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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„SPARTACUS“

Eva Grubinger mit drei Installationen in der Schirn Kunsthalle Frankfurt

Schwarzer Lack, makellos aufgebracht – zunächst denkt man an etwas Schickes, vielleicht an Porsche-Design, aber es handelt sich um schwarz lackierten Maschendraht, genauer gesagt einen übermannshohen Maschendrahtzaun, kreisrund um einen Aussichtsturm gezogen – oder ist das nicht eher ein Wachtturm? Wir befinden uns in der Rotunde der Schirn Kunsthalle, es ist kalt, der Maschendraht-Käfig füllt bis auf einen schmalen umlaufenden Gang das Rund aus, es ist eine ungemütliche Situation. Zwei kleine drahtverspannte Türen führen in den umzäunten Raum, man tritt ein und näher an den ebenfalls schwarz lackierten Turm heran, der Weg nach oben aber ist versperrt, ein leiterartiger Aufstieg beginnt erst in unerreichbarer Höhe. Oben die schwarze Plattform, ja, es scheint ein Wachtturm zu sein, unzugänglich und abweisend. Rund herum der Maschendrahtzaun, aber die kleinen Drahttüren sind offen, also schnell wieder hinaus ins Freie – in die Freiheit!

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Szenenwechsel: der „Tisch“ neben der Rotunde. Man steigt das offene Treppenhaus hinauf – wieder gebietet schwarz lackierter Maschendraht das Halt! Das gesamte Areal des Tisches ist eingezäunt, wir treten durch eine ebenso vergitterte Tür ein. Links und rechts befinden sich zwei Tribünen mit Steh- oder Sitzbänken, die sich bereits auf den ersten Blick konfrontativ gegenüberstehen, schwarz wie die Umzäunung. Wir steigen einige Stufenreihen empor, aber das Unbehagen, in einer konfliktträchtigen Situation eingesperrt zu sein, will nicht weichen.

Szenenwechsel: das „Kabinett“. Wir stehen an einem – schwarz lackierten – breiten Maschendrahtverhau, keine Tür führt in ihn hinein, vier starke Scheinwerfer, hinter dem Gitter an einem Mast montiert, blenden uns und nehmen uns die Sicht. In den Winkeln des Verhaus befindet sich nichts. Man möchte nicht darinnen sein.

Mit ihren drei Installationen „Spartacus“, die sie an den beschriebenen Orten positioniert, macht sich Eva Grubinger wie schon andere (leider viel zu wenige) Künstler vor ihr die spezifischen räumlichen Gegebenheiten der Schirn Kunsthalle zunutze. Der Gebäudesituation folgend legt sie ihrer Arbeit die formalen Figurationen Kreis (Rotunde), Quadrat (Tisch) und Linie (Kabinett) zugrunde. Kreis und Quadrat, in ihrer räumlichen Umsetzung Kugel und Würfel, haben bereits Johann Wolfgang Goethe fasziniert und inspiriert, denken wir an den „Altar der Agathe Tyche – den Stein des Guten Glücks“ in seinem Garten in den Weimarer Ilmwiesen. Kreis und Quadrat befinden sich wie Kugel und Würfel in einem Spannungsverhältnis, sie stehen für Gegensätze, für These und Antithese, wir kehren zu der künstlerischen Intention Eva Grubingers zurück.

Alle drei Installationen stehen in einer intensiven Beziehung zueinander: Vom Kabinett aus sind es wenige Schritte, und man blickt von oben auf Wachtturm und Käfigkreis in der Rotunde, zu der auch der Blick vom zum Tisch hinaufführenden Treppenhaus geht. Der Weg führt allerdings vom Rundkäfig über den Tisch zum Kabinett: zur Endstation, an der es kein Weiterkommen gibt, einen feindlichen Ort, in dessen Innerstes uns die Sicht verwehrt wird. Die Verknüpfung der drei Präsentationsorte führt uns zugleich zur Auseinandersetzung mit dem Aussen und dem Innen, mit dem Raum vor und hinter dem Maschendraht, mit dem Öffentlichen und dem Intern-Privaten. Räume, Lebensräume, werden voneinander abgegrenzt. Es geht um die Menschen in diesen Räumen, sie werden in ihnen „eingeschlossen“, in beiden Bedeutungen dieses Wortes, will sagen sie sind eingebunden in die – relativ freie – Gesellschaft ausserhalb der Käfigräume, oder aber ausgegrenzt und eingesperrt, wenn sie ein Leben innerhalb der Vergitterungen führen müssen.

