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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Else Lasker-Schüler: „Die Bilder“. Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt am Main

Else Lasker-Schüler – Dichterin, Zeichnerin, Malerin

Text: Renate Feyerbacher

Bewundert und umstritten ist Else Lasker-Schüler, die 1869 in Elberfeld (heute Wuppertal) zur Welt kam und 1945 in Jerusalem starb. „Die grösste Lyrikerin, die Deutschland je hatte“, so pries der Dichter und Arzt, der Freund Gottfried Benn (1886 bis 1956 ) sie nach dem 2. Weltkrieg. Ihn hatte sie 1912 kennen gelernt.

Die Lyrik, die sie ab 1899 bis 1943 schrieb, ist von fantasievoller Poesie. Die Sprache und die Gedanken, Höhepunkte des deutschen Expressionismus bereits vor seinem Durchbruch, sind eigenwillig, subjektiv, sprachschöpferisch.

Ein Lied

Hinter meinen Augen stehen Wasser,
Die muss ich alle weinen.

Immer möcht ich auffliegen,
Mit den Zugvögeln fort;

Bunt atmen mit den Winden
In der grossen Luft.

O ich bin traurig . . .
Das Gesicht im Mond weiss es.

Drum ist viel samtne Andacht
Und nahender Frühmorgen um mich.

Als an deinem steinernen Herzen
Meine Flügel brachen,

Fielen die Amseln wie Trauerrosen
Hoch vom blauen Gebüsch.

Alles verhaltene Gezwitscher
Will wieder jubeln,

Und ich möchte auffliegen
Mit den Zugvögeln fort.

Else Lasker-Schüler, Werke und Briefe, Kritische Ausgabe Bd.I,1. Gedichte, 1996

Weniger erfolgreich waren die Theaterstücke der Künstlerin. Das bekannteste, „Die Wupper“, ein Milieudrama aus der Industriestadt, geschrieben 1908, erfuhr erst 1919 seine Uraufführung am Deutschen Theater Berlin. „… vielfach gebrochen in der Optik, einer verspielt grausen Phantastik. Vielschichtig überlagern sich die Themen.“(Zitat aus Gero von Wilpert „Lexikon der Weltliteratur“, 1997).

„Arthur Aronymus und seine Väter“ schrieb sie 1932 – ein Stoff aus ihren deutsch-jüdischen Kindheitserinnerungen, eine hellsichtige Vorwegnahme der Judenverfolgung. Das Stück wurde 1933 kurz vor der Premiere vom Spielplan des Berliner Schiller-Theaters genommen. Das dritte Theaterwerk, „IchundIch“, schrieb sie im Jerusalemer Exil. 1940 /1941 lässt Else Lasker-Schüler in dieser theatralischen Tragödie prominente Nazis zur Hölle fahren, und das mit dem Personal von Goethes „Faust“, nämlich Mephisto und Faust. Die Nazi-Götzen des Dritten Reichs versinken im Höllenschlamm. Mit diesem Stück hat sich die Künstlerin als „intervenierende Intellektuelle“ gezeigt; so wie schon einmal, als sie den Antikriegsroman „Der Malik“ (1919) verfasste (in dem sie des im Krieg getöteten Franz Marc gedachte) und sich am Antikriegsprogramm des Malers George Grosz (1893 bis 1959) beteiligte.

Blumen, die Freundschaft schlossen, um 1928, Pastell- und Ölkreiden auf sehr dünnem elfenbeinfarbenem Papier, 21,8 x 13,7 cm, Jüdisches Museum Frankfurt am Main

Else-Lasker-Schüler, das jüngste von sechs Kindern einer jüdischen Bankiersfamilie, das schon mit vier Jahren lesen und schreiben konnte, heiratet mit 25 Jahren den Arzt Jonathan Berthold Lasker und zieht mit ihm nach Berlin. Dort widmet sie sich dem Zeichenstudium und richtet sich ein Atelier ein. Die bildende Kunst war also der Beginn der künstlerischen Laufbahn, geriet aber später in Vergessenheit.

Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt am Main hat wunderschöne Blätter, genauer gesagt Papierarbeiten, aus Archiven wie aus öffentlichem und privatem Besitz weltweit zusammengetragen und zeigt sie noch bis zum 9.Januar 2011.

Einige der etwa 150 Zeichnungen, Collagen, Lithografien, bemalten Postkarten, Briefumschlägen und Notizblockzetteln wurden noch nie gezeigt. Viele sind fein, empfindlich und sehr klein. Die Skizzen auf den Notizblöcken vermitteln den Eindruck von Spontaneität. Mit feinsten Linien hält sie ein Gesicht, eine Szene fest. Die inszenierte Naivität entspringt grosser Kunstfertigkeit und künstlerischer Kraft.

Einflüsse kommen zunächst aus dem Jugendstil, dann aus dem Expressionismus und aus Dada. Eigenständige Zeichnungen entstehen jedoch. Einfluss kommt auch von Franz Marc (1880 bis 1916), dem berühmten Schöpfer des „Blauen Reiter“. Von 1912 bis 1916, dem Tod Marcs auf dem Schlachtfeld von Verdun, schreiben sie sich Briefe und Postkarten, die bildnerisch gestaltet sind. Es geht um Kunst, aber auch um alltägliche Nachrichten, Liebe, Gewalt. Auch zeigt die Ausstellung, wie der Maler Ernst Ludwig Kirchner (1880 bis 1938) sie in ihrer Arbeit prägte.

Else Lasker-Schüler war eine schillernde Persönlichkeit in Berliner Kunst-Kreisen. Sie lebt exzessiv, hat einige erotische Abenteuer. Ihr erster Mann verweigert nach der Geburt des unehelichen Sohnes 1899 die finanzielle Unterstützung. Vier Jahre später folgt die Scheidung und die Hochzeit mit dem „Sturm“ – Herausgeber, dem Schriftsteller und Kunstkritiker Georg Lewin, dem sie das Pseudonym Herwarth Walden (1878 bis 1941) vorschlägt. Ständige finanzielle Sorgen begleiten diese Ehe, die ebenfalls scheitert. Else Lasker-Schüler bleibt ohne Geld. Freunde unterstützen sie. Die Gesundheit des an Tuberkulose erkrankten Sohnes, der 1927 stirbt, verschlingt das Wenige, das sie hat.

Gezeigt wird ein fein gestalteter Brief an Karl Kraus (1874 bis 1936) „Hochverehrter Herzog von Wien“. Er veröffentlicht ihre Gedichte in seiner Zeitschrift „Die Fackel“ und unterstützt sie auch finanziell. Dieser sprachkritische Künstler nennt sie „die stärkste lyrische Erscheinung des modernen Deutschland“.

Briefe an Martin Buber, an Theodor Däubler, Georg Trakl und Karl Wolfskehl bereichern die Ausstellung.

Jussuf empfängt die Tellerköpfe, einen von Freytag entdeckten Stamm, zwischen 1927 und 1933, Kreiden über Bleistift auf Papier, 21,8 x 13,5 cm, Jüdisches Museum Frankfurt am Main

Ein Besuch im ägyptischen Museum in Berlin regt sie zu „Jussuf“ an. Der charakteristische Jussuf-Profilkopf, den sie in vielfältigen Variationen darstellt, ist dem ausgestellten ägyptischen Kopf des Pharao Amenophis IV. (Echnaton) nachempfunden. Die Nase ihres Jussuf ist wie beim Ägypter abgeflacht. Jussuf ist eine Kunstfigur, zusammengemixt aus dem alttestamentarischen Joseph und aus Yussuf aus dem Koran. Sie selbst schlüpft nach der „Prinzessin Tino von Bagdad“ nun in die Rolle von „Prinz Jussuf“ und seinem Reich Theben. Das zeichnerische und literarische Werk dreht sich vor allem um diese Figur, die spielerisch-provokativ die zeitgenössischen Debatten um Orientalismus, Primitivismus und Zionismus belebt. Jussuf wird zu ihrem zweiten Ich. Else Lasker-Schüler zeigt sich in Pluderhosen in Berlin.

