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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Fotografie? Fotografie! Anette Babl im Frankfurter 1822-Forum

Was sehen wir?

Impliziert diese Frage nicht sogleich die nächsten: Wie sehen wir? Wo befinden wir uns, wenn wir sehen (aber bitte nicht räumlich zu verstehen)? Was geht, wenn wir sehen, in uns vor? Was passiert mit uns selbst, wenn wir die Arbeiten der Künstlerin Anette Babl betrachten?

„Direction“ aus der Serie „Mental Landscapes“, 2008 – 2011, Pigment Print, 60 x 80 cm

Was wir sehen, sind Fotografien, ob wir es dem allerersten Anschein nach glauben wollen oder nicht. Es sind grossenteils Fotografien in analoger Technik. Zu sehen sind sie im Frankfurter 1822-Forum, der Fördergalerie für junge Kunst in der Fahrgasse, ein qualitätsorientierten Kunstinteressenten wohlbekannter Ort. Wir können nur den Rat geben: hingehen und sehen. Noch bis zum kommenden Samstag, 24. September 2011, 16 Uhr.

„Die Welle“ aus der Serie „Mental Landscapes“, 2008 – 2011, Pigment Print, 60 x 80 cm

Die Frankfurter Künstlerin Anette Babl „schenkt“ uns diese wundervollen Arbeiten. (Wobei eine Künstlerin ihre Werke ebenso wenig verschenken kann wie ein Büroangestellter seinen 8-Stunden-Arbeitstag seinem Arbeitgeber, versteht sich.) Und was heisst „wundervoll“: Voller Wunder eben, und was ist ein Wunder? „Ein Ereignis in Raum und Zeit, das menschlicher Vernunft und Erfahrung und den Gesetzlichkeiten von Natur und Geschichte scheinbar oder wirklich widerspricht“, lehrt uns das Lexikon.

Kunst und Wunder scheinen wesensgleich. Kunst führt – und verführt – auf eine sinnliche und ästhetische Weise zu Erkenntnis. Führt und verführt in eine andere Welt, in unsere innere Welt, eine Welt der unbegrenzten Wahrnehmungen und Möglichkeiten, wenn wir sie denn nur zulassen. Ein kleiner Rostfleck, eine winzige Alge können zu grossartigen Landschaften werden, können uns in ferne Kontinente führen – und entführen. Das Kleine liegt im Grossen beschlossen wie auch umgekehrt das Grosse im Kleinen.

„Break out“ aus der Serie „Mental Landscapes“, 2008 – 2011, Pigment Print, 80 x 60 cm

„Cosmic“ aus der Serie „Mental Landscapes“, 2008 – 2011, Pigment Print, 80 x 60 cm

Anette Babl fotografiert. Das lässt sich so leichthin sagen, denn viele Menschen fotografieren. Weltweit werden täglich Millionen von „Bildern“ fotografisch produziert. Millionen oft irrelevanter fotografischer Vorgänge, bedeutsam höchstens als Erinnerungen an zwar Erlebtes, aber oft nur durch das Objektiv der Kamera Gesehenes, jedoch kaum „Verstandenes“.

Anette Babl fotografiert auf eine andere Weise. Sie geht mit ihrer Fotografie den Dingen auf den Grund. Sie sucht nach dem Wesen der Dinge. Und wir sehen, dass sich das Wesen in dem, was wir „Bilder“ nennen, erahnen, im Glücksfall darstellen, festhalten, ausdrücken lässt. Die Künstlerin zeigt uns, was uns kein Wissenschaftler mit dem Rasterelektronenmikroskop und kein forschender Mediziner zeigen kann: das Eigentliche der Dinge, will sagen das Verborgen-Wirkliche hinter den Dingen. Seit jeher bleibt solches den Künstlerinnen und Künstlern dieser Welt vorbehalten.

„Zitadelle“, aus der Serie „Zéphyr“, 2010 / 2011, Pigment Print, 80 x 60 cm

In dem zur Ausstellung erschienenen Katalog vergleicht Lilian Engelmann die fotografische Herangehensweise der Künstlerin mit der subjektiven Fotografie eines Otto Steinert: „Die Arbeiten von Anette Babl“, schreibt Engelmann, „erweisen sich insofern als selbständige fotografische Bilder, als sie die von ihr festgehaltenen Objekte und Situationen aus ihrer alltäglichen Existenz herauslöst und sie zu eigenen bildnerischern Ereignissen werden lässt, denen eine Repoetisierung der Welt innewohnt … Die Kamera bei Babl arbeitet gleich einem Mikroskop: Der Betrachtende bekommt etwas zu sehen, das ihm in der alltäglichen Wahrnehmung meist entgeht. Was das Objektiv vollzählig erfasst und beiläufig verkleinert hat, erscheint auf ihren Abzügen nun wieder vergrössert … Sie beschäftigt sich in ihren Serien mit der kulturellen Bedeutung des fotografischen Abbildes, indem sie die Technik des Mediums und die Möglichkeiten der Bildherstellung reflektiert. Dabei gelingt es ihr, eine kühle Bildanalyse mit suggestiven Bildern zu verbinden.“

„La mer sauvage“, aus der Serie „Zéphyr“, 2010 / 2011, Pigment Print, 80 x 60 cm

Sie müssen also nicht, liebe Leserinnen und Leser, in den Arbeiten der Künstlerin nach Abbildungen suchen, auch wenn jenen Abbildungen zugrunde liegen mögen. Lassen Sie sich mit diesen Bildern auf eine Reise ein, eine Reise nach einer Sicht der Dinge hinter den Dingen, hinter die Vordergründigkeit der von uns oft so banal für sichtbar und deshalb für real gehaltenen Welt.

Anette Babl, 1970 in Singen geboren, studierte zunächst Freie Kunst an der Kunsthochschule in Kassel und anschliessend Interdisziplinäre Kunst an der Frankfurter Staatlichen Hochschule für bildende Künste – Städelschule – bei Professor Hermann Nitsch. 2006 schloss sie ihr Studium als Meisterschülerin von Professor Wolfgang Tillmans ab. 2009 war sie als Auslandsstipendiatin des Frankfurter Kulturamts in Dubrovnik. Seit dem Jahr 2000 stellt sie regelmässig im Rhein-Main-Gebiet und in Berlin aus. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.

Anette Babl, „Le vent me portera“, 1822-Forum, bis 24. September 2011

(Fotos: © Anette Babl)

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