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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

50 Jahre Amnesty International (AI)

Frankfurt feiert die Menschenrechte

Text und Fotografien: Renate Feyerbacher

Was wäre diese Welt ohne Amnesty International, die Menschenrechtsorganisation, die 1961 gegründet wurde? Da hatten zwei Studenten in einem Lissaboner Café auf die Freiheit angestossen, eine wunderschöne Geste. Jemandem muss das nicht gefallen haben und hat sie angezeigt. Die beiden wurden zu sieben Jahren Haft verurteilt. Zur Erinnerung: Damals herrschte in Portugal noch Diktator Antonio de Oliveira Salazar. Er hatte 1930 den Estado Novo (Neuer Staat), eine autoritäre, klerikal-faschistische, Linksorientierte verfolgende Diktatur ausgerufen. Erst 1974 wurde diese Diktatur durch die sogenannte Nelkenrevolution, initiiert durchs Militär, beendet. Ihren Namen erhielt sie, weil den Soldaten bei einem Volksfest Nelken in die Gewehrläufe gesteckt wurden.

Der britische Anwalt Peter Benenson las von der Verhaftung der portugiesischen Studenten, schrieb an die Zeitung Observer einen Brief und rief zur Kampagne auf, um Gefangene zu schützen und aus der Vergessenheit zu holen. AI war geboren. Zu den Gründern der deutschen Sektion von AI gehörten die politische WDR-Kommentatorin Carola Stern (1925  bis 2006) und ihr Kollege Gerd Ruge (*1928), dessen Reportagen aus Afghanistan und Sibirien faszinierten.

Auch heute wird nicht in allen Ländern dieses Ereignis der Gründung und der Existenz von AI gefeiert. Liest man im jährlich erscheinenden Report von AI „Zur weltweiten Lage der Menschenrechte“ (Verlag S. Fischer, Mai 2011), so verschlägt es einem den Atem, in wie vielen Ländern die Menschenrechte mit Füssen getreten werden beziehungsweise derzeit in den afrikanisch-arabischen Ländern mit Kanonen zerschossen werden.

Auch über Deutschland wird geklagt, zum Beispiel über seinen Umgang mit Asylanten und Flüchtlingen oder über seine Abschiebepraxis. Oder was spielt sich ab in den Geheimgefängnissen für Terrorverdächtige in den USA? Es gibt auch Menschenrechtsverletzungen in den Ländern der westlichen Welt.

Eren Keskin – türkisch-kurdische Anwältin und Menschenrechtlerin

Eren Keskin ist Ehrengast der Frankfurter AI-Geburtstagsfeier im Schauspielhaus Frankfurt. Sie spricht über die Situation in der Türkei. Es bestürzt immer wieder zu hören, wie in diesem Land, eines der liebsten Reiseländer der Deutschen, Menschen verfolgt, gefoltert und sogar getötet werden. Selbst Starautor Orhan Pamuk kommt immer wieder in Konflikt mit den staatlichen Einrichtungen. Der türkisch-armenische Journalist Hrant Dink wurde im Januar 2007 auf der Strasse ermordet. Ein Gericht hatte ihn zuvor wegen Beleidigung des Türkentums verurteilt, weil er über den Völkermord an den Armeniern 1915/1916, den übrigens Deutschland damals akzeptierte, geschrieben hatte. Die Türkei leugnet den Völkermord heute noch. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gab 2010 den türkischen Behörden eine Mitschuld an der Ermordung von Hrant Dink, weil sie den Journalisten nicht vor den ihn bedrohenden Nationalisten geschützt hatten. 57 Journalisten sitzen derzeit im Gefängnis und ganz neu gibt es eine Internetzensur.

Eren Keskin mit Ruth Fühner

Eren Keskin arbeitet als Anwältin in Istanbul. Sie setzt sich für die Rechte des kurdischen Volkes und der Frauen ein. Seit 25 Jahren ist sie Mitglied des Menschenrechtsvereins IHD und leitet dessen Istanbuler Sektion. Vor 14 Jahren gründete sie ein Rechtshilfeprojekt „Rechtliche Hilfe für Frauen, die von staatlichen Sicherheitskräften vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell misshandelt wurden“.

Sie wurde eingeschüchtert und verhört, mit Berufsverbot belegt und erhielt vielfach Morddrohungen. Zurzeit laufen 21 Strafverfahren gegen Eren Keskin, die 2004 den Aachener Friedenspreis erhielt und 2001 den Menschenrechtspreis von Amnesty Internation Deutschland. Diese Auszeichnung ist „kein Preis wie jeder andere“, schreibt AI; er schütze sie bei ihrer Arbeit, sagt die Anwältin.

Der ägyptische Komponist und Oud-Spieler Basem Darwisch lebt in Deutschland. Sein Spiel auf der orientalische Laute wurde vom Pianisten und Komponisten Matthias Frey begleitet. Im Gespräch mit hr 2-Moderatorin Ruth Fühner berichtet er von seinem Aufenthalt in Ägypten. Sehr kritisch sind seine Äusserungen über die augenblickliche Situation in seinem Heimatland. Er sieht eine Blockade der arabischen Länder und fürchtet die Manipulation der Bevölkerung, die zu 80 Prozent Analphabeten sind. Er hat Bedenken, „dass wir es nicht so schaffen, wie wir es gedacht haben“. Er bedauert den Tod von 800 Demonstranten.