Ein thebetanisches Brautpaar, zwischen 1927 und 1933, Kreiden auf Papier, 20,8 x 14,1 cm, Jüdisches Museum Frankfurt am Main

In solchen Maskeraden begleitet und beeinflusst sie die literarische Moderne von der Jahrhundertwende bis in die Weimarer Republik. Für sie ist Kunst Spiel, ein Spiel von Wirklichkeit und Fantasie.

Ein Höhepunkt ihres poetischen und zeichnerischen Talentes sind die zehn Gedichte und zehn Lithografien, die Verleger Alfred Flechtheim herausgab. Ein eignerer Raum des Museums ist ihnen gewidmet. Tiefschwarz sind dort die Wände. Sie heben die Collagen – gezeichnet mit Tusche, mit Kreide und Buntstiften farblich gestaltet, mit Gold- und Silbermetallfolie, Transparentpapier und bräunlichem Papier collagiert oder von braunem Klebeband umrahmt – geheimnisvoll hervor. Am Hofe von Jussuf leben viele Ethnien: Zulus, Neger, Gaukler, Indianerinnen, die von Schlangen aus Stanniolpapier umzingelt werden.

Indianerinnen, um 1928, Kreiden, Tusche, Bleistift auf dünnem elfenbeinfarbenem Papier, 21,8 x 13,5 cm, Jüdisches Museum Frankfurt am Main

Else Lasker-Schüler entführt ins Serail. Interessant die „Kopfpyramiden“ oder „Theben mit Jussuf“, übereinander gestaffelte Haussilhouetten, an Paul Klee erinnernd, die ihr gestalterisches Können zeigen, ihr Gefühl für Fläche.

Und immer schreibt sie Texte und zeichnet Bilder ihres „Hebräerlandes“. Nichts haben sie mit der Realität zu tun. Es sind Dokumente ihrer Sehnsucht und ihrer Träumerei vom Orient. Künstlerische Kostbarkeiten.

Prinz Jussuf von Theben, um 1928, Pastell- und Ölkreiden, teils laviert, Tusche, mit farbigen und goldenen Metallfolien collagiert, auf Papier, 26,7 x 21,6 cm, Jüdisches Museum Frankfurt am Main

1932 erhält Else Lasker-Schüler den Kleist-Preis. Nach tätlichen Angriffen auf der Strasse emigriert sie 1933 in die Schweiz, die sie mit Schreibverbot belegt. Zwei Reisen – 1934 und 1937 – unternimmt sie nach Palästina. Sie zeichnet Skizzen ihres „Hebräerlandes“. 1939 reist sie erneut dorthin, aber eine Rückkehr in die Schweiz wird ihr wegen des Kriegsausbruchs verwehrt.

Diese Ausstellung ist eine Entdeckung. Sie bringt uns Lasker-Schüler als Künstlerin näher und hilft Hürden zu überwinden, die ihr Leben und ihr Werk umgeben.

Tiefe Sehnsucht nach der Heimat, die sie nie mehr wiedersah, spricht aus einem ihrer letzten Gedichte.

Es kommt der Abend

Es kommt der Abend und ich tauche in die Sterne,
Dass ich den Weg zur Heimat im Gemüte nicht verlerne
Umflorte sich auch längst mein armes Land.

Es ruhen unsere Herzen liebverwandt,
Gepaart in einer Schale:
Weisse Mandelkerne –

…. Ich weiss, du hältst wie früher meine Hand
Verwunschen in der Ewigkeit der Ferne…..
Ach meine Seele rauschte, als dein Mund es mir gestand.

aus: Else Lasker-Schüler: Mein blaues Klavier, 1943

Noch bis zum 9. Januar 2011 wird die Ausstellung „Else Lasker-Schüler. Die Bilder“ im Jüdischen Museum Frankfurt am Main gezeigt. Anschliessend wandert sie in die Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin.

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