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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Am Herzschlag der Künstlerin: Eva Weingärtner ludt ein zur Performance

Von Erhard Metz

Schauplatz: Galerie Perpétuel in Frankfurt-Sachsenhausen, vor ein paar Tagen, es ist ein warmer Spätjuni-Abend. Eva Weingärtner, die Performancekünstlerin, hat sich angesagt.

Es ist eine Sitzung der besonderen Art. „Wir fangen jetzt an. Aber wer erwartet, dass ich etwas aufführe, den muss ich leider enttäuschen“, so etwa sagt sie zu Beginn. Begraben wir also unsere Rezipientenerwartung.

Eva Weingärtner sitzt hoch aufgerichtet auf einem gestuften Hocker, die Beine ausgebreitet, den rechten Fuss zumeist auf  dem unteren Treppchen, den linken auf dem Boden, bekleidet mit einem leichten, Schultern und Arme bedeckenden Kleid, in Schwarz, versteht sich, so hat es etwas von einer Robe, einem Talar. Apart schaut sie aus, die Künstlerin, eine Aura scheint sie zu umgeben. So könnten wir uns eine Magierin vorstellen. Ruhig wirkt sie in ihren Bewegungen, konzentriert, versammelt in Gesicht und Körperhaltung.

Ihr unmittelbar gegenüber ein einfacher, im Vergleich zu dem Hocker niedrigerer Bürostuhl, ohne Armlehnen. Wer mag, kann auf ihm Platz nehmen, vis-à-vis der Künstlerin. Die anderen Gäste könnten, so sagt sie, sich derweil durchaus in der Galerie umschauen (in der es diesen Abend ausser weissen Wänden nichts zu sehen gibt!) oder auf die Strasse gehen. Was einige der Anwesenden denn zwischenzeitlich auch tun.

Was ist das für eine Situation, wenn wir auf diese Weise auf dem Stuhl vor der Künstlerin sitzen? Ein Probant einer Forscherin gegenüber? Ein Examenskandidat einer Professorin? Ein Angeklagter der Richterin? Ein Patient einer Ärztin, Therapeutin, Hypnotiseurin?  Ein Beichtender einer Priesterin?

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Der Autor und Eva Weingärtner

Zu ihrer Linken hat Eva Weingärtner eine Verstärkeranlage aufgestellt, ihrem jeweiligen Gegenüber reicht sie eine mit dem Apparat verbundene Kopfhörergarnitur. Sie selbst führt einen mit dem Verstärker verbundenen stethoskopähnlichen Detektor, er wird ein Mikrofon enthalten, unter ihr Kleid an der Herzseite auf ihre Brust. Sie bedient mit der linken Hand den Lautstärkeregler, legt sie anschliessend auf ihr linkes Bein, mal führt sie beide Hände über der Brust zusammen. Ihr Gegenüber vernimmt im Kopfhörer ihren Herzschlag, er ist ruhig und regelmässig, mitunter hört er sich etwas knarrend und verfremdet an. Gesprochen wird nicht.

Man kann solange verharren und zuhören, wie man möchte. Eine, zwei, drei Minuten werden es sein, man hat im Kopf, dass die anderen zur Performance Erschienenen warten, bis sie selbst auf diesem Stuhl Platz nehmen können. Insoweit setzt man sich selbst unter einen Druck. Der Reihe nach, wie beim Arzt, der Nächste bitte! Und doch: eine trotz dieser Wartezimmer-Öffentlichkeit intime Situation.

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Der Galerist und Eva Weingärtner

Zunächst scheinen wir uns in der Rolle eines Arztes zu befinden, sind wir es doch, die den Herzschlag der Künstlerin „ab“hören. Aber: Sie setzt die Bedingungen der Séance, auch fühlen wir uns umgekehrt von Anfang an von ihr beobachtet, ziemlich genau, fast ein wenig sezierend; auf eine Weise sogar durchschaut. Männer und Frauen auf dem Stuhl mögen – es liegt auf der Hand – sehr unterschiedliche Befindlichkeiten zu der Künstlerin entwickeln.

