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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Das Wesen im Ding“ im Frankfurter Kunstverein (3): Egill Sæbjörnsson

“Das Wesen im Ding” im Frankfurter Kunstverein: Wieder einmal betreten wir einen verdunkelten Raum, dieses Mal ist es der grosse Ausstellungssaal im 2. Obergeschoss. Die Augen, soeben noch dem hellen Tageslicht verhaftet, gewöhnen sich nur langsam um. Schemenhaft werden einige Aufbauten sichtbar, deutlicher die Projektionen an den Wänden. Fünf Arbeiten des isländischen Künstlers Egill Sæbjörnsson sind es, die uns dort faszinieren.

Was ist das „Wesen“ im „Ding“?

Ein „Ding“: ein Objekt, eine Sache, ein Gegenstand? Das Bild, das wir uns von ihm machen, die Vorstellung, die wir von ihm haben? Wie stehen wir, als Subjekt, dem Ding, als Objekt, gegenüber? Immanuel Kant sprach von dem „Ding an sich“ als dem unabhängig vom Subjekt Seienden (Kant: „Es sind uns Dinge als ausser uns befindliche Gegenstände unserer Sinne gegeben, allein von dem, was sie an sich selbst sein mögen, wissen wir nichts, sondern kennen nur ihre Erscheinungen, d. i. die Vorstellungen, die sie in uns wirken, indem sie unsere Sinne affizieren“). Und das „Wesen“? Der Essentialismus unterstellt ein Wesen als wahre Natur, als Identität einer Sache, eines Dings also. Seit alters her bilden Vorstellungen von „Ding“ und „Wesen“ ein Tummelfeld der Philosophen. Heute erscheint, im Lichte quantenphysikalischer Erkenntnisse und Theorien, von Forschungen mit dem Large Hadron Collider LHC und deren mit Spannung wie auch Spekulationen erwarteten Ergebnissen, vieles von dem lediglich noch der historischen Betrachtung wert.

Wir verstehen die Ausstellung im Frankfurter Kunstverein als eine – exemplarische – Präsentation, wie sich Künstler heute mit Fragen nach einem Wesen im Ding auseinandersetzen. Nach einer – wiederum exemplarischen – Betrachtung der Arbeiten von Nina Canell und Florian Haas schliessen wir mit einer künstlerischen Position von Egill Sæbjörnsson.

Putzeimer, Besen und andere, der Reinigung dienende und damit durchaus banale Gegenstände entfalten in der Installation „Kugeln“ ein erstaunliches Eigenleben:

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Kugeln, 2008, Installation mit verschiedenen Objekten, Beamer, Ton, Masse variabel, Ausstellungsansicht, Courtesy Künstler, i8 Gallery Reykjavik und Grusenmeyer Art Gallery, Deurle; Fotos: FeuilletonFrankfurt

Die genannten Gegenstände werden zu einer Art Stillleben arrangiert und einer Videoprojektion aus Filmen und Animationen ausgesetzt, die sie überlagert. Auf der Projektionsfläche an der Wand vermischen sich diese Videoprojektionen mit den Schatten und Durchleuchtungen der angestrahlten, zum Teil transparenten Gegenstände zu einer filmischen Szenerie, in der die Elemente zu einer flächig wie räumlich erscheinenden Bilderwelt fusionieren. Mit der Projektion verändert sich zugleich die Szenerie der real arrangierten – wie ausgeführt teilweise transparenten – Gegenstände. Der Betrachter nimmt somit deren körperlich vorhandene, in ihrer Anschauung sich jedoch stets wandelnde Gegenständlichkeit vor deren projiziertem, wiederum mit der eigentlichen Projektion fusioniertem Abbild auf der Wand wahr.

