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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Unterwegs in China

Unterwegs in China

Text: © Ingrid Malhotra
Fotografien: Fan Feng und Ingrid Malhotra

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Es ist einfacher geworden, in China unterwegs zu sein.

Das Land hat sich schon weit geöffnet, viel weiter, als man noch vor zwanzig Jahren erwartet hätte.

Ich erinnere mich noch daran, wie stolz China auf das erste längere Autobahnstück war – dort waren Autos, LKW, Pferdefuhrwerke, Wasserbüffel, Ochsen, Hunde, Esel, Katzen und Hühner unterwegs und natürlich auch schwer beladene Fussgänger und Radfahrer. Man kam nicht so richtig schnell voran …

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Familienrikscha-a-430

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Und wenn man die Gegend nicht gut kannte, war es sogar für Chinesen schwierig, sich zurecht zu finden. Nur selten sah man ein Hinweisschild, wie man zu einer bestimmten Stadt kommen konnte. Und das dann nur auf chinesisch – also, entweder wusste man es sowieso, oder man hatte ein echtes Problem.

Heute ist das Autobahnnetz zwar noch lange nicht komplett, aber doch schon sehr gross – alle wichtigen Städte sind mittlerweile durch Autobahnen verbunden.

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Es ist unübersehbar, welche unglaublichen Anstrengungen dort unternommen werden, den Anschluss an die Neuzeit zu schaffen. Eisenbahnstrecken werden so schnell gebaut, dass man sie geradezu wachsen sehen kann. Andauernd stolpert man über Träger, Brücken und sonstige Vorbereitungen für die Schnellbahn, die gerade in Betrieb genommen wurde. Da wird nicht schön ordentlich an einem Ende angefangen und dann in jahrelanger, behäbiger Kleinarbeit bis zum anderen Ende gebaut.

Fast jede Kleinstadt hat einen Flughafen – kaum ein Dorf ist mehr von der Aussenwelt abgeschnitten, die Infrastruktur soll dafür sorgen, dass jeder Dorfbewohner die Möglichkeit haben wird, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden, ohne noch mehr Slums in den Städten zu bevölkern, dass jedes Kind jede Schulbildung anstreben kann, für die es geeignet ist.

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Kinder: bei den Hausaufgaben, auf dem Spielplatz

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Insgesamt ist es wirklich viel einfacher geworden, in China unterwegs zu sein. Auf den Autobahnen und in den Städten sind sogar die Verkehrsschilder zweisprachig – wenn auch mitunter auf recht originelle Art und Weise. Über englische Orthographie und Ausdrucksweise scheint man in jeder Fabrik, in der Schilder hergestellt werden, eine eigene Auffassung zu haben, und die deckt sich nur selten mit der ursprünglichen. Da kann die Überholspur schon einmal ETC-Lane heissen, oder der Haltestreifen Emergency Park, oder es kommt die Ermahnung „No Long Time Stay on the Overtaking Road“, gelegentlich auch ein Hinweis, dass man sich einer „Climbing Lane“ nähert; oder einem „Blackspot“, das heisst „Danger“. Interessant fand ich auch „Keep space“ und „Do not drive online“.

Gelegentlich ist auch der Fahrstil etwas eigenwillig …

Man könnte schon den Eindruck gewinnen, dass Linksabbieger Vorfahrt haben, so ganz geklärt habe ich das nicht. Und man könnte auch glauben, dass es für langsame LKW Vorschrift ist, auf der linken Fahrspur zu bleiben – woher kenne ich das nur? Überhaupt kann man davon ausgehen, dass die langsamsten Fahrzeuge sich stur links halten.

Dafür kann man sich aber auch darauf verlassen, dass Geschwindigkeitsbegrenzungen eingehalten werden – meistens: Ich habe noch in keinem Land der Welt so viele Radarfallen gesehen wie hier! Schade eigentlich, denn die Autobahnen sind gut bis sehr gut – nur die vielen Baustellen nerven, aber wo tun sie das nicht …

Trotzdem ist ein gewisses Mass an Fatalismus hilfreich.

