home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Urlaubsbrief aus der Türkei / 3

titel-neu2


Erzählung

© von Robert Straßheim

(Erstes  Kapitel)

(Zweites Kapitel)

Drittes Kapitel

Nächster Morgen

Habe Zara gefragt, ob mein Nachtrag über Istanbul sie zufriedenstellt?

Sie hat alles noch mal gelesen und empört sich erneut: Wie ich schreiben konnte, dass in Istanbul alles an einem Tag zu erledigen wäre! Ich hätte keine Ahnung, was wir da alles noch hätten sehen können: Die vielen Gemäldegalerien, oder die Gecekondu – die Vororte, die Slums, in denen es gefährlich wäre für Touristen, aber sie hätte sich von Bekannten einladen lassen können, damit hätten wir sozusagen sichere Passage bekommen. Aber ich hätte das nicht gewollt!

Du hast mich nicht eingeladen! Ich wäre gerne mitgekommen“, streite ich. Soziale Studien gehören ja zu meinen Interessensgebieten! Und Gemälde, richtige Gemälde? Warum hat sie das nicht früher vorgeschlagen? – Weil ich schon ihr die Kapale carsi abgeschmettert hatte.

Damit bezieht sie sich auf einen ganz unerquicklichen Tag in Istanbul: Strapaziöse Bummel durch Bazare und überlaufene Verkaufsstraßen, und als ich am Ende war, schleppte mich Zara in einen Bahnhof, warum? Zara wollte vom Touristenbüro einen Stadtplan geschenkt haben, so stritt sie sich mit einem Beamten herum, der nichts herausrücken wollte, weil Zara Türkin ist: Die kostenlosen Pläne seien nur für Touristen, so viele hätte er nicht, dass er sie auch noch an Türken ausgeben könne, denn die Türken würden sie dann an Touristen weiterverkaufen, was verboten sei. Aber Zara zerrte mich, der ich abseits stand, zum Schalter hin, wo ich kein Wort sagte, sondern nur deutsch aussah und ausharrte, bis die hitzige Auseinandersetzung damit endete, dass der Beamte mir eine Karte überreichte, allerdings auf Französisch.

Und wozu brauchten wir den Stadtplan? Zara suchte dort nach dem Kapali carsi, einem Bazar-Großmarkt, jauchzte, als sie ihn fand, und wollte nun aus der Karte Wirklichkeit werden lassen! Ich aber hatte das Gedrängel gründlich satt und ließ mich in einem Straßencafé nieder, wo ich Ayran bestellte, das einzige genießbare Getränk. Zara zeterte, sie könne nicht allein zur Kapali carsi gehen, denn Ibo, unser Gastgeber, hatte sie gewarnt: Nicht einmal seine Freundin würde sich dort ohne eine männliche Begleitung hintrauen, die Räuber seien zu dreist. Zara forderte, ich müsse mitzukommen, ich verweigerte, dann bat sie mich sogar, aber ich saß fest. Nein, ich bin kein türkischer Mann; nein, der Ayran schmeckt mir auch nicht; nein, ich habe keine Ehre; ja, ich lasse sie in türkische Messer laufen. Ist doch ihre Verantwortung, wenn sie gehen will.

Folglich blieb Zara bei mir und dem schleimigen Ayran sitzen.

Und jetzt gibt sie mir die Schuld, dass sie diesen „Höhepunkt“ versäumt hat. Dabei gibt es trotz der unzähligen Läden und Verkaufsstände nirgends viel Auswahl. Ich habe versucht, eine Aktentasche zu finden, ein ähnliches Modell wie meine alte. Wir durchstreiften das spezielle Stadtviertel, in dem sich die Koffer- und Taschen-Fachgeschäfte aneinander reihen, fragten in mindestens zwölf Läden nach, die Farbe war mir egal, aber das half nichts, alle Händler sind auf dasselbe Sortiment beschränkt, alle Taschen waren ungeeignet. All die Anstrengung, all das eingeatmete Gift – vergebens.

dscn2657-430

Zara meint, ich hätte noch mehr über Istanbul schreiben sollen; ich bitte sie, dir das selber mitzuteilen, warum schreibt sie keine Briefe, oder wenigstens eine Karte – aber sie faucht mich nur an. Du siehst: Eine feurige mündliche Kultur ist das hier, die das Papier versengt.

taksim-istanbul-430

Das einzige, was mir einfällt, dass ich es im Brief übergangen habe, ist der erste Tag in Istanbul. Um halb sechs stiegen wir aus dem Bus um in ein Taxi, das uns zu Ibos Wohnung brachte – Ibo, ein Freund von Zila, hat uns in seiner Wohnung in Istanbul aufgenommen. Der arme Kerl wartete schon seit fünf Uhr auf uns, empfing uns auf der Straße, trug die Koffer hinein, wir saßen auf dem alten Sofa, ich frühstückte meine letzten gelben Alnatura- Pflaumen, die beiden redeten, bis Ibo nach sieben Uhr endlich aufstand, da er zum Arbeiten in der Apotheke musste, die seiner Schwester gehört.

