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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Biennale Arte Venedig 2011 (5): Christoph Schlingensief oder: der Gold-Pavillon

Einst waren wir Papst! Sind wir heute Biennale Venedig? Wir wissen es nicht, denn FeuilletonFrankfurt ist keine Bild-Zeitung, und das ist auch gut so!

GOLD für Deutschland, endlich einmal nicht in Form von Medaillen für Menschen in ekligbunter, mit Werbung der aufdringlichsten Art bedruckter Kunststoffkleidung, die ihre ach so kurze Lebenszeit in „Muckibuden“ vergeuden oder, schlimmer noch, mit Anabolika, Beta-2-Agonisten oder Cannabinoiden versüssen. Nein, GOLD für Deutschland heisst heuer:

GOLD für KUNST!

GOLD für den “besten nationalen Auftritt ‘Christoph Schlingensief’“ zur diesjährigen Biennale in Venedig, für den Deutschen Pavillon, für die Kuratorin („Kommissarin“) Susanne Gaensheimer, für – posthum – Christoph Schlingensief.

Susanne Gaensheimer und Aino Laberenz (Witwe Christoph Schlingensiefs, links) mit dem Goldenen Löwen

Wir gestehen – nicht weil wir wie die meisten Leute hinterher klüger sind als vorher -: den Deutschen Pavillon haben wir schon bei unserem ersten Besuch am Eröffnungstag mit „weichen Knien“ verlassen. Christoph Schlingensiefs künstlerische Arbeit ist für uns auf eine unerhört aktuelle Weise bedeutsam und relevant geworden.

Wie wir alle wissen: Im Frühjahr 2010 hatte Susanne Gaensheimer Christoph Schlingensief berufen, den Deutschen Pavillon zur Biennale 2011 zu gestalten; am 21. August 2010 erlag der Künstler seinem Krebsleiden. In enger Kooperation mit Schlingensief-Witwe Aino Laberenz sowie Mitarbeitern und Vertrauten des Künstlers gestaltete Gaensheimer den Pavillon, im Zentrum mit der Bühneninstallation des Fluxus-Oratoriums von Schlingensief zur Ruhr-Triennale 2008

„Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“.

Unseren geneigten Leserinnen und Lesern empfehlen wir, dem Link zu folgen und sich mit dieser einzigartigen Arbeit eingehender zu beschäftigen.

Wer hineingeht, kommt meist als ein anderer wieder heraus: Eingang zum Deutschen Pavillon

Zwei junge Besucherinnen, kniend in der „Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ im Deutschen Pavillon

Der Bühnenaufbau stellt die Kirche in Oberhausen nach, in der Schlingensief in seiner Jugend viele Jahre als Ministrant gewirkt hatte. Mit Kirchengestühl für die Besucher zum Niedersetzen und Niederknien. Mit Musik und akustischen Elementen, mit einer Vielzahl von Filmprojektionen. Mit Zitaten und Allegorien, Metaphern und Assoziationen. Eine grossartige, fantastische Raum-Klang-Bild-Installation, deren unvermittelte Wucht und deren Magie uns in Bann ziehen.

Schlingensief verfasste das Oratorium als zweiten Teil seiner Krankheitstrilogie, nach der Entnahme eines Lungenflügels und einer längeren Chemotherapie. Es ist, schreibt Susanne Gaensheimer im Katalog zur Ausstellung, „vielleicht das persönlichste Stück von Christoph Schlingensief, in dem er seine Krankheit in aller Offenheit und Schonungslosigkeit darstellt und anhand seiner eigenen Betroffenheit den existenziellen Kreislauf von Leben, Leiden und Sterben thematisiert“.

Man hat Schlingensief vorgeworfen, er instrumentalisiere seine Krebserkrankung in seiner Arbeit, ja er vermarkte sie gewissermassen in seinen Produktionen. Auch dies ist barer Unsinn. Krankheit gehört zum Leben wie Geburt und Tod. Was gäbe es an Wichtigerem für einen Künstler, mit welchem er sich auseinandersetzen könnte?

Eine knappe Stunde Zeit nimmt die multimediale „Aufführung“, der „Loop“ im Deutschen Pavillon in Anspruch. Eine Stunde wertvoller, unwiderbringlich verstreichender Lebenszeit. Der Besuch des Pavillons gehört zweifellos zum Besten, was man aus dieser Stunde Lebenszeit in diesem Jahr, bis zum Ende der Biennale am 27. November, in Venedig machen kann.

„… am Ende will ich sicher sein können, dass meine Arbeit einen sozialen Gedanken hat“ (Christoph Schlingensief)

Im rechten Seitenflügel des Pavillons befindet sich ein Kino, in dem während der Öffnungszeiten der Biennale sechs Filme Schlingensiefs aus unterschiedlichen Schaffensperioden gezeigt werden. Im linken Seitenflügel wird Schlingensiefs Projekt des Operndorfes nahe Ouagadougou in Burkina Faso präsentiert.

(Fotos: FeuilletonFrankfurt)

Biennale Arte Venedig 2011 (6): Foto-Splitter zur Halbzeit

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