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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Bhutan – ein noch ziemlich unbekanntes Land (Folge 2)

Unterwegs in Bhutan

Text und Fotografien: © Ingrid Malhotra
(ein Foto von Marion Toelle)

Heute ist der zweite Tag in Bhutan (siehe Folge 1). Das Abenteuer beginnt.

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Aber zunächst wird Thimphu, die gewaltige Hauptstadt mit knapp 70.000 Einwohnern, gründlicher angeschaut. Der Tempel mit den grössten Gebetsmühlen, die man sich vorstellen kann, und ich erfahre, dass es sehr wichtig ist, nur linksherum um den Tempel zu gehen. Dann ein Blick auf den Königspalast, der sehr bescheiden wirkt.

Briefmarkenkauf, die öffentliche Bücherei ist geschlossen;

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eine klassische Baustelle, die Baustelle des neuen Luxushotels, des künftig einzigen in Bhutan;

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ein Gang über den Fluss, die freitragende Brücke ist wunderschön,

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und unter dem Schutz des Brückendachs spielen zwei Frauen mit Würfeln. Eine will nicht fotografiert werden, aber die andere ist umso lieber dazu bereit.

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Auf der anderen Seite des Flusses findet gerade der Wochenmarkt statt, und es ist ein richtiger Wochenmarkt, auf dem Waren angeboten werden,

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welche die Einheimischen brauchen können – nur ganz wenig Touristenkram.

Den Dzong lassen wir aus, den soll ich zum Ende der Reise noch gründlich kennenlernen.

Aber zum Goldschmied muss ich kurz hineinsehen. Ich habe da etwas gesehen, und ja, das ist traditioneller bhutanesischer Schmuck, ein Ring, wie ihn Männer und Frauen hier tragen: aus getriebenem Gold mit einem tropfenförmigen Türkis. Da lasse ich mir doch gleich einen machen.

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Dann geht es weiter ins Land hinein – es gibt wirklich nur eine Strasse, die von Westen nach Osten das Land durchquert – die Reiseroute ist sehr einfach nachzuvollziehen. Und das trotz der Angst, die einen gelegentlich etwas lähmte, denn diese einzige Strasse ist sehr, sehr schmal, sie verläuft in grosser Höhe an steilen Hängen entlang, und sie ist sehr befahren.

Es ist wahr, Bhutan ist noch sehr mittelalterlich, aber es ist ein Mittelalter mit Autos und Handies – es scheint, als ob jeder ein Auto hat, ob er nun an einer Strasse wohnt oder nicht, und Handies sind auch weit verbreitet und eifrig in Gebrauch. Die Netzabdeckung scheint recht gut zu sein, wenn man so mit dem Taunus vergleicht …

Und ausserdem stelle ich fest, dass Bhutan den falschen Namen trägt! Es heisst „Land des Donnerdrachens“, und der Drachen ist auch das Wappentier und wird liebevoll auf jede Fahne gestickt.

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Aber es sollte „Land der Wasserfälle“ heissen. Überall fällt Wasser, lang, kurz, schmal, breit – wo man auch hinschaut, Wasserfälle. Und ich liebe Wasserfälle sehr. Und treibe meinen Fahrer in den Wahnsinn, weil ich hinter jeder zweiten Kurve „stop“ schreie und aus dem noch halb fahrenden Auto springe, um ein Foto zu machen. Man kann dort eigentlich nirgends anhalten, weil die Strasse so eng ist und weil es fast immer auf der einen Seite sehr steil nach oben und auf der anderen Seite ebenso steil nach unten geht. Aber was bleibt mir anderes übrig bei so vielen Wasserfällen, und einer ist schöner als der andere …

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Ein paar Stunden, nachdem wir Thimphu verlassen haben, fahren wir über einen Pass, der mit vielen kleinen Tempeln und noch mehr Gebetsfahnen geschmückt ist. Man soll hier eine grossartige Aussicht haben. Aber natürlich sehe ich nur Wolken. Andere sahen mehr …

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Allmählich verstehe ich auch, warum sechs bis sieben Tage veranschlagt wurden, um von Thimphu im Westen nach Trashigang im Osten zu fahren – eine Gesamtstrecke von ca. 530 km: diese Strassen! Und es ist so viel zu sehen. Immer wieder müssen wir unterwegs anhalten. Mal wegen eines Wasserfalls, mal wegen eines herrlichen Ausblicks in eine der waldigen Wildwasserschluchten, mal, um Frauen beim Weben ihrer unglaublichen Stoffe zuzuschauen. Das Muster wird so eingewebt, dass es wie gestickt wirkt. Wirklich unglaublich schön, aber leider auch unglaublich teuer.