In ähnlicher Weise verfährt der Künstler in seiner Arbeit „The Silent Maker“ mit einem Arrangement von gläsernen und damit hochtransparenten, dieses Mal auf einer sich drehenden Scheibe angeordneten Objekten. In der Durchleuchtung wiederum mittels einer spezifischen Videoprojektion erfahren die rotierenden Glaselemente eine eigentümliche Mutation. Auf der Projektionsfläche an der Wand verschmelzen sie mit dem Video zu einem kosmisch-elementar anmutenden Szenarium, das sich als ein Bildnis ihres Innenlebens lesen lässt, zu einem Ambulatorium nächtlich wandelnder Kometen und Gestirne, zu einem Tanz der Elementarteilchen. Eine Arbeit auch von ausserordentlicher, faszinierender Schönheit und Ästhetik.

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The Silent Maker (Glass Objects), 2009, Glasobjekte, bewegliche Scheibe, DVD, Beamer, Ton, Masse variabel, Ausstellungsansicht, Courtesy Künstler, i8 Gallery Reykjavik und Grusenmeyer Art Gallery, Deurle; Fotos: FeuilletonFrankfurt

In seinen Arrangements „Grey Still Life“ II und III baut Sæbjörnsson kleine Bühnen, die einem aufgeklappten Notebook ähneln. Er bestückt sie mit Gegenständen des Alltags – Bällen, Kaffeekannen und Trinkbechern, Schreibpapier, Bilderrahmen und Spielzeugfiguren, Aktenköfferchen, Schalen und Vasen. Auch diese Arrangements bestrahlt er mit Videoprojektionen. Da scheinen Lampen und Lupen die aufgebauten Dinge eingehender untersuchen und ergünden zu wollen. Sie überziehen sie mit grafischen Elementen wie mit Symbolen und Chiffren. Die Dinge auf den Bühnen verändern sich unter den Projektionen, sie erscheinen in neuen Zusammenhängen und wollen sich dem Betrachter auf neue Weise mitteilen.

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Grey Still Life II, 2009, verschiedene Objekte, Videoprojektion, Ton, Masse variabel, Ausstellungsansicht, Courtesy Künstler, i8 Gallery Reykjavik und Grusenmeyer Art Gallery, Deurle; Fotos: FeuilletonFrankfurt

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Grey Still Life III, 2009, verschiedene Objekte, Videoprojektion, Ton, Masse variabel, Ausstellungsansicht, Courtesy Künstler, i8 Gallery Reykjavik und Grusenmeyer Art Gallery, Deurle; Fotos: FeuilletonFrankfurt

Sæbjörnsson untermalt das Geschehen im grossen Ausstellungssaal mit gelegentlichen akustischen Elementen, Tönen, Klängen und Sprachfetzen.

„Brown Paper“ betitelt der Künstler eine grossformatige Videoprojektion, die uns in kosmische Welten führt. Aus einem Sternenhimmel fliegen an Meteoriten erinnernde Elemente auf den Betrachter zu, die jedoch alsbald auf rechteckigen Hintergründen – wir denken an Objekttische von Mikroskopen – fixiert werden. Um Untersuchen und Erkennen geht es auch hier. Zumindest um den entsprechenden Versuch.

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Brown Paper, 2010, Papierobjekte, Beamer, Ton, 255 x 455 cm, Courtesy Künstler, i8 Gallery Reykjavik und Grusenmeyer Art Gallery, Deurle; Fotos: FeuilletonFrankfurt

„Der Reiz von Sæbjörnssons Installationen besteht“, so der Frankfurter Kunstverein, „einerseits aus dem synästhetischen Zauber der zum Leben erweckten Stillleben und andererseits aus der Ruhe und Schlichtheit, die die verwendeten Gegenstände ausstrahlen“.

Egill Sæbjörnsson, 1973 in Reykjavik geboren, studierte in den Jahren 1993 bis 1997 am Icelandic College of Arts and Craft in Reykjavik sowie an der Université Paris 8 Vincennes-St. Denis. Der Künstler stellte bislang unter anderem in Gent, London, Reykjavik, Roskilde, Wien und Sydney, in Deutschland in Berlin und in Dresden-Hellerau aus. Sæbjörnsson lebt und arbeitet in Berlin.

(abgebildete Arbeiten © Egill Sæbjörnsson; Fotos: FeuilletonFrankfurt)

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