home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Schellack – der Stoff, aus dem die Töne kamen

Ausstellung „Schellack in Mainz“ im Stadthistorischen Museum

Text und Fotografien: Vera Mohr

Denkt man doch sofort an den riesigen Trichter, aus dem knisternde Töne kommen, die eine Nadel der rotierenden Scheibe entlockt, wenn das Wort Schellack fällt. Es war die Schallplatte, die vor rund 100 Jahren den Stoff Schellack weltberühmt machte.

Trichtergrammophon, Anfang 20. Jh

Zuvor war es ein Stoff für Insider, die ihn jedoch nicht weniger schätzten, da sein Glanz vor allem Möbeln das gewisse Etwas und die erwünschte Wertbeständigkeit verlieh.

Heute findet man das Naturprodukt Schellack hauptsächlich in der Lebens- und Arzneimittelindustrie, wo es beispielsweise Orangen und Zitronen vor dem Austrocknen schützt und für viele Medikamente die magensaftresistente Hülle bildet, die dafür sorgt, dass der Wirkstoff an die richtige Stelle im Körper transportiert wird.

Die Herstellung des Schellacks übernimmt die Lackschildmaus (Kerria Lacca) in Asien, wo sie in Kolonien auf Bäumen haust. Angeregt vom Saft der Blätter sondert sie ein harziges Sekret aus, das dicke Krusten auf den Zweigen bildet, in deren Hohlräumen der Nachwuchs geschützt heranwächst, bevor der Mensch das Harz abgekratzt und weiterverarbeitet. Auch in Europa war der Stoff schon vor Jahrhunderten bekannt und geschätzt.

Tischgrammophon, Anfang 20. Jh., und frühes Trichtergrammophon

Das Stadthistorische Museum Mainz lädt ein, sich dem Thema „Schellack in Mainz“ zu widmen, denn die Stadt am Rhein war für viele Jahrzehnte das Zentrum der Schellackproduktion in Deutschland. Im Rhein-Main-Gebiet entwickelten Kaufleute Mitte des 19. Jahrhunderts Verfahren, mit denen das Harz industriell gesäubert und gebleicht wurde. Denn nur so konnte der riesige Bedarf der boomenden Wirtschaft gedeckt werden.

Die Ausstellung auf der Zitatelle bietet daher auch einen tiefen Einblick in Mainzer Unternehmensgeschichte, die von den Nachfahren der Firmengründer nicht nur freundschaftlich begleitet, sondern auch fachlich und finanziell unterstützt wurde.

Vom Farbenmischer in der Altstadt zum Global Player der Lackindustrie

Der aus dem Rheinhessischen zugereiste Carl Ludwig Marx eröffnete 1832, nach seiner Drogerielehre, zusammen mit einem Kompagnon eine kleine Materialwarenhandlung, wo er auch Farben und Lacke mischte. Bei den Versuchen, ein geeignetes Verfahren für schnelles Bleichen des Schellacks zu finden, kommt ihm der Zufall in der Person Wilhelm Büchners zu Hilfe. Der jüngere Bruder des Dichters Georg Büchner überliess ihm 1842 seine Kenntnisse und Erfahrungen, da Büchner selbst sein Geschäft auf die Herstellung des Farbstoffs Ultramarin konzentrierte.

In Mainz bei Marx florierte dagegen das Geschäft mit der Schellackbleiche. Er war zwar nicht der einzige in der Stadt, der mit dem Lack handelte, doch der erfolgreichste. 1854 verliess er den Laden in der Gaugasse und nahm die Produktion in der neu errichteten Fabrik in Zahlbach vor den Mainzer Toren auf. 1857 gründete er eine Niederlassung in St. Petersburg und 1873 eine in Gaaden bei Wien.

Ausstellungsplakat 2011

Die Geschäfte laufen auch nach dem Tode des Firmengründers (1895) gut und Expansion ist weiter angesagt. 1906 wurde das neue Firmengelände am Rhein mit direktem Bahn- und Wasseranschluss bezogen. Die Mitarbeiter durften sich über eine eigene Badeanstalt freuen.

Allerdings trennte sich der Enkel des Firmengründers Marx vom Schellackgeschäft und übertrug es seinem Schwager Ernst Kalkhof, der seitdem die neue Schellackbleiche auf der Ingelheimer Aue leitete. Die Firma Marx konzentriert sich auf das Farbengeschäft. Sie übersteht den 1. Weltkrieg, das Werk in St. Petersburg geht verloren, das Werk in Gaaden wurde schon seit 1912 vom österreichischen Zweig der Familie selbständig geführt – muss aber 1930 Insolvenz anmelden. Sie wird von der viel kleineren Mainzer Lackfabrik Albrecht übernommen, die wiederum das Schellackgeschäft an Kalkhof abtritt. Einst arbeitete der Firmengründer Johann Jakob Albrecht für den Firmengründer Carl Ludwig Marx in der Gaugasse und war für kurze Zeit sogar Teilhaber des Ladens. Doch dann trennten sich die Wege und Albrecht machte sich selbständig.

Rechnungen der Fa. Albrecht, Ende 19. Jh.

Mainz wird Zentrum der Schallplattenproduktion

Ernst Kalkhof, der seit 1908 die Schellackgeschäfte unter dem Namen „Rheinische Schellackbleiche Ernst Kalkhof“ führte, betrieb diese bis zu seinem Tode 1949. Er erlebte den Boom der Schellackschallplatten, überstand Weltkriege und Wirtschaftskrise und verkaufte den „Stoff, aus dem die Töne sind“ in alle Welt. Kurz vor seinem Tode adoptierte er seinen Teilhaber, der die Geschäfte bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts führte. Noch bis in die Sechziger Jahre hinein blieb Mainz ein wichtiger Produktionsort für die Schallplattenindustrie, wenn auch mit neuen Produkten, die den Ton speicherten. Heute gibt es keine Schellackbleiche mehr in Mainz, und die Albrecht’schen Lacke, die älteste Lackfabrik in Deutschland, wurde 2007 von der Familie verkauft.

Musterkasten, ca. 1962

Stadthistorisches Museum Mainz, bis zum 30. Oktober 2011

 

Comments are closed.