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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Der Künstler lebt und arbeitet in Bethang: Karsten Neumann

Von Erhard Metz

Viele, wenn nicht die meisten von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, waren schon in  Bethang oder sind zumindest durch Bethang gefahren. Wie bitte, sagen Sie, Bethang? Kennen wir nicht. Doch, kennen Sie bestimmt, vermutlich aber unter anderen Namen:

Bethang ist eine Stadtutopie des Aktionskünstlers Karsten Neumann. Bethang – vom Künstler gern auch Бethang geschrieben – besteht aus dem fiktiven Zusammenschluss der drei benachbarten Städte NürnBErg, FürTH und ErlANGen. Im Grunde ganz einfach, oder? Hätten wir doch gleich darauf kommen können!

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autobahn münchen-bethang, limitierter digitaldruck, 2008

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bethang west, strassenschild, limitierter digitaldruck, 2008

Aus- und Ein-, Zu- und Abfahrt von und nach Bethang – alles scheint bestens organisiert, will heissen bethangisiert. Verirren kann man sich also nicht.

Oder etwa doch?

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hauptbahnhof münchen, limitierter digitaldruck, 2008

Bethang – ein Fall von Konzeptkunst. Bethang sei antifaschistisch, sagt der Künstler, und setze der Globalisierung des Kapitals das Patchwork der Kulturen entgegen. Zweifellos spielt er damit auch auf die Geschichte Nürnbergs, heute „Stadt der Menschenrechte“, an: Nürnberg als ehemalige Stadt der NS-Reichsparteitage, der menschenverachtenden „Nürnberger“ Rassengesetze. Bethang sei, so Neumann weiter, prozessorientiert, die Dinge dürften sich dort verändern und entwickeln. Und: Neumann gab Bethang – fast möchte man sagen folgerichtig – eine eigene, neue Zeitrechnung. Sie beginnt mit der Kapitulation des faschistischen Deutschland am 8. Mai 1945 (daher wurde der Künstler im Jahr 18 geboren).

Der Lustgewinn, den eine derartige Stadtutopie zu erzeugen vermag, hielt sich bei den Oberbürgermeistern der drei Städte – nach althergebrachtem Verständnis durchaus nachvollziehbar – in sehr überschaubarem Rahmen: Alle drei verwehrten sich, für den Katalog „Bethang“ ein Grusswort zu schreiben.

In seinem berühmten Werk „Die Unwirtlichkeit unserer Städte: Anstiftung zum Unfrieden“ formulierte Alexander Mitscherlich seine Kritik an der Zerstörung gewachsener Strukturen in der nachkriegszeitlichen Stadtentwicklung, die in der Tat nur auf der Grundlage bestimmter gesellschaftspolitischer Prozesse stattfinden konnte und unter deren Folgen die meisten Städte auch heute noch leiden.

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kaiserburg in bethang – schöner gruss aus bethang, postkarte 2008/2010

Vermeintlich „reale“ Stadtutopien gab es vielfach, und sie scheiterten zumeist: Prominentes Beispiel ist die einstmalige hessische „Kunst“-Stadt Lahn, Anfang 1977 aus den traditionsreichen Städten Gießen (Justus von Liebig!) und Wetzlar (Reichskammergericht und Johann Wolfgang Goethe!) gebildet. Die Mesalliance hielt nur  zweieinhalb Jahre. Was bewirkte die Umbenennung von St. Peter(s)burg in Leningrad und deren Rückverwandlung, was ein ähnlicher Unfug mit der Umbenennung von Chemnitz in Karl-Marx-Stadt und deren Rücknahme? Und im grossen geschichtlichen Rahmen wurde aus Byzanz erst Konstantinopel und schliesslich Istanbul. Diese Vorgänge stehen – zumindest auch – für gesellschaftspolitische Veränderungen, Umstürze und Utopien.