Basem Darwisch und Matthias Frey

An der Feier in Frankfurt nimmt Wolfgang Grenz teil, der stellvertretende Generalsekretär von Amnesty International Deutschland. AI habe viel bewegt. Er berichtet, dass immerhin 40 Prozent der Aktionen erfolgreich waren. Zur Zeit sind AI-Leute in den libyschen Städten Misrata und Bengasi unterwegs. Er hofft auf ein Jahr der Zeitenwende. Er erinnert daran, dass sich AI seit 1973 weltweit dafür einsetzt, dass die Todesstrafe abgeschafft wird. Mit Erfolg. Dennoch: Allen voran China, Iran, Saudi-Arabien, Pakistan und die USA waren 2008 für 93 Prozent der Hinrichtungen verantwortlich. Wolfgang Grenz, der die Abteilung „Länder, Themen und Asyl“ der Deutschen Sektion leitet, mahnt: „Die Flüchtlinge kommen ja nicht zum Vergnügen nach Europa, sondern weil sie keine andere Wahl haben und unseren Schutz brauchen“ (aus der Schrift „50 Jahre Amnesty International“).

Schauspieler der iranischen Theatergruppe

Schauspieler einer iranischen Theatergruppe zitierten aus den „Tagebüchern der Zeitzeugen“ – wie die Revolution ihre Enkel frisst. Brutale Realität im heutigen Iran. Als wir vor Jahrzehnten, noch zu Schahs Zeiten im Iran waren, mussten wir bei Treffen mit Freunden im Restaurant flüstern („man weiss nicht, wer vom Geheimdienst ist“.) Wir hofften auf den Sturz des Schahs. Aber wir konnten uns ansonsten frei bewegen – sogar als Frau ohne Kopftuch gehen. Und heute?

Der Iraner Nasim Ghadimi spielte auf seiner Geige ein modernes Stück eines palästinensischen Komponisten und sein Landsmann Arman Sigarchi auf der Oud. Es war ein schöner Tag für ihn, denn ihm war soeben in Deutschland Asyl gewährt worden.

Arman Sigarchi

Ursula Illert, Anka Hirsch und Peter Lehmann

Mitglieder des Günes-Theater (Gallus) waren mit türkischen Texten (die Ursula Illert, die bekannte hr 2 kultur-Sprecherin, übersetzte), mit Cello und Experimental-Klavier aktiv. Sehr lebendig und locker diese vier Frauen.

In der guten Sache engagierten sich auch Frank Wolff, der „tanzende“ Cellist, mit Markus Neumeyer und der Sängerin Ingrid El Sigai, die oft im Hessischen Rundfunk zu hören und zu sehen ist. Sie interpretierten Stücke von Bertolt Brecht.

Frank Wolff und Ingrid El Sigai

Der Pole Vitold Rek unterrichtet Jazz-Kontrabass an den Musikhochschulen von Mainz und Frankfurt, und ich kenne ihm vom Emil Mangelsdorff-Quartett. Ausgefallen war sein experimentelles Kontrabass-Solo, dass er noch durch Gesang erweiterte.

Nicht nur mir, sondern auch dem Publikum ging die Interpretation von Pablo Nerudas (1904 bis 1973) Canto aus „Die Höhen von Machu Picchu“ nahe, das der chilenisch-deutsche Schauspieler Peter Lehmann vortrug, der sein Land verlassen musste. Es erinnert an die Leiden der Erbauer dieser gewaltigen Stätte Machu Picchu. Wer wie ich 1974 dort war, kann Nerudas überwältigende Eindrücke, die er in seinen Cantos ausdrückt, nachempfinden.

Yasna Schindler

Nicht vergessen erwähnt zu werden darf die Tänzerin Yasna Schindler, die begleitet von Frank Wolff und dem chilenischen Hang-Spieler Rafael Sotomayor, einen ausdrucksstarken Tanz darbot, der als Ringen um die Freiheit interpretiert werden kann.

Alle Künstler traten unentgeltlich auf. Der Veranstaltungserlös war für Amnesty International bestimmt.

Jeder kann helfen, es muss nicht mit Geld sein, aber durch eine Unterschrift auf eine Petition, um zum Beispiel ein Todesurteil zu verhindern, die Freilassung von politischen Gefangenen zu erwirken oder durch ehrenamtlichen Einsatz, wie es die 15jährige Frankfurter Schülerin Sina Lucy Dubuque macht. Sie ist erst seit kurzem Mitglied bei AI und schon in Schulen entsprechend aktiv.

Sina Lucy Dubuque, Ruth Fühner, Elisabeth Abendroth und Monika Wittkowski

Zusammengestellt hatte diese eindrucksvolle Geburtstagsfeier „50 Jahre Amnesty International“ im Frankfurter Schauspielhaus Elisabeth Abendroth, die von ihrem Mann Herbert Kramm-Abendroth unterstützt worden war.

Bei der 50-Jahr-Feier von Amnesty International am vergangenen Wochenende in Berlin wurde auch der Menschenrechtspreis  2011 verliehen. Ausgezeichnet wurde der Mexikaner Abel Barrera Hernández. Er setzt sich in Guerrero, einem der gefährlichsten Bundestaaten Mexikos, für die Rechte der indigenen Bevölkerung ein. Permanent werden er, seine Familie und seine Mitarbeiter bedroht. Sein bester Schutz ist die Öffentlichkeit, die Amnesty International mobilisiert.

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“
Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, 1948


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