Was für eine so noch nie erlebte Kommunikation zwischen Künstlerin und Rezipient! Wir verspüren, Eva Weingärtners Herzschlag hörend, eine Art von Intimität, ja Erotik, die uns nahe zu rücken scheint, unser Blick weicht zuweilen dem als prüfend empfundenen der Künstlerin aus. Doch wird uns, so machen wir uns bewusst, der uns bedrängende Herzschlag durch einen distanzierenden technischen Vorgang vermittelt. Aber die Situation bleibt ambivalent; eine Herausforderung, der wir kaum sprachlichen Ausdruck verleihen können.

Was will uns die Künstlerin offenbaren, auf welche Pfade will sie uns locken? Was gibt, was schenkt sie uns? Nicht mehr, vor allem aber nicht weniger als dem Schlag ihres Herzens zu lauschen, unabdingbare Grundlage ihres eigenen Lebens, ihrer physischen Existenz. Eine Metapher für das, was wir von ihr als Künstlerin – „eigentlich“ – erwarten? Was nehmen wir mit von dieser Offenbarung? Nichts jedenfalls, was wir kaufen könnten, nichts, was einem „Kunstmarkt“ vordergründig andienbar wäre. Was aber dann?

Umgekehrt: Liegt in der „Preisgabe“ ihres Herzschlags nicht auch der Wunsch der Künstlerin nach einer gewissen Selbstversicherung durch andere? Fordert sie eine Bestätigung von uns ein, begründet sie eine Partnerschaft zwischen uns und ihr, in dieser besonderen, nonverbalen und eben auch intimen Situation?

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Jean-Christophe Ammann und Eva Weingärtner

Künstler und Betrachter, Erschaffender und Rezipient, ein altes Thema, treten in Eva Weingärtners Performance in einen Dialog der eigenen Art, wechselwirken auf- und miteinander. Die Künstlerin macht diesen Prozess auf ihre besondere Weise  – psychisch wie physisch, sinnlich wie körperlich – wahrnehmbar.

Was geschieht in uns, so werden wir uns auch künftig fragen, wenn wir als Betrachter vor einem Gemälde, einer Skulptur, einer Installation stehen? Bis auf welche Distanz können wir uns einem Künstler, einer Künstlerin, die durch ihre Arbeiten, ihre Kunst zu uns sprechen, nähern? Wieviel an Intimität ist erlaubt? Wieviel von uns selbst wollen wir uns eingestehen, ja preisgeben, wenn wir uns auf einen Künstler, auf sein Kunstwerk einlassen?

Eva Weingärtner, 1978 in Worms geboren, studierte von 2000 bis 2006 an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, wo sie lebt und arbeitet.

Bekannt wurde sie vor allem durch zahlreiche Performances und Videoperformances, zum Beispiel ihre grossartige Arbeit „Alterego“ aus dem Jahr 2005, die uns in vielem als ein Schlüssel zu ihrem Werk erscheint.

Zitat: „Eine eindringliche Selbstbefragung, in der die Antworten nicht entgegnet werden. Die Arbeit ist ein Selbstverhör, eine Selbstverletzung, Ausdruck des zwanghaften Wunsches perfekt zu sein. Die Antwort auf die immer wiederkehrende Frage: ‚Was machst Du?‘ gibt die Protagonistin sich schliesslich selbst – wie auch sonst – mit einem Wort: Arbeiten. Dieses Wort wird in aggressiver Wiederholung zum Rhythmus von Zunge, Körper und Klang. Seine Bedeutung wird schliesslich durch das ekstatische Ablecken des Tisches ad absurdum geführt.“

(Bildnachweis: Galerie Perpétuel, Frankfurt am Main)

→ Kunsthalle Mainz: Peter Sauerer, Elly Strik, Eva Weingärtner

→ Preis “ZONTA Art Contemporary” für Eva Weingärtner

 

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