Nun, von einem Scheitern sind Karsten Neumanns künstlerische Aktionen weit entfernt. Auch würde man Neumann gründlich missverstehen, wenn man seine Arbeit etwa mit einem Streben nach kommunaler Neuordnung oder Gebietsreformen in einen Zusammenhang brächte. Vielmehr geht es ihm darum, Möglichkeiten einer „alternativen Gesellschaft, in der ein anderes Miteinander praktiziert wird“, aufzuzeigen. Verständigung zwischen unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Weltanschauungen ist ihm ein Anliegen. Wir verstehen Neumanns Stadtutopie als eine Metapher für eine gesellschaftliche Utopie. Bethang ist insofern überall und nirgenwo. Mit seiner Stadtutopie knüpft Neumann zweifellos auch an Joseph Beuys „Soziale Plastik“ an.

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ortsausgang bubenreuth, limitierter digitaldruck, 2009

Dennoch: Neumanns Kunstwerke sind zwar auch von utopischem Wesen, aber gleichwohl gegenständlich-real: anschaubar, erlebbar und – für jeden Künstler wichtig – erwerbbar.

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diverse leuchtobjekte, handgemacht in bethang 2007/2008

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„schnapsglasset“ – handgemacht in bethang, 2005

Neumann arbeitet gern mit dem Objet trouvé, dem Ready-made: Leere Kanister oder verlorene Radkappen von Automobilen (er selbst ist überzeugter Fahrradfahrer), die er aufsammelt, verwandelt er zu skulpturalen Objekten, im Falle der Radkappen zu „Gemälden“.

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[drei] gemälde aus bethang, 2008/2009

„Radkappengemälde“ sind Gegenstand auch seiner neuesten Ausstellung. Statt Farben aufzutragen montiert er farbige Kunststoffteile auf den Radkappen. Diese „Gemälde“ erwecken den Eindruck, als seien sie Mandalas, Meditationsbilder des tibetischen Buddhismus, dem sich Neumann verbunden fühlt.

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Karsten Neumann in Aktion: dokumentationsfoto der performance „europäische stadt“, leipzig

Karsten Neumann, im Jahr 18 (= 1963) in Würzburg geboren, studierte von 38 bis 43 (= 1983 bis 1988) sowie 45 und 46 (= 1991 und 1992) an der Akademie der bildenden Künste in Nürnberg bei den Professoren Ludwig Scharl und Georg Karl Pfahler.

Einige nach dem Zeugnis des Künstlers bemerkenswerte Stationen in seinem Werdegang: in den Jahren 36 Kriegsdienstverweigerung, 38 Zertrümmerung der „Konfirmationsstereokompaktanlage“, 43 Antritt des Zivildienstes in einem Altenheim, 46 Austritt aus der Kirche, 50 erste Meditationsübungen, 54 Ende des Tabakrauchens, 60 erste redaktionelle Erwähnung von Bethang in einer Tageszeitung.

Neumann erhielt mehrfach eine Atelierförderung der Stadt Nürnberg und ein Bayerisches Stipendium zur Atelierförderung. Weiter sind hier zu nennen das Pilotprojekt „Gropiusstadt Berlin“ sowie das Projekt „espacio de bethang“ in Leipzig. Die Zahl seiner Gruppen- und Einzelausstellungen, Aktionen und Performances ist kaum mehr überschaubar. Arbeiten Neumanns befinden sich in öffentlichen Sammlungen in Bamberg, Erlangen, Nürnberg und Recklinghausen. Der Künstler lebt und arbeitet in Bethang.

Am morgigen Sonntag, den 18. April 2010, wird in Bethang (und dort im Stadtteil Nürnberg) wie erwähnt Neumanns neueste Ausstellung „apartment – eine exposición mit gemälden aus bethang von karsten neumann“ eröffnet. Besucher werden dort sicherlich auch die „Bethangske“ antreffen: die Rostbratwurst aus Bethang, aus reinem Kalbfleisch, verzehrbar für Christen, Muslims und Mitglieder jüdischer Gemeinden.

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Einladung zur Ausstellung: apartment – eine exposición mit gemälden aus bethang von karsten neumann in bethang (nürnberg)

(Bildnachweis und Fotos: © Karsten Neumann)

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