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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Felix Gonzalez-Torres: Retrospektive im Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main (2)

Kann Felix Gonzalez-Torres süchtig machen – also, wir meinen natürlich seine Arbeiten, die er uns hinterlassen hat? Ja, bekennen wir, das können sie – zu erfahren derzeit im Frankfurter Museum für Moderne Kunst MMK im Rahmen einer grossen Retrospektive auf das Œuvre des allzu früh verstorbenen Künstlers.

Heute öffnen wir den Blick auf seine Glühbirnen-Girlanden und schauen ein weiteres Mal auf seine Bonbon-Arbeiten.

„Untitled“ (Summer), 1993, Glühbirnen, Porzellanfassungen, Verlängerungskabel, je nach Installation unterschiedliche Masse, Länge 12,8 m, 6 m Zusatzkabel, Privatsammlung

Gleich im zentralen Treppenhaus begegnen wir der Lichterketten-Arbeit Summer, die sich von der Decke der Ebene 3 des Hauses hinunter auf die Ebene 2 erstreckt. Warum sagen wir „erstreckt“ und nicht „hängt“? Weil man diese Arbeit – wie anderenorts geschehen – auch auf dem Boden ausbreiten kann. Gonzalez-Torres stellte sich durchaus veschiedene Arten einer Präsentation seiner Werke vor und bereitete auch damit den Weg zu einer Individualisierung der konzeptuellen Kunst und ihrer spezifischen Weiterentwicklung, vielleicht sogar Überwindung. Nicht von ungefähr lautet der – von Lawrence Wiener inspirierte – Titel der Ausstellung „Specific Objects without Specific Form“: die Werke verändern sich im Ausstellungsprozess. Die Glübirnen altern und verlöschen, müssen zu gegebener Zeit durch neue ersetzt werden. Auch die Bonbon-Hügel und -matten verändern sich im Flusse der Ausstellungszeit: Weil die Betrachter die Bonbons mitnehmen können (und sollen), werden die Hügel und Teppiche kleiner, und sie werden durch nachgelegte Bonbons wieder aufgefüllt. Metapher für Leben, Sterben und erneut Geburt, für Vergehen und Erneuern – oder vielleicht sogar für ein „ewiges“ Leben? Es ist eine überaus intime, sinnliche, ja unmittelbar auch körperlich wahrnehmbare Kunst: man kann einen ihrer physischen Bestandteile ergreifen und am Körper mit sich tragen, in seinem jeweiligen Zuhause aufbewahren oder sogar lutschen und sich damit körperlich einverleiben.

Im Grunde banale Objekte des Alltags, entfalten die leuchtenden, von hellen Porzellanfassungen gehaltenen, jeweils nur 15 Watt starken (oder sollten wir besser sagen schwachen) Glühbirnen in ihrer orts- und raumbezogenen Positionierung eine eigentümliche Stimmung, in einem Gefühlsgeflecht von Festlichkeit und Erwartung, Wärme, Vertrautheit und Geborgenheit, aber auch von Melancholie, von Angst vor und dem Wissen um Abschied, Tod und Verlust.

„Untitled“ (For Stockholm), 1992, Glühbirnen, Porzellanfassungen, Verlängerungskabel, je nach Installation unterschiedliche Masse, 12 Teile, je 12,8 m lang, mit je 6 m Zusatzkabel, Collection Magasin3 Stockholm Konsthall

Eine Arbeit von grosser Intensität, Sensibilität und Intimität ist der hellblau schimmernde Bonbon-Hügel Lover Boys mit den beiden wandhängenden Miniaturen Lover’s Letter und Paris 1989. Die Arbeit entstand 1991, als Gonzalez-Torres‘ Lebensgefährte Ross Laycock an den Folgen seiner AIDS-Erkrankung starb – fünf Jahre bevor den Künstler selbst das gleiche Schicksal ereilte. Das Gewicht von 161 kg des Hügels entspricht dem Gewicht der beiden Liebenden zum Zeitpunkt des Todes von Ross. Mit dem Angebot an die Betrachter der Arbeit, Bonbons mitzunehmen und zu verspeisen, lässt er diese unmittelbar an seiner Trauer, seinem Schmerz teilnehmen.

Uns stellt sich eine – wenngleich der „political correctness“ kaum standhaltende – Assoziation ein, die uns erschrecken lässt: der Verzehr des Leibes und des Blutes Jesu Christi in der Eucharistie.

Wie viele andere Arbeiten gestaltet Gonzalez-Torres auch seine beiden oben genannten als Puzzles: Metapher für die Anfälligkeit und Zerbrechlichkeit allen Lebens. Aber in seiner „Wiederzusammensetzbarkeit“ auch doch wiederum eines „ewigen“ Lebens?

„Untitled“ (Lover Boys), 1991, einzelne Bonbons, transparent verpackt; je nach Installation unterschiedliche Masse, ideales Gewicht 161 kg, Glenstone;
in Hintergrund: „Untitled“ (Lover’s Letter), 1991, und „Untitled“ (Paris 1989), 1989; jeweils C-Print-Puzzle in Folie, je 19 x 24,2 cm, Privatsammlung

Ganz anders die gesellschaftspolitisch-kritische Arbeit Public Opinion des Künstlers in der Zentralhalle des MMK, ebenfalls aus dem Jahr 1991: ein Teppich von schwarzgrauen, länglich-ovalen, „hässlichen“ Lakritz-Bonbons, in der Tat an Bleigeschosse erinnernd. „Öffentliche“ und „veröffentlichte Meinung“ als Gefahr, ja Bedrohung des Künstlers, auch in seiner gelebten Homosexualität, in einer bigott anmutenden US-amerikanischen Gesellschaft von politischer und medialer Manipulation, wie er sie vor 20 Jahren gesehen und erfahren haben mag. Und wo stehen wir heute in einer Zeit von „Bild, BamS und Glotze“: der Requisiten also, die ein Kanzler Gerhard Schröder – und wahrlich nicht nur er – zum Regieren brauchte?

Untitled (Public Opinion), 1991, einzeln verpackte schwarze Lakritzstangen, ideales Gewicht 317,5 kg; Solomon R. Guggenheim Museum, New York

(Fotos: FeuilletonFrankfurt)

⇒ ⇒ ⇒   Felix Gonzalez-Torres: Retrospektive im Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main (3)

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