Es gibt sehr viele Tunnel – die Chinesen buddeln genauso gern wie die Schweizer, aber die meisten sind nicht wirklich verkehrssicher und sehr dunkel.

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Aber es gibt auch einen ganz alten Tunnel, der sich in der Steilwand einer engen Klamm hochschlängelt und ausserordentlich sehenswert ist!

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Und viele sind auch erst im Bau, und wir werden umgeleitet – über Landstrasssen und Feldwege, zwischen LKW und Traktoren – natürlich gibt es auch hier Baustellen. Und man wird von der Umleitung weg umgeleitet – also, trotz der zweisprachigen Schilder sind selbst relativ ortskundige Fahrer hier gelegentlich am Ende ihrer Weisheit.

Ganz wild wurde es einmal, nach einer ganz besonders langen und umständlichen Umleitung, die ich ja sehr genossen habe, denn man kam durch winzige Dörfchen und über schmale Wege, die einen viel unmittelbareren Eindruck von der Umgebung erlaubten. Aber der Fahrer war weniger beglückt. Schliesslich – endlich! – sahen wir ein Stück weit voraus wieder eine Hauptstrasse mit rasch fliessendem Verkehr. Die Umleitung führte hier über einen Kohlenplatz und durch ein reich verziertes Tor aus alten Zeiten. Nur, die Durchfahrt war versperrt! Da waren Seile über den Weg gespannt, und ein paar Leute sassen herum mit unfreundlichen Gesichtern.

Wie sich herausstellte, hatten ein paar Bauern der Umgebung hier eine gute Chance gewittert, sich etwas dazu zu verdienen und verlangten Wegezoll. Die Reaktionen waren unterschiedlich. Die meisten Fahrer schimpften fürchterlich und zahlten dann zähneknirschend.

Ich fand das Ganze enorm spannend: echte Wegelagerer!

Also, raus aus dem Wagen und Fotos von allem gemacht. Der Gedanke, mich eigentlich fürchten zu müssen, kam mir erst sehr viel später …

Das Fotografieren war auf jeden Fall ein taktischer Fehler, denn uns wollten sie dann auch nicht gegen eine Geldzahlung weiterfahren lassen.

Aber einigen konnten sie sich auch nicht. Schliesslich kam einer an den Wagen, flüsterte ein bisschen, nahm dann etwas Geld und öffnete die Durchfahrt unter heftigem Gezeter seiner Genossen.

Der Chip mit den Bildern ist leider kaputt gegangen – aber vielleicht ist das auch besser so! Meine Begleiter meinten zwar, den Leuten würde nichts weiter passieren, wenn die Behörden von der Angelegenheit erfahren; ein Dorfpolizist würde zu ihnen gehen und sie ein bisschen schimpfen, und damit wäre der Fall erledigt.

Also, irgendwie glaube ich das denn doch nicht so recht!

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Beijing bei Nacht

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Merkwürdig fand ich die Vorschrift, dass besonders schwere LKW nicht auf die Autobahn dürfen, weil die davon kaputt ginge. Sie müssen sich über enge und teilweise unbefestigte Landstrassen quälen. Ob das wirklich sinnvoll ist?

Was auch den Verkehr etwas behindert, sind die vielen Mautstationen – an den Provinzgrenzen, vor besonders teuren Brücken, vor manchen der besseren Tunnel, vor Autobahnabschnitten in mehr oder minder privater Hand.

Es gibt schon noch Probleme, auch wenn unübersehbar in den letzten 20 Jahren es unglaublich viele Verbesserungen gegeben hat. Zum Beispiel fährt ein chinesischer Autofahrer lieber bibbernd vor Angst, dass er ohne Benzin liegen bleibt, weiter bis zu einer Tankstelle, bei der er sagt, er könne sicher sein, dass dort das Benzin nicht mit Alkohol verpanscht ist.

Naja, dafür kostet es viel weniger als bei uns, umgerechnet zwischen 50 und 60 Eurocent, je nach Oktanzahl. Obwohl, wenn ich über die Höhe der chinesischen Durchschnittsgehälter nachdenke, dann ist es eigentlich viel teurer als bei uns!

