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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Mrs. Velvet G. Oldmine

Von Erhard Metz

Wer hat Angst vor Mrs. Velvet G. Oldmine? (Erinnern Sie sich noch: Wer hat Angst vor Virginia Woolf?)

Geboren am 19. Februar 1957, informiert sie auf ihrer Internet-Seite, malt und zeichnet sie, wie sie weiter schreibt, seit 1958. Ihr Lebensweg war abwechslungsreich.

Heute überrascht Mrs. Velvet G. Oldmine mit ihrer aktuellen Kunst: Diese ist weniger ein Malen denn ein Modellieren, es sind keine Bilder, aber auch keine Reliefs oder Skulpturen, es sind Werke sui generis, und die Werkstoffe sind: Leinwände, Textilien (will sagen Mullstoffe, wie sie nicht nur in Krankenhäusern und Arztpraxen Verwendung finden), Sand und Acrylfarben. Wir messen dem Sand unser besonderes Augenmerk zu: Er hat etwas Archaisches, Alt-Israelitisches, Ägyptisch-Pharaonisches, Alttestamentarisches, er ist das Element der Wüsten – und damit der Lebensfeindlichkeit – , in denen aber doch immer wieder Leben sich erzeugt, bewegt und erhält. Johannes der Täufer trat in der Wüste auf, Jesus Christus fastete 40 Tage in der Wüste und wurde vom Teufel versucht. Wüsten – Orte der Kontemplation, der inneren Reinigung. Auch heute sind Menschen vom Wüstensand fasziniert. Und sie suchen zu Hunderttausenden und Millionen die sandigen Meeresstrände auf. Sand – das uralte Spielzeug der Kinder, ideal zum Formen der grossen, weiten Welt der Fantasien. Glücklich, wer als Kind im Sandkasten seine Lebensentwürfe entwickeln und vorformulieren konnte. „Nicht alle Illusionen sind Blendwerk, manchmal sind sie nur eine Vorschau dessen, was noch kommt“, schreibt Mrs. Velvet G. Oldmine.

Die Künstlerin hat Ägypten eingehend bereist und sich intensiv mit den dortigen Landschaften, Kulturen und Lebensbedingungen auseinandergesetzt. Auch mit der uralten Geschichte und den heute vielgestaltig sichtbaren Zeugnissen vergangener Hochkulturen. Wir gehen sicher kaum fehl, wenn wir ihre besondere Beziehung zu Sand auf diesen Prozess der verinnerlichenden Auseinandersetzung zurückführen. Und wir erkennen ebenso in ihrem weiteren bevorzugten Werkstoff, dem Mull, die Metapher für die von hunderten Wicklungen umgebenen einbalsamierten Leichname der ägyptischen Pharaonen und Höflinge in den Sargophagen, der mumifizierten, für heilig gehaltenen Katzen und anderen Tiere. Sand und Mull – Symbole der urmenschlichen Auseindersetzung mit dem Woher und Wohin bis in die heutigen Tage.

Die Glut der Wüsten, die flimmrige Hitze, die Palette der Farben des in den Morgen-, Mittags- und Abendstunden heissen wie abgekühlten Sandes faszinieren Mrs. Velvet G. Oldmine, die vom Wind geschliffenen kantigen Grate über und die zerklüfteten Täler unter den Sandgebirgen. Wir begegnen ihnen in ihren Objekten, von denen wir fast annehmen möchten, dass wir aus der Vogelschau vielleicht eine ihres kaum zu erahnenden Weges ziehende Karawane, gar eine Fata Morgana wahrnehmen.

Ägypten – auch die Heimat der Sphinx. Und diese gibt ihren Besuchern gerne Rätsel auf. So wie die Künstlerin den Betrachtern ihrer Werke.

Aber Mrs. Velvet G. Oldmine wäre nicht sie selbst, wenn sie nicht zugleich eine politische Künstlerin unserer Tage wäre. Sehen wir ihr Triptychon „Guantanameros“:

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Guantanameros (Frau Schmidt begegnet Mohammed)
70 x 70 cm, Triptychon, Leinwand, Sand, Acryl, Textil, 2007

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Guantanameros (Herr Schmidt entdeckt Mohammed)
70 x 70 cm, Triptychon, Leinwand, Sand, Acryl, Textil, 2007

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Guantanameros (Fräulein Müller begegnet Mohammed)
60 x 125 cm, Triptychon, Leinwand, Sand, Acryl, Textil, 2007

