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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die geheime Welt des Holzbildhauers Walter Moroder

Die geheime Welt des Holzbildhauers Walter Moroder

Text und Fotografien: Renate Feyerbacher

Bildnachweis: © Walter Moroder

Das Sinclair-Haus in Bad Homburg widmete Anfang dieses Jahres dem Südtiroler Holzkünstler die erste Museumsausstellung, die auch im Käthe Kollwitz-Museum in Berlin zu sehen war. Moroders Figuren wurden Alberto Giacomettis Papierarbeiten gegenüber gestellt, um deren Bedeutung im Werk Moroders zu zeigen.

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Die Dunkle 2008, Acryl, Bologneser Kreide, Glasaugen, Zirbelkiefer, 175 cm

Erste Begegnung mit Walter Moroders bemalten Holzfiguren in den kühlen Räumen des Sinclair-Hauses: Die Skulpturen stehen vereinzelt, wirken von weitem abweisend, statisch. Der Gedanke an ägyptische, vergoldete Holzfiguren wie die Göttin „Selket“, die „Könige auf dem Panther“ oder die „Ushebti Figuren“ aus der Zeit des Tutanchamun kommt auf. Jedoch mit Ägypten haben Moroders Wesen nichts zu tun, eher mit indonesischen Toten-Figuren.

Beim langsamen Sich-Nähern gewinnen die Skulpturen an Faszination, an Lebendigkeit, an Wärme. Sie verlieren ihre Sprödigkeit. Dennoch bleibt der erste Eindruck. Widersprüchlich erscheinen sie. Fremd und doch nah, spröde und doch liebreizend, abweisend, geradezu autistisch; „Rühr mich nicht an“, scheinen sie den Betrachter anzuflehen, und sind doch zugänglich.

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Weisse Striche, 2008, Acryl, Erle, Mooreiche, Zirbelkiefer, 172 cm

Etwa 100 Holzfiguren, zwischen 167 und 183 cm gross, hat Walter Moroder, der 1963 in St.Ulrich im Grödnertal geboren wurde, mittlerweile geschaffen. Sie haben also menschliche Grösse. Der Besucher schaut ihnen direkt in die Augen, oftmals Glasaugen, die viele Skulpturen haben. Sie vermitteln das Gefühl, direkt angeschaut zu werden: Sie faszinieren und irritieren.

Den Bildhauer interessiert der menschliche Körper, aber nicht in anatomischer, sondern in psychologischer Bedeutung. Er sieht seine Figuren als Vasen, bei denen es darauf ankomme, was in diese hinein gegossen wird.

Männer-, Kinder- und Frauenfiguren sind seine Motive. Sein Hauptmotiv ist jedoch die Frau. Es geht ihm nicht darum, ein Urbild der Frau zu kreieren, sondern Gefühlswelten umzusetzen: Innen und Aussen, Nähe und Ferne. Seine Werke tragen die Titel: „Eingeschlossen“, „Inneres“, „Berührung“, „Gefühle“, „Spiegelbild“, „Tränen der Zeit“.

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Gefühle, 2003, Acryl, Glasaugen, Zirbelkiefer, 174 cm

Auf den ersten Blick scheint sich der Typus Frau zu wiederholen und nur durch die Bemalung zu unterscheiden. Erst bei intensivem Hinschauen wird die Variantenvielfalt offensichtlich. Jedes Gesicht ist anders: Jeder Mund hat einen anderen Ausdruck, keine Nase gleicht der andern. Die Augen: mal sind sie schläfrig, mal erscheinen sie wie Knöpfe, mal wie Schlitze, mal sind sie gesenkt, mal schauen sie herausfordernd an, mal wirken sie unsicher.

Die Körperhaltung ist statisch, dennoch variieren Arme, Beine und Füsse. Diese Frauen sind geheimnisvoll verschlossen, archaisch und doch modern. Sie strahlen Würde aus, wirken aber verletzlich. In ihrer Einfachheit sind sie von grosser Ästhetik.

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Tränen der Zeit, 2005, Acryl, Glasaugen, Zirbelkiefer, 176 cm

Schaffen und Zerstören

Zunächst setzt Walter Moroder die Idee zu einer Figur in einem Plastilinmodell um. Die Figur, die er realisieren will, holt er nicht aus einem massiven Stamm, sondern aus einem Block, der aus mehreren verleimten Holzbrettern entstand. Das Risiko der späteren Risse ist dadurch minimiert. Zunächst wird mit der Säge gearbeitet, dann mit feinen Werkzeugen. „Es ist ein Prozess der Erkenntnis, des Berührtseins und der Zerstörung, der das Werk vorantreibt“ (Zitat Katalog). Schaffen und Zerstören wechseln sich ab.

Die heimatliche Zirbelkiefer, jenes Holz, das in 1800 Metern Höhe auf den Bergen des Grödnertals wächst, wird vom Bildhauer bevorzugt. Es zeigt mehr als andere Hölzer Wachstumsspuren. „Er kann über dieses Material sprechen wie andere über die Liebe,“ schreibt der Schriftsteller Arnold Stadler, der den Bildhauer in seinem Atelier besuchte (Beitrag „Grazie“ im Ausstellungskatalog).