Interessant sind übrigens auch die Autobahntoiletten. Früher waren sie einfach nur ein Graus. Jetzt ist es immer spannend: kann man sie benutzen oder nicht? Es ist nicht immer eine gute Idee, aber immer öfter …

Auch das Fliegen ist einfacher geworden – auch für Inland- und Kurzstreckenflüge erhält man jetzt eine Boarding Card und muss nicht mehr rennen, um noch einen guten Platz zu ergattern. Früher merkte man in diesen Situationen nicht allzu viel von der sprichwörtlichen Höflichkeit der Chinesen, insbesondere der Chinesinnen, man bemerkte nur, welch spitze Ellbogen sie doch haben; heute kommen die nur noch bei ganz besonderen Sonderangeboten zum Einsatz – jedenfalls gegenüber den Langnasen.

Aber fliegen möchte ich in China eigentlich nur, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt – man sieht dabei so wenig!…

Und es gibt ja so viel zu sehen!

Zum Beispiel die vielen Gräber mitten in den Feldern und Weiden mit ihren prächtigen Grabsteinen, denn früher liessen sich die Chinesen auf dem Land am liebsten mitten in ihrem Besitz beerdigen; heute ist das verboten.

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Oder die zahllosen heiligen Stätten, die man überall und am häufigsten in den höher gelegenen Teilen Westchinas findet.

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Überall stösst man auf Spuren der langen Geschichte Chinas; mal war die Haupstadt hier, mal war sie da. Die Mauer – von der Mauer haben alle schon einmal gehört, aber das war ja beileibe nicht die einzige oder gar die erste! Überall im Westen Chinas stösst man auf Mauerreste und kaum noch wahrnehmbare Wälle, die auf den ersten Blick aus Sand zu bestehen scheinen – aber sie sind aus Lehm und Ziegeln, die im Lauf der Jahrtausende zerfallen sind.

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Auch von den merkwürdigen kegelförmigen Bergen im Süden Chinas hat man schon einmal gehört – ehe ich sie gesehen hatte, war ich fest davon überzeugt, dass Chinesen einfach keine Berge malen können. Dass es im Landesinnern noch mehr solche Landschaften gibt, grösser, schöner und mit Höhlen und Wasserfällen sogar auch noch interessanter: das wusste bis vor wenigen Jahren kaum jemand ausserhalb Chinas.

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Man muss sich nur daran erinnern, welche grosse Vielfalt man in Europa antrifft – China ist etwa so gross wie Europa, eine chinesische Provinz so gross wie ein ganzer Staat auf unserer europäischen Halbinsel.

Immer wenn ich denke, jetzt habe ich sicher alles gesehen, was es an interessanten Landschaften gibt, kommt wieder etwas Neues!

Natürlich bin ich in einer besonders begünstigten Lage, denn Freunde von mir – Chinesen – sind Reiseveranstalter, und ich darf immer mal wieder neue Routen und Hotels ausprobieren – herrlich! Was mir gefällt, wird dann den deutschen Reiseveranstaltern angeboten, und das führt in den Hotels natürlich dazu, dass man mich unglaublich verwöhnt …

Die chinesischen Hotels sind eigentlich immer gut. Nach Möglichkeit versucht man sicher, Touristen in wirklich hervorragenden Hotels unterzubringen, die auch nach europäischen Standards vier Sterne verdienen würden, aber ich war auch schon in sehr einfachen Hotels, und wenn auch das Frühstück dort chinesischer war als in den anderen und die Einrichtung vielleicht den persönlichen Geschmack der Besitzer etwas zu intensiv widerspiegelte – sauber waren sie alle, sehr sauber!

Auch auf der tropischen Badeinsel Hainan mit ihren endlosen weissen Palmenstränden, die nur von gelegentlichen Buddhas überragt werden, sind die Hotels einwandfrei und sehr komfortabel.

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Hainan

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Sie brauchen den Vergleich mit denen anderer tropischer Badeinseln nicht zu scheuen.