Zara hat gefordert, alles über Ibo zu schreiben, zum Beispiel warum er, ein keineswegs reicher Student, eine Zweizimmerwohnung allein bewohnt? – Also, gerne decke ich dir die Ursache auf, nämlich eine landestypische Lüge: Offiziell wohnt er mit seiner Schwester zusammen, die auch die Miete bezahlt. Und wo ist die Schwester? Sie lebt bei ihrem Freund, was aber niemand wissen darf, da sie unverheiratet sind. Dieser Moral verdankt Ibo den Luxus einer großen Wohnung, und wir profitierten, indem wir ein Zimmer für uns allein bekamen, mit einem bequemen Schlafsofa. Ibo braucht sowieso nur ein Zimmer, er guckt bis in die Nacht fern, zockt Videospiele, da er keinen PC hat, liest nicht (!), und auch stört es ihn nicht, in dem verrauchten Zimmer zu schlafen. Seine Marke ist Marlboro, was als snobistisch gilt, da doppelt so teuer wie normale türkische Zigaretten; dafür arbeitet er in den Semesterferien, obwohl er Englisch lernen müsste, für sein Studienfach: Internationale Beziehungen. Seine Uni ist elitär und teuer, aber weil er bei der Aufnahmeprüfung zu den Besten zählte, bekam er ein Stipendium. Eitel ist er und gibt es auch zu: Markenklamotten, lange Zeiten im Bad, neurotische Züge: Unterwegs kackte ihm eine Taube auf seinen Kopf – Ibo stürzte sofort in ein öffentliches WC, wir warteten, fragten uns, warum er nicht wiederkam – er war noch beim Frisör, um sein Haar wieder aufrichten zu lassen. Zugleich klagt er über Schulden. Ich bat Zara, ihm zum Abschied 50 Euro zu schenken. Höflich und stolz lehnte er ab, und rechnete damit, dass wir das Geld einfach in der Wohnung hinterlegen würden. Nachher am Telefon fragte er, ob wir Geld dagelassen hätten – Zara hat es aber nicht getan. Recht hat sie: Soll er doch lernen, aufrichtig zu sein!

Was hat mir Zara noch aufgetragen? Ich soll mich dafür geißeln, dass ich auf der Schifffahrt zur Büyük Ada, der Insel vor Istanbul, es vorzog, zu lesen, während Zara sich nicht sattsehen wollte an dieser monoton-kargen Küste, immer wieder forderte sie mich auf, mit ihr zu schauen, ich schaute ja auch auf: immer das Gleiche. Im übrigen konnte man auf diesem Linienschiff nichts genießen, da total überfüllt, zweitausend Menschen drängten sich auf beiden Decks, auf den Fluren, selbst auf den Treppen des Kahns – was soll ich da positiv berichten? Doch nur, dass ich mich auf den Boden setzte und froh war, wenn diese hyperaktiven Leute, die sich an mir vorbei zwängten, mir nicht das Buch vom Schoß rempelten, was oft genug geschah.

Ach ja, etwas wirklich Positives fällt mir noch ein: Der erste Tag in Istanbul wendete sich zum Guten, nachdem Ibo uns in der Wohnung allein gelassen hatte. Wir versanken im Bett, liebten uns ausgiebig und ungeniert und schliefen bis zum Abend, gingen einkaufen, kochten Patliçan, liebten uns, frühstückten auf dem abgenutzten, staubdunklen Teppich in der Küche, schlugen mit Steinen die Aprikosenkerne auf; Früchte und Kerne und die Liebe schmeckten so, als ob die Verheißung sich erfüllen würde, mit der Istanbul uns in der Frühe empfangen hatte. Soll ich mich trauen, zu schreiben, dass das der schönste Tag dieses Urlaubs gewesen ist? Wären wir doch nur in der Wohnung und in diesem Bergviertel geblieben, mit Büchern, Aprikosen, Patates, Patliçan und der Liebe! Ob Zara mich dafür kritisieren wird? Dass ich unsere Liebe preise?!

Nächster Tag

Wieder ist es Morgen, Zila hat die Frou-Frou-CD auf Repeat gestellt, und diese Musik hält mich weich, weich geworden bin ich von Zaras Liebe, und weich ist hier der leichte Morgenwind auf dem Balkon. Heute Morgen habe ich eine Lobrede auf Zelal gehalten, weil sie das Chaos in der Wohnung aushält. Abgelegte Kleider häufen sich in allen Ecken, der dunkle Teppichboden sprenkelt sich zunehmend, das Zimmer, in dem Zara und ich schlafen, ist wie ein großer Schrank, dem die Böden fehlen, und niemand räumt auf, niemand putzt.  Das freue sie, wenn ihre Gäste sich wohl fühlen, antwortete unsere Abla, aber das könne nicht so dreckig bleiben. Sie sei noch müde von der Reise. Aber morgen werde aufgeräumt. Nun denn, so genießen wir den Tag! Gleich gehen wir zum Strand, wo ich mich dank Ablas Kissen in die Steine schmiegen werde.

dscn2557-430

Nachmittag

Von wegen schmiegen.Schießen ist eher dran! Unser Strand ist vom Militär besetzt worden: Sondereinsatz zur Rettung der Türkei! Ein schwerer Artillerielaster, mit Rohren beladen, und eine technische Abteilung hat sich vor dem Promenaden-Steg postiert. Dort wird eine Fahne aufgerichtet. Welch ein Lärm! Wir versuchten auszuweichen, aber das Dröhnen des Stromgenerators, das Kreischen der Kreissägen nerven kilometerweit. Außerdem belästigen uns regelmäßig die Annoncen der Stadtverwaltung. Heute sind sie wohl besonders stolz, also gibt’s lange Durchsagen über die Lautsprecher, die bevorzugt den Strand vollplärren. Eine monotone Frauenstimme liest minutenlange Litaneien herunter, macht eine halbe Minute Pause, setzt neu an, zehn Minuten lang. Heute dreimal, viermal. Was hat sie zu sagen, nichts als Tratsch: Wer zu Gast in dieser Gemeinde ist (jeden Tag wird gemeldet, wer angekommen ist), der Wetterbericht, und die neue Nationalflagge! Wie soll man lesen mit dieser Stimme!

neu-gehisste-nationalflagge

(Fotos: © Robert Straßheim)

(Viertes Kapitel)


Comments are closed.