„Frauen und Männer aus dieser Region um Guantanamo legen viel mehr Wert auf den Körper, auf die äussere Erscheinung, auf die Pflege der Haut als auf die Ernährung. Kann sein, dass die Mädchen erotischer wirken und die Jungs müssen sich mehr bemühen. Weil die Sonne heiss ist und die Erde glüht“, schreibt der Trés-Gitarrist Angel Rubio Espinoza (genannt El Puro). Guantanamo ist aber auch Guantanamo Bay. Ein nahe dem US-Militärstützpunkt auf einer Höhe gelegenes, derzeit nicht mehr buchbares Hotel erlaubte seinen Gästen einst den Blick über und in diese Anlage. Das Quadrat, das Rechteck, sonnendurchglühte Festungen, in der Mitte ein Hof, was mag darin geschehen?

Wie begegnen Frau Schmidt und Fräulein Müller – ahnungslose Touristinnen sie beide? – dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Zivilisationen, Religionen und Denkweisen, wie mag der Tourist Herr Schmidt sie „entdecken“?

Ein anderes Triptychon der Künstlerin: Eher ein Hauch nur von kristallinglitzerndem Sand auf schwarzen, kreisrunden Scheiben von einem Meter Durchmesser. Auch hier begegnen wir der Urwelt, will sagen der Suche nach dem Grund allen Daseins, aber in einer anderen Gestalt, es könnten in schwarzem Ölschiefer der Grube Messel entdeckte fossile, Jahrmillionen alte Wesen sein. Nein, wir brauchen nicht unbedingt die Oberflächen von Mond und Mars zu erkunden, auch das, was wir auf unserer Erde, dieser winzigen, bescheidenen Kugel antreffen, weist uns in Urzeit und Universum – interpretieren wir das, was uns die Künstlerin mit auf den Weg geben will, allzu fehl?

Nun müsste man aber die von der Künstlerin zitierten Texte heranziehen. Ihre Werktitel entlehnt sie sehr oft aus den Lieder- beziehungsweise Textzeilen (überwiegend aus der Glam Rock Zeit, also der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts) der Musiker David Bowie, Brian Eno oder zum Beispiel der Gruppe Roxy Music.

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InVerse, ConVerse, UniVerse: RavenSky (Raven Sky wurde in den Himmel geschrieben von: BrAin onE / John Cale, Wrong Way Up, 1990)
Triptychon, Ø 1,00 m, Leinwand, Sand, Acryl, Textil, 2007

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InVerse, ConVerse, UniVerse: This is the Dawning of the Age of Aquarius (das behaupten sie in “Hair”, 1967)
Triptychon, Ø 1,00 m, Leinwand, Sand, Acryl, Textil, 2007

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InVerse, ConVerse, UniVerse: The Rising is yet to come (ganz und gar mein Kommentar)
Triptychon, Ø 1,00 m, Leinwand, Sand, Acryl, Textil, 2007

An Ägypten wieder erinnert das vierteilige, aus gleich grossen Dreiecken bestehende Polyptychon „4 Heaven’s Sake!“: Sandberge, Sandwüsten, Pyramiden. Mrs. Velvet G. Oldmine kehrt die Frage, die unsere Wissenschaftler an all die Mars- und die Gott-weiss-wohin-Expeditionen stellen, wieder eimal um: Gibt es Leben auf der Erde? Wiederum bedient sie sich neben dieser ironisch-rhetorischen Frage der Metapher der Wüsten. Oder der geheimnisvollen Sandrosen, jener bizarren, in Kristalle aus Gips und Baryt eingebetteten Gebilde heisser und trockener Wüsten. (Exkurs: Sandrosen finden wir auch in der heimischen Wetterau, was gilt uns aber der Prophet im eigenen Land?)

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4 Heaven’s Sake!, No. 1 Is there life on Earth?
100 cm x 100 cm x 100 cm, Leinwand, Acryl, Sand, Textil, 2006

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4 Heaven’s Sake!, No. 2 Is there life on Earth?
100 cm x 100 cm x 100 cm, Leinwand, Acryl, Sand, Textil, 2006

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4 Heaven’s Sake!, No. 3 Is there life on Earth?
100 cm x 100 cm x 100 cm, Leinwand, Acryl, Sand, Textil, 2006

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4 Heaven’s Sake!, No. 4 Is there life on Earth?
100 cm x 100 cm x 100 cm, Leinwand, Acryl, Sand, Textil, 2006

Ein gross dimensioniertes Werk der Künstlerin sorgte bereits für beabsichtigte Diskussionen und wird dies auch weiter tun:
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Ich mach’ drei Kreuze oder – Die schärfsten Kritiker der Elche: wären gerne selber welche …
Triptychon, ca. 220 x 140 cm, 200 x 120 cm, Spanplatte, Acryl, Sand, Textil, Elchköpfe, 2007

Ein Kalvarienberg – eine Provokation? Wievielen Provokationen begegnen wir jeden Tag, fast Schritt auf Tritt? Provokationen – oder sind es nicht vielmehr Realitäten – in einer manches Mal in ihr Gegenteil, in ihr perverses alter ego verkehrten christlich-abendländischen Tradition?

