen: die unbequemen Sitze, die unerträglichen Catering-Zelte, in denen es nach Weisswürsten und Kaviar rieche. Die Bratwürstchen schmecken dennoch lecker, und Beikircher outet sich als Wagner-Fan und Bayreuth-Pilger, der gerne an dem „Wave-Gothic Treffen à la Wagner“ teilnimmt. „Er (der Mythos) funktioniert auch, weil Bayreuth den Geruch des Authentischen hat, dass man sich ihm kaum verweigern kann“ (zitiert nach ARTE Magazin 8.2011).

Festspielhaus Bayreuth, Zuschauerraum, Foto: Josef Lehmkuhl/wikimedia commons GFDL

Ich bin mir da nicht so sicher. Der Mythos könnte mit schlechten Inszenierungen, mit weniger guten Sängern bröckeln. Früher war Jahr für Jahr immer die erste Sängergarde in Bayreuth anzutreffen. 2011 verliehen wenigstens Annette Dasch und Klaus Florian Vogt im „Lohengrin“ und Simon O‘Neill als Parsifal den Festspielen etwas Glanz.


Stefan Mickisch, Fotos: Renate Feyerbacher

Seit 1998 hält der Musikwissenschaftler und Pianist Stefan Mickisch in der Zeit von 10.30 Uhr bis 12 Uhr einen Einführungsvortrag im Evangelischen Gemeindehaus. Zu den „Meistersingern“ habe ich es nicht schaffen können, mir dafür aber den „Tannhäuser“ angehört. Humorvoll, unakademisch interpretiert er den Inhalt, vor allem aber zeigt er musikalische Querverbindungen auf. Bei welchem Kollegen hat Wagner sich Töne ausgeliehen? Das ist wirklich spannend zu hören. Stefan Mickisch ist in Bayreuth Kult, aber nicht nur in Bayreuth, sondern auch in Wien, in Bonn, in München und und und. Seine Gesprächskonzerte auch zu Richard Strauss, zu Beethoven und anderen Komponisten gibt es auch auf CD. Nächstes Jahr wird der gebürtige Oberpfälzer wieder in Bayreuth aktiv sein.

Spaziergänge in einer interessanten und schönen Stadt

Ein Bayreuth-Besuch erschöpft sich nicht im Besuch der Festspiele. Es lohnt sich, das barocke Markgräfliche Opernhaus zu besuchen, das noch bis Ende September 2012 besichtigt werden kann. Danach beginnt eine jahrelange Renovierung.


Markgräfliches Opernhaus Bayreuth, Foto: Renate Feyerbacher

Die Bayreuther hoffen, dass dieses Kleinod bald ins UNESCO-Welterbe aufgenommen wird.

Markgräfin Wilhelmine, preussische Prinzessin und Lieblingsschwester Friedrichs des Grossen, war eine der bedeutendsten Frauengestalten im Deutschland des 18. Jahrhunderts. Sie machte aus der Residenzstadt Bayreuth eine strahlende Kulturmetropole. Sie liess das Opernhaus erbauen und nahm Einfluss auf die Architektur und Gestaltung der Eremitage und des Neuen Schlosses.

Friederike Sophie Wilhelmine Prinzesssin von Preussen, Gemälde aus dem Umkreis des preussischen Hofmalers Antoine Pesne (1683 bis 1757)/wikimedia commons

Wagner, Franz Liszt und Jean Paul, das sind die bedeutenden Männer Bayreuths. Der Schriftsteller Jean Paul (1763 bis 1825) lebte 21 Jahre lang bis zu seinem Tod hier und band die Stadt immer wieder in seine Romane ein. Wertvolle Handschriften und Dokumente beherbergt das Jean-Paul-Museum, das heute im ehemaligen Haus der Wagner-Tochter Eva und ihres Mannes Houston Stewart Chamberlain (1855 bis 1927) untergebracht ist. Der in England geborene Schriftsteller war ein glühender Hitlerbewunderer.

Auf dem Jean-Paul-Weg zwischen den Schlössern Eremitage und Fantaisie vergisst man die Enttäuschung, die einem auf dem Grünen Hügel beschert wurde.

Du liebes Baireut, auf einem so schön gearbeiteten, so grün angestrichenen Präsentierteller von Gegend dargeboten, man sollte sich einbohren in dich, um nimmer heraus zu können.“
Jean Paul

 

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