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Schliesslich kommen wir nach Punakha. Zunächst geht es ins Hotel, das wunderschön liegt, aber mich unterzubringen, verursacht ein mittleres Chaos, weil die Zimmerreservierung nicht angekommen sei und weil die doch eher unerfahrenen Mitarbeiterinnen der festen Überzeugung sind, dass man einer Alleinreisenden kein Doppelzimmer zumuten kann – und die Einzelzimmer waren alle nicht in Ordnung. Es kostete einiges an Überzeugungsarbeit, bis sie verstanden, dass ich gerne das Opfer bringe und bereit bin, ein grösseres Zimmer mit besserer Aussicht zu nehmen. Was tut man nicht alles …

Dann fahren wir schnell an den Fluss, um einen atemberaubenden Blick auf den Dzong zu geniessen.

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Hier sollte ich vielleicht erklären, was ein Dzong ist: Es handelt sich um eine befestigte Anlage, die zum Teil als Kloster und zum Teil als Verwaltungssitz eines der 20 Distrikte von Bhutan, eines so genannten Dzongkhar, dient. Ausserdem sind – oder waren – die Dzongs Zufluchtsorte für die Bevölkerung in Kriegszeiten.

Am nächsten Morgen geht es weiter nach Trongsa.

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Den riesigen Dzong sieht man schon von weitem, wie er auf einer steilen Klippe über einer tiefen Schlucht thront.

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Innen kann man deutlich den Verwaltungstrakt vom Klosterteil unterscheiden. Besonders gut erhalten sind der alte Wachtturm und herrliche alte Wandmalereien. Der Ort ist winzig, aber als ich in den einzigen richtigen Laden ging und fragte, ob es einen Taschenspiegel gebe, weil ich meinen verloren hatte, zeigte man mir voller Stolz eine Chanel-Puderdose. Irgendwie kam das unerwartet …

Das Hotel hier war bezaubernd, grosse gut eingerichtete Zimmer voller Atmosphäre, Balkons mit prächtiger Aussicht, eine Terrasse, auf der man sehr gemütlich zu Abend essen und einen erlebnisreichen Tag ausklingen lassen konnte. Herrlich. Hier könnte man öfter hinfahren, wenn es nur nicht so weit weg wäre.

Am nächsten Tag geht es auf den Weg nach Bumthang. Hier sind wir schon ziemlich in der Mitte des Landes. Bumthang liegt langgestreckt in einem weiten, sandigen Hochtal. Die Landschaft wird geprägt von der rötlichen Farbe des Buchweizens,

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von zahllosen Apfelbäumen und von einem kleinen Fluss, der sich durch das Tal schlängelt. Die Einheimischen bezeichnen Bumthang als eine Stadt, aber eigentlich ist es eine Vielzahl von kleinen Siedlungskernen, die sich über circa 80 km erstrecken. Im grössten dieser Kerne finde ich mein Hotel, und ich habe hier auch zum ersten Mal intensiveren Kontakt mit Einheimischen.

Es ist ja üblich bei Reisen in Entwicklungsländer, dass ein Programmpunkt der Besuch einer einheimischen Familie ist, damit man sehen kann, wie die Menschen dort leben. Üblicherweise sitzen dann die Touristen verlegen herum und wissen nicht, wohin mit ihren Händen, weil sie der Hygiene nicht trauen. Die Gastgeber sitzen auch mit verlegenem Grinsen herum, bieten etwas zu essen oder zu trinken an, und alle sind froh und erleichtert, wenn es vorbei ist.

In Bumthang war das ein wenig anders. Ich besuchte eine Bauernfamilie. Sie zeigten mir stolz ihr Haus. Das Leben spielte sich überwiegend im Wohnzimmer ab, wo man im Winter auch schläft, um Heizmaterial zu sparen – trotz der vielen Wälder sind die Bhutanesen erfreulich besorgt um ihr Holz. Im Sommer schlief man in kleinen Schlafkammern mit Nischenbetten. Und dann gab es noch ein besonderes Zimmer mit einem Altar und einem extra bequemen Bett – dort sollte der Lama schlafen, wenn er denn einmal zu Besuch kommen sollte. Die Unterhaltung war lebhaft, die Kinder spielten ganz unbekümmert und freuten sich, wenn ich sie fotografierte.

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Es gab selbstgebrauten Schnaps, von dem ich allerdings nicht ganz so viel schaffte, wie man von mir erwartete.

Aber das Interesse an unserer Art zu leben war gross; sie kennen es ja nur aus einem gelegentlichen Fernsehfilm und wollen schon gerne wissen, ob wir wirklich so leben. Und ich konnte mal wieder meine übliche Frage loswerden: „Sind Sie wirklich glücklich? So, wie es der König angeordnet hat?“ Aber auch hier beharrten alle darauf, dass sie wirklich glücklich seien, so wie der König das wolle.

In einem Tempel übten Mönche für die Maskentänze – sehr befremdend mit ihren Roben und alten Säcken statt ritueller Gegenstände. Aber lustig, und auf jeden Fall hat es neugierig gemacht auf die echten Tänze später.