Ein ganz besonderes Hotel ist das im Jin-Mao-Turm in Shanghai: es fängt im 53. Stock an und geht hoch bis zum 87. Stock.

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Bis vor kurzem war es das höchste Hotel der Welt. Es lohnt sich schon, dort zu übernachten.

Zugegeben, es ist nicht gerade billig, und die Zimmer sind zwar sehr gut eingerichtet, aber nicht übermässig gross, aber man hat dort den besten Blick über Shanghai und den Bund, die beliebte und berühmte Promenade am Fluss – wenn man Glück hat! Wenn man so viel Glück hat wie ich, dann sind die gebuchten Tage diesig und regnerisch, und der Bund ist eine einzige Baustelle in Vorbereitung der Expo …

Aber trotzdem – wenigstens hat man es nicht weit zu den Aufzügen, die ganz hinauf gehen auf die Aussichtsplattform. Und dort hat man nicht nur – an klaren Tagen natürlich – einen grandiosen Blick auf die Stadt, sondern man kann auch durch das Innere des Turms hinunterblicken – faszinierend!

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Am besten gefallen mir immer die Hotels, die sich an chinesischen Traditionen orientieren. Wie zum Beispiel vor ein paar Jahren das in Lijiang mit den herrlichen Schnitzereien und dem unglaublichen Blick über die Dächer der Altstadt.

Oder das neue in Pingyao, wo man eine grosse Anzahl traditioneller Atriumhäuser und Hutongs zu einem wunderschönen Hotelkomplex zusammengefasst hat, mit geschnitzten Möbeln, Kangbetten, prächtigem Porzellan und hervorragenden Tuschebildern.

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Hotel in Pingyao

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Vorsicht ist geboten bei Übernachtungen in Bauernhöfen – die Leute sind überaus herzlich und tischen das Beste auf, was Küche und Keller zu bieten haben, und im Gespräch erfährt man auch, wie zufrieden sie mit ihrer derzeitigen Situation sind: Zum ersten Mal seit Hunderten oder gar Tausenden von Jahren gehören ihre Höfe und Felder ihnen selbst, und die Abgaben sind festgelegt und richten sich nicht mehr willkürlich nach den Bedürfnissen irgendwelcher Grossgrundbesitzer.

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Aber die Hygiene! Das Bettzeug ist zwar meist schön bunt, aber nicht wirklich fleckenlos. Und die sanitären Einrichtungen bestehen meist aus einem Kaltwasserhahn im Hof und einem Plumpsklo (sprich: Loch im Boden) neben dem Schweinestall – zum Glück neben dem Schweinestall, denn der riecht besser!

Natürlich ist man in China nicht nur mit Autos und Flugzeugen unterwegs – recht oft reist man auch mit der Bahn und mit Schiffen. Das ist lustig, wenn man nicht gerade Teil einer Touristengruppe ist, denn die mitreisenden Einheimischen sind sehr, sehr neugierig auf langnasige, kartoffeläugige, gelbhaarige Gestalten. Dass sie bis vor wenigen Jahren die Haare anfassen wollten, nervte etwas, aber inzwischen sind sie abgehärtet. Dass sie nie ohne ausreichend Proviant unterwegs sind – man weiss ja nie! – und diesen gerne mit besagten Gestalten teilen, ja sogar beleidigt wären, wenn man nichts annehmen würde, ist eine Sitte, auf die ich ungern verzichten würde.

Die Züge sind durchaus bequem. Leider konnte ich den neuen, superschnellen noch nicht ausprobieren und auch nicht den Direktzug nach Lhasa, aber ich bin schon sehr gespannt darauf. Und Schiffe, auf denen man sich länger als ein paar Stunden aufhält, sind durchweg mit komfortablen Kabinen und hervorragenden Köchen ausgestattet.

Was auffällt ist, dass es in China noch immer sehr wenige Bettler gibt. Früher sah man überhaupt keine; es gab auch keine Arbeitslosen, sondern nur Arbeitsuchende. Ich erinnere mich, wie überrascht ich vor Jahren in Kunming war: Während eines abendlichen Stromausfalls gingen wir spazieren und sahen in regelmässigen Abständen auf dem breiten Bürgersteig etwas Weisses, was wir aber in der Dunkelheit nicht identifizieren konnten. Am nächsten Tag schauten wir dann nach und stellten fest, es waren Blinde, die ihren gesteigerten Tastsinn nutzten, um mit Kopf- und Nackenmassagen etwas zum Familieneinkommen beizutragen.

