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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Frankfurter Kunstverein: „Bilder vom Künstler“ (1) – Andreas Wegner

Bilder vom Künstler?  Ja, von wem denn sonst sollen Bilder kommen, etwa vom Nichtkünstler, werden Sie fragen?

Es führt ein wenig aufs Glatteis, was es da zu sehen gibt im Frankfurter Kunstverein, aber schliesslich ist es ja Winter, und kalt und glatt kann es durchaus bald werden. Aber kommen wir zur Sache:

Die Ausstellung im Frankfurter Kunstverein kreist um ein hochinteressantes Thema, nämlich die gesellschaftlichen Rollenvorstellungen vom Künstler: der Künstler als Freigeist oder Sonderling, Genie oder Zweifler, Hofnarr oder Provokateur, Lehrer oder Vermittler, Unterhalter oder Popstar oder gar als seine Geschäftsmodelle betreibender Unternehmer? Wir erkennen: Die Vorstellungen darüber, was ein Künstler ist oder sein soll, spiegeln in vielem den Zustand, die Werte und Ansprüche einer jeweiligen Gesellschaft wider. Der Künstler ist damit auch eine Projektionsfläche, kulturellen Milieus und zeitgeistigen Strömungen unterworfen. Künstler werden mit Erwartungen konfrontiert. Oft genug erfüllen sie sie. Wäre es aber nicht ihre Aufgabe, sie zu enttäuschen?

Sieben künstlerische Positionen zu diesem Thema stellt derzeit der Frankfurter Kunstverein zur Diskussion – und vielleicht auch zur Disposition.  Schauen wir uns die eine oder andere an.

Heute geht es ins Kaufhaus. In das „Le Grand Magasin“ von Andreas Wegner. Wir können dort ganz real einkaufen. Wie bitte, im Frankfurter Kunstverein einkaufen? Aber ja! Schauen Sie auf das reichhaltige Angebot (zu handelsüblichen Preisen):

Der 1958 geborene Künstler lebt und arbeitet in Berlin. Anfang Oktober 2008 eröffnete er in der Galerie im Saalbau in der Berliner Karl-Marx-Strasse die Projekt-Ausstellung Le Grand Magasin, ein temporäres Kaufhaus, in dem exklusiv Waren von europäischen Produktivgenossenschaften – Betrieben also, in denen die Mitarbeiter zugleich Beschäftigte wie auch Eigentümer sind – ausgestellt und verkauft werden. Ein weiteres folgte in der Hermannstrasse im Berliner Bezirk Neukölln. In Frankfurt am Main installierte Wegner jetzt eine Art Dependance. Es gibt dort eine gewöhnungsbedürftige Zusammenstellung von Gegenständen, zum Beispiel Bekleidung und Haushaltsgeräte, Kosmetika und Spielzeug, Gartengeräte und Schreibartikel.

Die Idee eines genossenschaftlichen „Grand Magasin“ geht auf den französischen frühsozialistischen Gesellschaftstheoretiker und Utopisten Charles Fourier (1772 bis 1837) zurück. 1944 schmolzen die Nationalsozialisten während der Besetzung Frankreichs seine Statue auf dem Pariser Place de Clichy ein. Eine – einem recht altersschwach erscheinenden – Fourier nachgebildete lebensgrosse Puppe beobachtet im Frankfurter Künstlerclub das Marktgeschen am kreisrunden Kaufhaus.

Andreas Wegner zählt zu denjenigen Künstlern, die gesellschaftliche Handlungsfelder in ihre künstlerische Produktion einschliessen oder sogar unmittelbar zum Material dieser Produktion machen. Wir erwarten von einem Kaufhaus, dass dort Kunst, etwa in Gestalt von Design oder Architektur, allenfalls in den Dienst der Ökonomie gestellt wird. Wegner macht in seinem Kunstprojekt umgekehrt das Kaufhaus für seine künstlerischen Zwecke nutzbar. „Es geht darum“, schreibt Wegner, „sich in einem umgekehrten Akt das Kaufhaus anzueignen“. Der Künstler tritt im „Grand Magasin“ als solcher oder in seiner Urheberschaft nicht hervor und stellt damit eine ihm seitens der Gesellschaft zugeschriebene Eigenschaft zur Disposition. Der Betrachter ist verunsichert, ob er einem Kaufladen oder einem Kunstwerk gegenübersteht.

Das Projekt „Le Grand Magasin“ in seiner genossenschaftlichen, solidarwirtschaftlichen Erscheinung entfaltet seine besondere Aktualität und seinen besonderen Reiz (ganz im Sinne von Reizung!) in „Zeiten wie diesen“ des realen Niedergangs der einst prosperierenden Warenhaus“kultur“ an den Beispielen der Schieflagen und Zusammenbrüche von Karstadt, Woolworth und Quelle.

Durch das Fenster hinaus geht der Blick auf den Frankfurter Weihnachtsmarkt. Nach Ihrem vorweihnachtlichen Einkauf von Geschenken und Artikeln des Eigenbedarfs im „Grand Magasin“ (der Frankfurter Kunstverein füllt die Lagerbestände des Standregals regelmässig auf) können Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, anschliessend Bratwürsten, Lebkuchen und Glühwein zuwenden.

 

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