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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

WANDA PRATSCHKE – EIN KÜNSTLERISCHER PROZESS / 9

Ein Kreis schliesst sich …

Von Erhard Metz

… ein bedeutsamer Kreis, nicht zuletzt in einem künstlerischen Leben; im Leben einer Frankfurter Künstlerin, genauer gesagt einer Bildhauerin, von der wir uns wünschen, dass sie uns noch vieles in ihrer Sprache – es ist die Sprache der Skulptur – mitteilen wird.

Wanda Pratschke hat FeuilletonFrankfurt gestattet, die Erschaffung ihrer „Grossen Liegenden“ von Anfang an – und neben ihrer eigenen professionellen Dokumentation in Schrift, Bild und Video – zu begleiten.

Alles fing im Dezember 2008 an (sicherlich noch früher als Idee und Zielvorstellung). Aber in jenem Dezember sahen wir die „Grosse Liegende“ zum ersten Mal, zunächst auf einer Tischplatte, in Gestalt eines kleinen Gipsmodells, und dann, in Originalgrösse, in einem skeletthaften Aufbau.

Wanda Pratschke hat die kleine „Grosse“ in Bronze giessen lassen und einige Güsse verkauft – es ist eine sehr schöne, gediegene Arbeit, die auch in begrenzten räumlichen Verhältnissen eine grosse Wirkung entfaltet.

Wir konnten also in jenem Dezember, vor einer mit Säcken von Alabaster-Modellgips hoch beladenen Palette, den Erschaffungsprozess der „Grossen“ – mit den stattlichen Massen 110 x 190 x 110 cm – mitverfolgen.

Anfang Februar 2009, zu Wanda Pratschkes Jubiläumsausstellung, zeigte sich die – nur leicht mit einem Hüftschleier bekleidete – Grosse bereits in ansprechender Gestalt, so dass sie im Sommer 2009 im 12. Mörfeldener Skulpturenpark unter freiem Himmel neben ihrer kleinen bronzenen Schwester „bella figura“ machte und sich als eine Attraktion der Ausstellung erwies.

Aber noch bestand die voluminöse Dame aus Gips. Und es gingen viele Monate ins Land, in der es zunächst ein wenig stiller um sie wurde, denn für die Künstlerin galt es erst einmal, die erheblichen finanziellen Mittel für den Guss in Bronze zu erwirtschaften.

Dann aber ging die „Grosse Liegende“ auf Reise: in die Kunstgiesserei Otto Strehle im bayerischen Winhöring nahe Neuötting. Die Dame wurde dort kunstgerecht in vier Teile zerlegt, und es begann, wie in einer Alchimistenküche, eine atemberaubende, über viele Verarbeitungsstufen ablaufende, von glutroter Schmelze, Hitze und viel Rauch begleitete Metamorphose der „Liegenden“ vom Gips zur Bronze.

Soweit unsere bisherige achtstufige Dokumentation.

Dann folgte – noch immer in der Kunstgiesserei – der Prozess der Verschweissung der vier Teile sowie der Ziselierung und Patinierung der Skulptur.

Die vier gegossenen Teile wurden unter Hochdruck mit Wasser gereinigt, zusammengeschweisst und ziseliert, wobei die Schweissnähte besonders sorgfältig bearbeitet wurden. Anschliessend folgte die Patinierung – ein im Bronzeguss entscheidender künstlerischer Prozess, bestimmt er doch das gegenwärtige Aussehen der Skulptur und deren künftige Alterung, besonders bei einer Aufstellung unter freiem Himmel.

Zunächst wurden die bearbeiteten  Nähte erhitzt und mit Schwefelleber der übrigen Gusshaut angepasst. Dann trug die Künstlerin auf die kalte Oberfläche eine Silbernitratlösung auf, die anschliessend wieder mit einer Gasflamme erhitzt wurde. In einem nächsten Schritt erhielt die – wieder erkaltete – Oberfläche der Skulptur einen Auftrag mit Pariser Edeloxyd. Schliesslich wurde eine leichte Wachslösung – viel Terpentin und aufgelöstes Wachs – auf die Bronze aufgetragen und  mit einem Lappen abgerieben.

Die Arbeit soll, so entschied Wanda Pratschke, matt bleiben. Die restliche Entwicklung, das weiss die Künstlerin, wird die Atmosphäre besorgen.

Es schliesst sich also ein Kreis: Die „Grosse Liegende“ ist in die Nähe des Ortes ihrer Erschaffung im südlichen Frankfurt am Main zurückgekehrt, und sie hat dort eine erste Heimat gefunden: unter freiem Himmel in einem traumhaft-üppigen Garten.

Unser erster Eindruck: Sie ist schön, die „Grosse“, sehr schön sogar, und wir bekennen, dass all unsere Fantasie doch nicht ausgereicht hatte, um uns die fertige Bronze anhand des Gipsmodells vorzustellen.

Unter einem Magnolienbaum ruht sie – in sich versammelt, mit ihrem gewichtigen weiblichen Leib allen vermeintlichen wie hergeredeten Magersuchtsidealen dieser arm-zeitgeistigen Welt zum Trotz und Spott. Es geht eine grosse Ruhe, Unaufgeregtheit und Selbstgewissheit von ihr aus, aber diese wohltuenden Eigenschaften kontrastieren auf eine erstaunliche Weise mit der vitalen, lebendigen Oberfläche der Bronze. Ruht der Blick des Betrachtenden eben noch konzentriert auf der Gesamterscheinung, so wandert er im nächsten Augenblick über die ebenso feinst gestaltete wie zerklüftete Oberfläche. Es ist dieses Spannungsverhältnis, welches uns fasziniert.

Und wir finden beides in einem: die statische Gewissheit wie die unstete Suche; die Selbstgeborgenheit im Wissen und der Erfahrung eines vorangeschrittenen Lebens wie die – fragend aktuellen – Sorgen über das, was folgen kann und wird. Ganz individuell und doch menschheitsbezogen und menschheitsgültig. Nicht sorgenfrei blickt unsere Liegende deshalb in die Zukunft.

Als die Skulptur in Gips modelliert und in Bronze gegossen wurde, gab es noch kein „Fukushima“; aber zweifellos eine Ahnung davon.

Die Bronze schimmert in stetem Wechsel des einfallenden Lichts, Blätter und Tannennadeln wehen zu ihr herüber und fallen auf sie herab, legen sich wie selbstverständlich auf ihre Oberfläche. Und so geht die „Grosse Liegende“ eine Symbiose ein mit der sie umgebenden Natur.


(Abgebildete Werke © VG Bild-Kunst, Bonn, Fotos: Erhard Metz, Wanda Pratschke, Kunstgiesserei Otto Strehle)

⇒   WANDA PRATSCHKE – EIN KÜNSTLERISCHER PROZESS / 1

 

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