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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Jazzlegende Emil Mangelsdorff zum 85. Geburtstag

Ein Frankfurter Juwel –
Jazzlegende Emil Mangelsdorff wird 85 Jahre

Text und Fotografien: Renate Feyerbacher

“Emil Mangelsdorff zählt zu den profiliertesten, vielseitigsten Solisten und Komponisten des deutschen Jazz“, so steht es im Jazzlexikon von Martin Kunzler, das 1988 veröffentlicht wurde. Und für das Fachmagazin Jazzpodium zählte er bereits in den 1950er Jahren “ohne Zweifel zu den wichtigsten Altsaxophonisten Europas”. An dieser Wertschätzung hat sich nichts geändert. Wer Emil Mangelsdorff vor drei Wochen in der Alten Oper Frankfurt bei der Feier zum 80. Geburtstag des internationalen Konzertveranstalters Fritz Rau gehört hat, fand diese Aussage bestätigt. Das Publikum hat einen Jazzer auf dem Höhepunkt seiner Karriere erlebt. Es wollte ihn nicht von der Bühne gehen lassen. Sein Feuer brennt nach wie vor.

“Seine feinziselierten Linien, getragen von einem grossen, klaren Alto-Ton, erweisen ihn als souveränen Musiker, der die gesamte Tradition, vor allem Cool-Einflüsse, mit Blues-Gefühl und Sophistication zu einer musikalisch schlüssigen Synthese zu bringen versteht”, schreibt Kunzler in seinem Jazzlexikon.

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Emil Mangelsdorff am 3. März 2010

Emil Mangelsdorff, der am 11. April 1925 in Frankfurt geboren wurde, ist ein Multitalent. Er spielt nicht nur meisterhaft Alt- und Tenorsaxophon, sondern auch Flöte und Klarinette. Zunächst aber hatte er mit dem Akkordeonspiel begonnen.

In Opposition zum NS-Regime

1939 gründeten Jugendliche den Hot Club Höchst, um Jazz-Platten zu hören. Diese “Negermusik” durfte damals nicht gespielt werden. Nach Kriegsbeginn trat Emil Mangelsdorff zusammen mit dem Trompeter Carlo Bohländer (1919 bis 2004) und dem Pianisten Hans Otto Jung (1920 bis 2009) als local heroes der Swingszene erstmals in Erscheinung. “Die eigentliche Keimzelle des Frankfurter Hot Clubs”, nennt sie Jürgen Schwab, Musiker und Autor des Buches “Der Frankfurt Sound”. Der Stadtteil Preungesheim, genauer die Ernst-May-Siedlung, in der Emil und sein jüngerer Bruder Albert (1928 bis 2005) aufwuchsen, wird als Ursprungsort genannt. Dort hörte Emil im Radio Jazzmusik und spielte sie auf dem Akkordeon nach. Er marschierte manchmal über die Gartenwege der May-Siedlung mit seinem Akkordeon, begleitet von einer Kinder- und Jugendschar. 1939 wurde der Musiker Karl Petri auf ihn aufmerksam. Die Beiden gründeten eine Band, die am Wochenende im Frankfurter Hof von Alt-Praunheim jammte. Ihre Bezahlung: Essen und Getränke. Sie boten Jazz, aber auch verjazzte Schlager, zu denen getanzt wurde. Dann zogen die Beiden nach einem generellen Tanzverbot in die innerstädtische Rokoko-Diele. Andere Musiker kamen hinzu. Bald hiess es in der Bevölkerung: “Wir gehen zu Emil”. Dieses mit rotem Plüsch und Spiegeln ausgeschmückte Lokal wurde allerdings von der Gestapo beobachtet. Da diese Herren zunächst aber durch die vorgelagerte Schwarzwaldstube und die “bayerische Bierabteilung” gehen mussten, hinter denen die Rokoko-Diele lag, wurden sie frühzeitig gesichtet. Aus dem gerade gespielten Tiger Rag wurde dann die Tigerjagd im Taunus.

Carlo Bohländer, der so gehungert hatte, dass er aus der Wehrmacht entlassen wurde, kam 1941 zur Gruppe. Seine Kenntnisse der Musiktheorie kamen den jungen Jazz-Autodidakten zugute. Er motivierte Emil, zur Klarinette zu wechseln. Dann kam Bruder Albert dazu. Emil sprach damals Horst Lippmann (1927 bis 1997) an, der später mit Fritz Rau die weltberühmte Konzertagentur Lippmann und Rau gründete. In seinem Elternhaus konnten die jungen Jazzer in einem kleinen Hinterzimmer üben.

Emil war damals noch keine 18 Jahre alt, als er in der Rokoko-Diele auftrat. Eines Tages wurde er von Gestapomann Heinz Baldauf in die Gestapo-Zentrale zitiert. Dieser schickte ihn zuerst zum Friseur und das später immer wieder. Emil durfte weiter spielen, liess sich auch nicht provozieren, als er von ihm geohrfeigt wurde, weil er sich dem “Hitler-Gruss” verweigerte. Er besuchte sogar das Dr. Hoch’sche Konservatorium, weil er Berufsmusiker werden wollte.

