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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Der Unmensch

Ein Kommentar
von Hans-Burkhardt Steck

Rechtsanwalt und Dipl.-Soziologe

Magnus Gäfgen ist ein scheusslicher Mensch. Keiner mag ihn leiden, und er tut mit Hingabe und kongenialer anwaltlicher Vertretung alles, damit das so bleibt.

Eigentlich ein richtiger Unmensch. Aber gibt es eigentlich Unmenschen? Urmenschen schon, aber Unmenschen? Und wenn es Unmenschen gibt, müsste es doch eigentlich auch Untermenschen geben …

Woran könnte man solche Herrschaften erkennen? Zum Beispiel daran, dass sie weniger Rechte als wir anständigen, braven und gerechten Bürger haben. Selbst dran schuld, an ihrem unmenschlichen Charakter.

In so einer anwaltlichen Praxis beobachtet man ein interessantes Phänomen: Ein Gutteil der Mandanten ist von dem Drang beseelt, nachzuweisen, dass es sich bei ihrem Prozessgegner um einen schlechten Menschen handele, der den ganzen Tag lüge und betrüge und deshalb auch den aktuellen Prozess unbedingt verlieren müsse. Man brauche nur dem Gericht die Niedertracht und Schlechtigkeit dieses Gegners nahezubringen, schon habe man den Sieg im Rechtsstreit so gut wie in der Tasche.

Weil es schön ist und viel Freude macht, schlechte Sachen über andere Menschen schreiben zu dürfen und dafür auch noch Geld zu kriegen, kommt so mancher Anwalt dem gerne nach. Zumal Gegenseiten ja auch wirklich das Letzte sind.

Spätestens in der mündlichen Verhandlung muss sich der Mandant dann aber vom Gericht sagen lassen, dass der Charakter des Prozessgegners nicht das geringste mit dem Verfahren zu tun habe. Auch die bösesten Menschen können Recht haben und Prozesse gewinnen. Kaufst Du zum Beispiel einem Mörder ein Auto ab, wirst Du es wohl bezahlen müssen. So schwer es Dir fällt.

Auch der Herr Gäfgen ist natürlich nicht rechtlos und kann einen Prozess ganz oder teilweise gewinnen, wenn er im Recht ist. Das war er mit seiner Schmerzensgeldklage ohne jede Frage, denn etwas Verboteneres als die Tortur und ihre Androhung gibt es nicht. Wer foltert oder damit droht, verletzt die Menschenwürde seines Opfers. Egal, warum er es macht.

Wie, was, Menschenwürde? Hat der Gäfgen die vielleicht geachtet? Wie kann er da auf seine pochen? Hat er die nicht verwirkt oder wie das heisst? Er ist doch nun wirklich ein Unmensch! Wer sonst, wenn nicht er?

Viele meinen nun: Folterverbot geht klar, das ist eine gute Sache. Aber in so einer Situation wie bei Herrn Gäfgen, wo der selber behauptet, das Kind lebe noch, aber nicht damit rausrücken will, wo er es eingesperrt hat – da wird man ihn doch unter Druck setzen dürfen. Da kann es doch nicht verboten sein, den mit Drohungen zum Reden zu bringen. Schliesslich geht es doch um das Leben eines Kindes!

Das stimmt natürlich, und das ist auch ein ganz schlimmes Dilemma für die Polizei gewesen. Aber man darf eines nicht vergessen (von der unseligen Vergangenheit ganz abgesehen): Man stelle sich vor, das Kind wäre aufgrund der Folterdrohung oder, noch schlimmer, erst aufgrund einer durch Schmerzzufügung erzwungenen Aussage gerettet worden. Das wäre natürlich ein ganz grosses Glück für die Familie von Metzler gewesen – aber um welchen Preis? Was wäre dann für eine Diskussion losgebrochen! Mit der Bildzeitung als Speerspitze wäre die Wiedereinführung der Folter verlangt worden. Natürlich nicht ganz so schlimm wie im Mittelalter und unter ärztlicher Aufsicht, aber schon ordentlich, sonst bringt es ja nichts. Selbstverständlich dürfen nur Schuldige gefoltert werden, das ist ja wohl sonnenklar. Unschuldige auf keinen Fall. Und da bist du auch schon am Ende. Wie willst du die voneinander unterscheiden? Siehe nur Kachelmann