Fanden wir sehr beeindruckend!

Aber das ist vielleicht auch typisch für die Einstellung der Chinesen; sie warten nicht darauf, dass jemand ihnen hilft und sie unterstützt. Sie sind stolz darauf, sich selbst und ihren Familien aus eigener Kraft zu helfen …

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Food Street in Beijing

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Was auch auffällt, ist die Aufforstung. Die ist schon seit vielen Jahren im Gange und wird auch noch viele Jahre weitergehen müssen in diesem Riesenland, das jahrtausendelang Raubbau an seinen Wäldern betrieben hat. Wussten Sie, dass die spezifische Eigenart der chinesischen Küche – fast alles kleingeschnitten, fast alles nur kurz gegart – auf den Mangel an Brennstoffen zurückzuführen ist? Angesichts des akuten Holzmangels konnte man nur in sehr reichen Häusern ein Feuer lange genug am Brennen halten, um einen grossen Braten durchzugaren.

Heute wird auf jedes Fleckchen Erde, das Platz für ein Samenkorn oder einen Setzling bietet und landwirtschaftlich nicht genutzt werden kann, ein Baum gepflanzt. Es gibt schon eine ganze Reihe Wälder, wo früher Savanne oder Halbwüste war. Und in der Gobi regnet es, nicht immer, aber immer öfter, wie ich zu meinem Leidwesen herausfand!

Was natürlich in erster Linie und immer wieder auffällt, sind die prachtvollen Landschaften! Es gibt nicht nur Karstgebirge, Flüsse und Schluchten, durch die man mit dem Schiff fährt. Es gibt Canyons, die den berühmten in den USA um nichts nachstehen.

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Ach ja, das bringt mich auf ein weiteres Verkehrsmittel: Flösse aus aufgeblasenen Ziegenbälgen – ziemlich wacklig!

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Aber man gelangt auf ihnen zu einem überwältigenden Canyon am Gelben Fluss. Wasserfälle, die durch Höhlen herunterrauschen, Reisterrassen, Berge in jeder nur gewünschten Höhe, Lössebenen, an denen man die Folgen der Erosion und die Ingenuität ihrer Bewohner studieren kann, Tropfsteinhöhlen, schmale wilde und breite gemächliche Flüsse, und, und, und …

Auffällig ist, wie wenig vom alten chinesischen Alltagsleben übrig ist. Die meisten Sehenswürdigkeiten haben die Revolution gegen die Kultur weitestgehend unbeschadet überstanden. Aber die Hutongs, die schmalen Gässchen durch die Wohnviertel mit den – ich nenne sie jetzt einfach einmal so – Atriumhäusern, wo jedes verheiratete männliche Familienmitglied ein eigenes kleines Haus mit einem eigenen kleinen Innenhof hatte, die findet man kaum noch.

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Hutongs für Touris-430

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In Beijing gibt es noch ein solches Viertel an einem kleinen See. Durch die Gassen kommt man nur zu Fuss oder mit einer schmalen Sänfte oder Rikscha. Teilweise ist das schon touristisch aufbereitet, aber noch gibt es auch ein paar Originalbewohner, die sich absolut nicht aus ihrem Viertel vertreiben lassen wollen. Ich hoffe, dass ihnen das gelingt, denn sie verleihen dem Ganzen einen Anschein von Echtheit, der unbedingt erhalten bleiben sollte.

Die meisten dieser alten Wohnviertel mussten in den letzten Jahrzehnten Platz machen für breite Boulevards, moderne Büro- und Geschäftshäuser und gewaltige neue Wohngebäude. Die erhalten zwar alle über irgendwelche Details an Dach oder Fassade einen unverkennbar chinesischen Touch, aber oft wirken sie doch sehr überdimensioniert – andererseits stellt sich natürlich die Frage, wie man anders zeitgemässen Wohn- und Arbeitsraum für so viele Menschen schaffen sollte!