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In einem anderen Tempel gab es prächtige Tangkas und Wandmalereien – und keinen einzigen Touristen! Die Gebäude waren um einen grossen Platz aufgereiht – auf einer Seite die Tempel, auf der anderen Seite die Unterkunft für die Mönche. Hunde dösten und spielten wie überall, wo Menschen sie füttern – die Regierung sterilisiert sie, aber die braven Buddhisten in Bhutan lassen selten einen Hund hungern.

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Eine alte Frau entfernte Unkraut aus den Ritzen des Tempelvorplatzes – das war ihr Job, davon lebte sie und war tatsächlich glücklich dabei. Wir unterhielten uns lange, und es stellte sich heraus, dass wir fast gleichaltrig waren. Erklärungen fielen uns beiden sehr schwer …

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Aber sie hatte so ihre Theorien darüber, wie Frauen in modernen Ländern leben und warum sie langsamer altern.

Beim Abendessen kam dann noch eine grosse Überraschung: Angekündigt waren Kartoffelpfannkuchen mit Ingwerkarotten. Das waren Reibekuchen genau wie zuhause! Und die Ingwerkarotten passten so gut dazu, dass ich mir gleich das Rezept geben liess …

Ich fand es schon ganz schade, Bumthang zu verlassen – aber wir sind ja noch ein paar Stunden hindurch gefahren.

Die nächste Station war Mongar – hier besuchte ich eine Schule und war zutiefst beeindruckt von Disziplin und Lerneifer der Kinder. Sie hatten gerade Englischunterricht – Englisch ist Pflichtfach, da man den Kindern die Möglichkeit geben will, in der ganzen Welt zu lernen und zu studieren, wenn sie die Schulausbildung in Bhutan abgeschlossen haben. Aber später erklärte man mir hinter vorgehaltener Hand, dass diese ach so disziplinierten Kinder alles nachholen, was sie hier nicht dürfen, wenn sie später tatsächlich im Ausland weiter lernen. Nun, das sei ihnen gegönnt – sie waren wirklich viel zu brav!

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Hier in Mongar war es auch, dass ein gewaltiges BMW-Motorrad, liebevoll geputzt, gepflegt und dekoriert, nicht weit vom Fussballplatz stand – das kam irgendwie unerwartet. Noch unerwarteter kam das, was ich über die Liebe der Bhutanesen zum Fussball erfuhr. Das ist eine ganz besondere Beziehung. Sie kennen alle Mannschaften, sogar die Frankfurter Eintracht, und ganz Bhutan schwärmt immer noch vom Fussballspiel Bhutan gegen Montserrat im Jahre 2002.

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Von Mongar aus ging es weiter nach Trashigang. Das Wetter wurde besser, gelegentlich schien sogar die Sonne. Die Wasserfälle glänzten im Licht, die Landschaft wurde etwas weniger harsch. Und dann kam Trashigang, der östlichste Punkt, den man mit einem normalen PKW erreichen kann, wie man mir sagte. Ein wunderschönes Ortszentrum. Prächtige alte Häuser stehen im Kreis um einen Platz herum, in dessen Mitte sich eine Gebetsmühle befindet.

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Eines dieser Häuser war mein Hotel, und leider war hier, an diesem schönen Ort, zum ersten und einzigen Mal über mangelnde Hygiene zu klagen. Den Floh, den ich mir hier einfing, habe ich mitgenommen auf die Rückfahrt und bin ihn erst in Mongar wieder losgeworden. Ob man mir dort wohl dankbar war? Aber es soll ein weitgereister Floh gewesen sein – angeblich war er sogar schon in Bangkok …

Trotzdem habe ich wunderschöne Erinnerungen an Trashigang, denn abends gab es gutes Essen und nach einer kleinen Suchaktion eine Flasche überraschend guten Rotwein auf der Terrasse unter gewaltigen Engelstrompetenbüschen.

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Eine ganze Reihe der Einwohner von Trashigang versammelte sich, und wir haben bis spät in die Nacht sämtliche Probleme dieser Welt im Ganzen und Bhutans im Einzelnen gelöst. Fast alle sprachen Englisch, und es war enorm gemütlich. Hier habe ich auch nicht mehr widerstehen können und eine dieser teuren handgewebten Decken und einen handgewebten Gürtel gekauft – irgendwann wird man mürbe!

Am nächsten Tag wurde noch eine Kunstschule besichtigt, an der junge Menschen lernten, Tangkas und Tempelbilder, Schnitzereien und kunstvolle Webereien anzufertigen.

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Eine besondere Spezialität waren Schieferplatten mit vergoldeten Figuren darauf – leider zu schwer für das Fluggepäck.

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Tja, und dann kam die Rückfahrt nach Thimphu.

Und die war so ereignisreich, dass ich wohl aus der geplanten Trilogie über Bhutan eine Quadrologie machen muss – sonst wird das zu lang, und Sie mögen nicht weiter lesen, gerade wenn es interessant wird …

(Folge 3)

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