Der Versuch einer Annäherung: Und wir beginnen mit den Farben, den Grundfarben allen malerischen Schaffens Blau, Rot und Gelb. Wobei das Gelb wiederum an den Wüstensand erinnern mag, oder vielleicht an das Gold? Welches Gold? Das des umtanzten alttestamentarischen Kalbes? Aber steht nicht Gelb für den Neid unter den Menschen? Und Blau und Rot – in der alten Malerei die Farben der klassischen Mariendarstellungen – für Treue und Liebe?

Elchköpfe sind an den Kreuzen fixiert, Köpfe aus Plüsch, über ebay ersteigert, wie die Künstlerin sagt, wir möchten meinen, es sind armselige, banale Materialien, abgelegtes Spielzeug aus Kindertagen vielleicht. In der ersten Ausstellung der Installation in ihrem Atelier, informiert die Künstlerin, hätten die Besucher die plüschigen Elchköpfe gestreichelt, liebkost. Läuft uns da nicht ein Schauer den Rücken hinunter angesichts der realen Kruzifikation vor zwei Jahrtausenden? Und den vielen Kruzifikationen vor und nach diesem besonderen Ereignis? Empfinden wir vielleicht immer noch, das Werk sei eine „Provokation“?

Natürlich denken wir auch an die Neue Frankfurter Schule, an F. W. Bernstein alias Fritz Weigle, an seine legendäre Formulierung „Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche“. Wir sehen den „Göttinger Elch“, den die Stadt in Erinnerung an Georg Christoph Lichtenberg für „ein Lebenswerk satirischer Provenienz und/oder eine satirische Mehrfachbegabung“ verleiht. Wir denken an den desaströsen „Elch-Test“ für die Mercedes-A-Klasse, dessen Wirkmächtigkeit den Ruf dieses Weltunternehmens von einem Tag auf den anderen ins Wanken brachte. Und warum dann nicht auch noch das „Ostpreussenlied“ mit den Versen: „Und die Meere rauschen den Choral der Zeit. Elche steh’n und lauschen in die Ewigkeit.“ Ist das jetzt Kitsch?

Ewigkeit? Ein Kosmos an Assoziationen stellt sich uns ein, und wir stehen am Ende recht nachdenklich, vielleicht sogar betroffen vor der blau-rot-gelben Installation.

Schliesslich eine weitere Arbeit von Mrs. Velvet G. Oldmine:

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DreamHomeHeartache (Hausbesetzer: Roxy Music, For Your Pleasure, Text: Brian Ferry, 1973)
ca. 110 x 50 cm, Leinwand, Acryl, Sand, Textil, 2006

Wir denken wieder an den Verbandsstoff der Kliniken und Ärzte, den Mull, an Verletzungen und Verletzbarkeit, auch wieder an die Wicklungen der altägyptischen Mumien, aber der Verband löst sich, Blut scheint heraustropfen zu wollen, die Mullbinde zieht sich nach unten, sprengt den Rahmen des Objekts . . . Wohin fliessen, wohin gehen wir?

Mrs. Velvet G. Oldmine bestritt in den letzten Jahren verschiedene Werkschauen, neben Frankfurt am Main in Neu-Anspach und Königswinter. Im November 2007 war sie an der Gruppenausstellung unter dem Titel „Sem palavras – ohne Worte“ in Olinda (Brasilien) beteiligt. Im März dieses Jahres stellte sie erneut im Frankfurter „ausstellungsraum EULENGASSE 65“ aus, im Juni im Offenbacher „Salon 13“. Am 18. Juli 2008 eröffnet die „EULENGASSE“ die Installation „THE BIG ANGRY THING – RICHTER STUHL“ von Mrs. Velvet G. Oldmine. Den Weg in die Bornheimer Eulengasse sollte man unbedingt nehmen.

(Bildnachweis: © Mrs. Velvet G. Oldmine)

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