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Plakat zur Ausstellung “Entartete Kunst” Frankfurt am Main 1939, Jazzinstitut Darmstadt, aus Jürgen Schwab “Der Frankfurt Sound”

Es dauerte nicht lange, da wurde Emil, der aus einem sozialdemokratischen Elternhaus stammte und bewusst gegen das NS-Regime opponierte, verhaftet. Die Mutter eines Freundes hatte ihn verpfiffen. Das war Ende März 1943. 20 Tage brachte er im Frankfurter Untersuchungsgefängnis in der Hammelgasse zu. Die Eltern wussten nicht, wo ihr Sohn war. Obwohl er bereits ein Engagement als Musiker hatte, wurde er kurze Zeit später zum Reichswehrdienst eingezogen, dann zur Wehrmacht abkommandiert und an die Ostfront geschickt mit einem Schreiben, das ihm “politische Unzuverlässigkeit” bescheinigte. Erst 1949 kehrte er aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Frankfurt zurück.

In seinen Gesprächskonzerten “swing tanzen verboten” redet Emil Mangelsdorff über diese Zeit. Sein Anliegen ist es, vor allem Jugendliche über die NS-Terrorherrschaft zu informieren.

Nach dem Krieg

Die Entwicklung des Jazz in Deutschland ist nur mit Emil Mangelsdorff und seinem Bruder Albert zu sehen. Alle Stilarten beherrschte der Ältere. Die Brüder und der Tenorsaxophonist Joki Freund bildeten 1952 die Bläsergruppe der Joe Klimm Combo, die damals mit ihrem coolen Jazz die modernste Jazzband in Deutschland war. Dann jammte Emil im Quintett von Jutta Hipp, später wieder mit dem Bruder zusammen bei der Gruppe Frankfurt All Stars, die 1958 im Jazzensemble des Hessischen Rundfunks aufging. Seit 52 Jahren ist Emil Mangelsdorff dabei mit Tenorsaxophon, Altsaxophon und Flöte. Das Team, zu dem heute auch noch Gründungsmitglied Joki Freund sowie Heinz Sauer, Christof Lauer, Günter Lenz, Ralf Hübner und andere gehören, erhielt 2009 den Hessischen Jazzpreis.

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Emil und Monique Mangelsdorff mit Janusz Stefanski nach einem Konzert im Frankfurter Holzhausenschlösschen 2008

Zeitweilig widmete sich Emil Mangelsdorff Produktionen von “Jazz & Lyrik”, auch vor nicht allzu langer Zeit zusammen mit seiner zweiten Frau Monique Mangelsdorff. Nach dem Tod seiner ersten Frau, der Sängerin Simone Mangelsdorff, hatte er sich über Jahre von der heiss geliebten Musik zurückgezogen. Auch jazzpädagogisch war Emil Mangelsdorff aktiv.

Bereits 1957 wurden die Frankfurt All Stars zum Jazzfestival ins polnische Zoppot geladen – als erste Deutsche in Sachen Kultur. Emil erinnert sich begeistert an die wunderbaren Kontakte der Künstler untereinander trotz des Kalten Krieges.

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Janusz Stefanski auf der Leinwand beim Festkonzert “Fritz Rau 80″

Wie begeistert er von den hervorragenden Musikern Polens ist, zeigt die Tasache, dass er in seinem Emil Mangelsdorff Quartet zwei polnische Miglieder hat: den Schlagzeuger Janusz Maria Stefanski, auch Träger des Hessischen Jazzpreises, und Vitold Rek, den Bassisten und Dozenten an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst.

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Emil Mangelsdorff und Vitold Rek auf der Leinwand beim Festkonzert “Fritz Rau 80″

Der Rheinländer Thilo Wagner ist der Pianist in diesem Quartett, ein Meister der Jazz-Improvisation, “die er wie nur wenige Pianisten in Europa beherrscht” (Jürgen Schwab).

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Emil Mangelsdorff Quartet beim Festkonzert “Fritz Rau 80″

Musikbeispiel „Blues Forever“
eine Komposition von Emil Mangelsdorff, aus der gleichnamigen CD

mit dem Emil Mangelsdorff Quartet (Special Guest Bert Boeren)
hier anklicken

– alle Rechte bei R+L Records bzw. Bellaphon records 

 

Auszeichnungen über Auszeichnungen

Frankfurt am Main verlieh dem engagierten Menschen und faszinierenden Musiker die Johanna-Kirchner-Medaille und die Goethe-Plakette, das Land Hessen die Wilhelm-Leuschner-Medaille und die Goethe Plakette des Landes, der Bundespräsident dekorierte ihn mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Emil Mangelsdorff  ist Träger des Hessischen Jazzpreises (1995). Er ist einer, der diese Auszeichnungen in jeder Weise verdient hat. Auf der Ronneburg wurde er schliesslich zum Ritter des Jazz geschlagen.

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Fritz Rau und Emil Mangelsdorff nach der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes im Hessischen Sozialministerium, Wiesbaden, am 15. September 2008

Erst vor kurzem stellte Emil Mangelsdorff wieder seine Vielseitigkeit unter Beweis. Für den Film des Frankfurter Regisseurs Malte Rauch “Blues March Soldat Jon Hendricks” komponierte er die Filmmusik.

Emil Mangelsdorff und seine Mannen spielen jeden ersten Montag im Monat mit einem Special Guest im Holzhausenschlösschen. Es ist immer brechend voll.

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Emil Mangelsdorff beim Festkonzert “Fritz Rau 80″

Happy Birthday, Emil!

s. a.  Dem Jazzmusiker Emil Mangelsdorff zum 87. Geburtstag

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