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Der 1970 in Salzburg geborenen und seit 1989 in Berlin lebenden Künstlerin geht es um Manifestationen von Macht und Ohnmacht, von Beobachten und Beobachtetwerden, von Sicherheit und Kontrolle, von Ein- und Ausgesperrtsein, um nichts weniger am Ende als um Freiheit und Gefangenschaft. Sicher auch in übertragenem Sinne als Metapher für Kommunikation, für miteinander und nicht miteinander Umgehen in unserer Gesellschaft. Der Kurator der Ausstellung, Matthias Ulrich, scheint wesentlich auf den Beobachtungs- und Überwachungsaspekt von Architektur als Metapher für eine gesellschaftliche Situation abzustellen: Der Beobachter beobachtet den Beobachter. Er zitiert das panoptische Architekturkonzept des englischen Philosophen Jeremy Bentham sowie den Begriff der modernen Disziplinargesellschaft von Michel Foucault. „Der panoptische Turm,“ schreibt Ulrich, „hat die Bentham’sche Architektur verlassen und in vielfältigen neuen Techniken – Kameraüberwachung, Handy, Internet, Satellitensysteme etc. – massenhaft Verbreitung gefunden. Fremdbeobachtung und Selbstdisziplinierung sind zu einer zusammenhängenden Operation geworden, die keine übergeordnete Instanz mehr benötigt, um gesellschaftliches Funktionieren zu gewährleisten.“ Die Blickbeziehungen wechseln von aussen nach innen und umgekehrt. Zaun und Käfig bilden die sichtdurchlässige Grenze.

Räume, Grenzziehungen, Herauf- und Hinabblicken, vom „Tisch“ aus gesehen, Beobachten und Beobachtetwerden – gilt dies auch für den Gebäudekomplex der Schirn selbst? Etwa im Zusammenhang mit der geplanten Altstadtbebauung? Wo werden künftig die Grenzen verlaufen, wird es dann den Tisch noch geben?

Direktion und Kurator der Schirn erklären, dass bei der zeitlichen Disposition der Ausstellung der Frankfurter Weihnachtsmarkt keine Rolle gespielt habe. Das mag sein, gleichwohl ergibt sich beim Blick vom vergitterten Tisch hinunter auf das fröhliche Treiben zwischen den in adventlichem Licht illuminierten Buden, umhüllt vom Duft gebrannter Mandeln und Maronen, von Lebkuchen und Glühwein ein durchaus makaber anmutender Zusammenhang oder vielmehr Widerspruch. Für viele in der Gesellschaft wird die Diskrepanz zwischen Rente oder Hartz IV auf der einen und einem Bummel zwischen den lichterglitzernden Versuchungen des Weihnachtsmarktes auf der anderen Seite kaum überwindlich sein – eine vierköpfige Familie müsste für den Gang zu Karussell, zu Christbaumschmuck-, Lebkuchen- und Glühweinbuden schon einmal ein Budget von 50 Euro und einiges mehr einkalkulieren, ganz zu schweigen von einem Besuch bei den erzgebirgischen Holzschnitzern. So gewinnen Eva Grubingers Installationen mit ihrer ungewollten – vielleicht aber doch eher glücklichen – zeitlichen Kongruenz zum Weihnachtsmarkt eine ganz eigene gesellschaftsbezogene Dimension.

„Spartacus“ betitelt die Künstlerin die Ausstellung, ein Titel, der nicht von Ungefähr rühren kann. Spartacus, wir erinnern uns vergangenen Geschichtsunterrichts, war ein römischer Sklave und Gladiator thrakischer Herkunft. Es gelang ihm, aus verarmten, landlosen römischen Vasallen, sich befreienden Sklaven und ihren grausamen Schulen entflohenen Gladiatoren ein Heer zu gründen und mit ihm gegen die herrschende Gesellschaftsklasse zunächst erfolgreich zu Felde zu ziehen. Der nach ihm benannte Spartacus-Aufstand endete blutig. Spartacus fiel im Jahr 71 v. Chr. mit seinen Kriegern in der Schlacht am Silarius zwischen Brindisi und Tarent. Die marxistische Geschichtswissenschaft, namentlich der DDR und der Sowjetunion, würdigte Spartacus als antiken Klassenkämpfer und Symbolfigur gegen Unterdrückung und Knechtschaft. Karl Marx nannte ihn einen wahren Vertreter des römischen Proletariats. Aus der während des Ersten Weltkrieges von marxistischen Kriegsgegnern gegründeten Spartakus-Gruppe ging Ende 1918 der Spartakusbund hervor, der wenige Monate später in die Kommunistische Partei Deutschlands einmündete.

„Spartacus“: Auffallend der Bezug zur Tribünensituation auf dem Tisch: Der Gladiator, ausgebildet zu meist todbringendem Kampf zur Belustigung einer in Dekadenz versinkenden Gesellschaft. Man denkt an Boxkampfveranstaltungen vor unverhohlen voyeuristischem Publikum, an mit Agressivität und Hass aufgeladene Fussballstadien. Auffallend auch der Titel „Spartacus“ mit seinen gesellschaftskritischen Implikationen: Beobachten und Beobachtetwerden, Herrschen und Beherrschtwerden korrespondieren mit der Wahrnehmung einer zunehmend diversifizierten, auseinandertriftenden Gesellschaft der Chancen und keine Chancen Habenden, der immer reicher und immer ärmer Werdenden.

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Schirn Kunsthalle Frankfurt, Römerberg, 60311 Frankfurt. Die Ausstellung dauert vom 29. November 2007 bis zum 17. Februar 2008. Ein Katalog befindet sich in Vorbereitung. www.schirn.de; welcome@schirn.de.

Am Donnerstag, 17. Januar 2008, 19 Uhr, findet ein Künstlergespräch mit Eva Grubinger statt.

(Bildnachweis: Schirn Kunsthalle/Fotos: Norbert Miguletz)

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