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Verblüffend sind die Unterschiede, wenn man vom Osten Chinas in den Westen reist. Der Osten ist hochentwickelt, modern, industrialisiert. Wenn man in südwestlicher Richtung fährt, wird es ländlicher, ruhiger, traditioneller. Das schöne Yünnan mit seiner Hauptstadt Kunming, der Stadt des ewigen Frühlings, die alten Städte Dali am Erhan-See, Lijiang und schliesslich die Ausläufer des Himalaja, Shangri-La, wie es die Chinesen heute nennen – das ist alles wunderschön, und die Menschen bemühen sich trotz des starken Tourismus sehr darum, ihren Gästen Freude zu bereiten; ich werde nie vergessen, wie ich vor einigen Jahren, während der Pilzsaison, dort war und flüchtig erwähnte, dass ich sehr gerne Pilze esse: fast zwei Wochen lang gab es Pilze zum Frühstück, Pilze zu Mittag und Pilze zum Abend, bis ich keine Pilze mehr sehen konnte. Man sah es ein …

Aber der Nordwesten! Das ist ein regelrechter Kulturschock! Obwohl es auch hier sehr viel Industrie gibt, erwecken die Städte den Eindruck, in der Mao-Zeit stecken geblieben zu sein: rote Transparente mit „aufmunternden“ Parolen, graue Mauern und Strassen, Lautsprecher auf den Hauptplätzen, die heroische Musik und Ermahnungen über die Häuser plärren, und noch erstaunlich viele Menschen in den unansehnlichen Einheitsanzügen von damals. Der Kontrast ist geradezu erschreckend.

Es gibt allerdings auch Dinge, die man überall in China gleichermassen findet: Wenn man früh vor Beginn des Berufsverkehrs, gleich nach Tagesanbruch, durch die Parks und über die grösseren Plätze der Stadt streift, beobachtet man an allen Ecken und Enden Gruppen von Menschen, die hier Tai Chi üben, oder Schattenboxen oder eine Art stilisierten Schwertkampf.

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Und wenn man abends nach Einbruch der Dunkelheit zurück kommt, dann wimmelt es hier von Menschen, die tanzen – einfach so, aus Spass an der Bewegung. Manchmal gibt es schon Lautsprecheranlagen an den beliebtesten Treffpunkten, anderswo bringt irgendein regelmässiger Gast ein Transistorradio mit – sie freuen sich einfach am Tanzen und daran, dass es so viele Gleichgesinnte gibt, in allen Altersgruppen, vom Teenager bis zu Uroma und Uropa.

Zum Abschluss nun noch ein paar Worte darüber, wie die Chinesen, die ich kennengelernt hab, selbst ihr Land sehen: Sie sind stolz auf ihre Heimat, und dafür geben sie viele Gründe an: Es geht ihnen wirtschaftlich besser als je zuvor in der Geschichte Chinas, sie haben volle Bewegungsfreiheit (und wenn man in den ausländischen Konsulaten endlich einmal einsehen würde, dass Chinesen absolut keinen Grund sehen auszuwandern, und aufhören würde, sie wie unliebsame Asylbewerber zu behandeln, kämen sie auch gerne als Touristen zu uns!), können lernen und studieren, was sie wollen – sie sind zufrieden und stolz.

Noch stolzer sind sie natürlich auf ihre jeweilige Provinz, denn die ist ganz sicher der beste Teil von China! Und das Beste in ihrer Provinz ist ganz klar die eigene Stadt.

Mit einer geradezu naiven Begeisterung heben sie immer wieder hervor, was es alles an Gutem gibt. Und wenn sie auch zugeben, dass noch nicht alles so ist, wie es sein sollte, so legen sie doch Wert auf die Feststellung, dass China auf einem guten Weg ist – und dass im westlichen Ausland, wo man so gerne den mahnenden Zeigefinger hebt und Moralpredigten hält, auch nicht alles perfekt ist …

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