Allein so eine Diskussion wäre ein wirkliches, schweres Unglück für unser Land gewesen. Denn es gibt Dinge, die darf und sollte man nicht ernsthaft diskutieren. Wer Folter oder die Drohung damit in Ausnahmefällen für vorstellbar hält, der ist, das kann man nicht anders ausdrücken, ein Verfassungsfeind. Das Grundgesetz hat der Menschenwürde, die untrennbar mit der Unwürdigsten aller Behandlungen, nämlich der Folter, verknüpft ist, gewissermassen den Status der Nichtdiskutierbarkeit gegeben. Bei der Menschenwürde gibt’s nämlich nichts zu diskutieren, nichts zu pochen und nichts zu verwirken. Denn die wichtigste Lehre, die aus den Greueltaten des Dritten Reichs gezogen wurde, sind sechs Worte: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ein einmaliger Begriff, der sich in keinem anderen Gesetz findet. Er meint vor allen Dingen: Nichts und niemand darf die Menschenwürde beeinträchtigen – auch nicht der Mensch selbst! Die eigene Menschenwürde ist der Selbstbestimmung entzogen! Ja, auch Du darfst Deine Menschenwürde nicht einmal antasten!

Logische Folge: Niemand kann auf seine Menschenwürde verzichten, niemand kann sie verwirken, und wenn er noch so greuliche Dinge tut. Meine Menschenwürde gehört eben nicht mir, wie mein Bauch. Ihre Unantastbarkeit ist die Grundregel unseres Zusammenlebens. Das hat die Nazizeit auf entsetzlichste Art und Weise ein für allemal bewiesen. Ihrer Würde beraubte Menschen werden rechtlos und vogelfrei. Der Schritt zum Un- und Untermenschen lockt, aber in den Abgrund.

Wer nun meint, Herr Gäfgen habe kein Schmerzensgeld verdient, der verkennt, dass der Herr Gäfgen ein Mensch ist. Das reicht, um seine Menschenwürde unantastbar zu machen. Un- und Untermenschen gibt es nämlich nicht. Die sind durch Artikel 1 des Grundgesetzes schlicht und ergreifend abgeschafft worden. Es kommt überhaupt nicht darauf an, wer gefoltert oder damit bedroht wird. Jeder, der so behandelt wird, hat einen Anspruch auf Schmerzensgeld, auch wenn er selber ein noch so niederträchtiger, bösartiger Halunke ist.

Wie hoch der Gesetzgeber einen solchen Anspruch ansiedelt, das steht seit eh und je im Bürgerlichen Gesetzbuch. Da heißt es in Paragraph 393: „Gegen eine Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung ist die Aufrechnung nicht zulässig.“ Das ist eigentlich ein ziemlicher Hammer. Es bedeutet nämlich, dass die ganzen Geschichten über Gegenforderungen an den Herrn Gäfgen, zum Beispiel die Kosten des Prozesses, die er ja zu vier Fünfteln tragen muss, oder auch die Kosten aus seinem Strafverfahren, so nicht richtig sind. Die können nicht gegen den Schmerzensgeldanspruch aufgerechnet werden. Der Gesetzgeber hat dem Schmerzensgeld in diesem Punkt denselben Rang gegeben, wie einem Anspruch auf Unterhalt. Woran man sieht, wie wichtig er ihn nimmt. Allerdings: Wenn das Geld erst mal auf dem Eigengeldkonto des Herrn Gäfgen in der Justizvollzugsanstalt oder auf einem Konto seines Rechtsanwalts gelandet ist, können die Gläubiger, allen voran das Land Hessen, natürlich eine Kontopfändung ausbringen. Aber das wissen die selbst am besten.

 

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