Vom verstorbenen Vater, einem Holzschnitzer, hat er viel Zirbelholz geerbt. Gelegentlich arbeitet Moroder mit Kastanie („Die Hockende“), mit Erle, Linde und Mooreiche. Manchmal sind die Spuren der Holzbearbeitung deutlich erkennbar.

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Die Dunkle, 2008, Acryl, Bologneser Kreide, Glasaugen, Zirbelkiefer, 175 cm

Die Skulpturen sind bemalt. Die weiblichen Figuren zieren eng anliegende Kleider, die den Körper betonen – sie verhüllen und offenbaren. Der Kulturjournalist Hans-Peter Riese, der Moroder in seinem Atelier beobachtete, erzählt, dass der Künstler die Bemalung gelegentlich auch verändert, wenn er das Gefühl habe, sie passe doch nicht zur Figur. Dann kratzt er die Farbe ab, schmirgelt die Oberfläche und bemalt die Figur neu.

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Schwangere, 2007, Acryl, Zirbelkiefer, 169 cm

Mit der Figur „Familie“, die eine Schwangere darstellt, beteiligte sich der junge Moroder vor über zwei Jahrzehnten an einem Wettbewerb der Stadt St.Ulrich (Gröden/Italien), wo er von 1977 bis 1980 die Staatliche Kunstlehranstalt besuchte. Er gewinnt den Wettbewerb. Der Vater, David Moroder, selbst Holzschnitzer, dem naturalistischen Stil verpflichtet, hatte sich ebenso daran beteiligt. Sein Kommentar zum Gewinn des Sohnes: „Die verstehen auch nichts von Kunst“ – kein Lob für den Sohn, der dennoch drei Jahre im Atelier des Vaters arbeitet. Dann entschliesst er sich zu einem Studienaufenthalt in den USA und studiert anschließend fünf Jahre an der Akademie der Bildenden Künste in München. 1988 kehrt der 25jährige ins Grödnertal zurück, obwohl das Verhältnis zwischen Vater und Sohn angespannt zu sein scheint. Walter Moroder übernimmt eine Lehrtätigkeit an der Landesberufsschule für Bildhauer in Wolkenstein. Seit acht Jahren lebt und arbeitet er als freier Künstler in seinem Geburtsort St. Ulrich, wo er von einer Holzschnitzer-Industrie umgeben ist. Hans-Peter Riese, der sich mit dem Werk des Holzbildhauers intensiv auseinandergesetzt hat, sieht darin keine „billige Bodenständigkeit“, sondern vielmehr „das bewusste Annehmen eines Schicksals, in das man nun einmal hineingeworfen ist.“

Das Handwerk, das er beim Vater gelernt hat, beherrscht Walter Moroder unnachahmlich. Vom Stil des Vaters hat er sich ganz gelöst. Aber seine Holzskulpturen bleiben eng verbunden mit seiner Biografie. Er selbst sagt: „Manchmal habe ich das Gefühl, mich hinter meinen Figuren zu verstecken.“

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Die Hockende, 2007, Acryl, Kreide, Kastanie

Pointilismus nicht mit dem Pinsel, sondern mit dem Werkzeug des Bildhauers, wird in neueren Reliefs demonstriert. Gelungene handwerkliche Experimente. Moroder, der früher abstrakte Kunstwerke schuf, kann sich vorstellen, eines Tages wieder abstrakt zu arbeiten.

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Ohne Titel, 2007, Acryl, Leim, Erle, 102 x 75 cm

Inspiration und Herausforderung fand und findet Moroder, der Holzbildhauer, durch die Papierarbeiten Alberto Giacomettis (nicht durch dessen Skulpturen). Er reagiert auf sie in eigener Formensprache. Nicht nur dieKunst verbindet die beiden. Sondern auch ihre Herkunft. Beide Künstler sind Ladiner (rätoromanische Volksgruppe im Alpengebiet), der eine Schweizer Ladiner, der andere italienischer.

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Spiegelbild, 2004, Acryl, Glasaugen, Zirbelkiefer, 133 cm

In- und ausländische Galerien wie Appel in Frankfurt und Kunstmessen (Art Frankfurt) waren seine bisherigen Ausstellungsstätten. Nun haben die ersten Museumspräsentationen in Bad Homburg und Berlin die Aufmerksamkeit auf diesen bedeutenden Künstler fokussiert. Der ausgefallene Katalog „Geheime Welt – Walter Moroder – Alberto Giacometti“ (Wienand Verlag Köln, 2008) mit Texten von Astrid Becker, Kuratorin der Ausstellung, Hans-Peter Riese und Arnold Stadler, Schriftsteller und Büchnerpreisträger 1999, unterstreicht die zunehmende Bedeutung dieses Bildhauers.

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Geheime Welt, 2005, Acryl, Zirbelkiefer, 170 cm; Vibration, 2003, Acryl, Glasaugen, Zirbelkiefer, 176 cm; Unschuld, 2004, Acryl, Glasaugen, Zirbelkiefer, 173 cm

„Das sind keine Weiber, sondern Erscheinungen … Am Ende stehen wir vor dieser Hoheit und könnten uns verneigen und tun wir auch, denn wir sind ja keine Kritiker, die im Indikativ Urteile formulieren,“ schreibt Stadler.


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